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„Okay", seufzt Finn und lehnt sich genussvoll auf seinem Stuhl zurück. Natürlich haben wir am Tisch und nicht auf dem Sofa gegessen. „Das war wirklich fantastisch. Allerdings habe ich jetzt so viel gegessen, dass wir morgen definitiv laufen gehen müssen."

Ich rolle mit den Augen und lege meine Gabel auf dem Teller ab.
„Einfach nur ein Kompliment ohne Einschränkung bekommst du nicht hin, was?"
„Wieso?", protestiert er. „Das war doch ein Kompliment!"
Ich winke ab und blicke ihn stattdessen fragend an.
„Was jetzt wieder?", pampt er.
„Recherche?", wechsele ich das Thema und er seufzt erneut. Kein gutes Zeichen.

„Also, es gibt diverse Filme und Bücher, die sich mit dem Thema Körpertausch auseinandersetzen, aber nichts davon scheint auf uns zuzutreffen", erklärt Finn.
„Wie zum Beispiel?"
„Ein Paar Ohrringe, das zusammengebracht werden muss, Glückskekse oder ein Wunschautomat."

„Was ist denn ein Wunschautomat?", lache ich.
„Nun, offenbar ein Automat, der Wünsche erfüllt. Da du aber keinen Cent in der Tasche hattest und ich grundsätzlich kein Geld für Automaten verschwende, habe ich diese Option schon mal ausgeschlossen."

Ohne ein Wort stehe ich auf und nehme meinen und seinen Teller, um sie in die Küche zu bringen. Wenn ich noch eine Sekunde länger hierbleibe, fange ich gleich eine Schlägerei mit mir selbst an.
Laut beginne ich, die Teller und das Besteck abzuspülen und höre ihn plötzlich hinter mir: „Ich habe einen Geschirrspüler, weißt du?"

„Ja, ich weiß", schnaube ich und schrubbe dabei wütend weiter. „Und du hast auch ein teures Auto und ein teures Haus und teure Klamotten und ein teures Handy."
„Tut mir leid, Caleb", brummt er, doch ich beschließe, ihn zu ignorieren. Arrogantes Arschloch.

„Was ist das eigentlich für Plunder, den du da mit dir rumschleppst?", will er vom Thema ablenken und macht sich an meiner Holzschachtel zu schaffen, die ich neben der Kaffeemaschine liegengelassen habe.

Augenblicklich rausche ich zu ihm und entreiße ihm die Kiste mit meinen nassen Händen.
„Das geht dich nichts an!", fauche ich und er verschränkt die Arme vor der Brust.
„Genauso wenig, wie es dich etwas angeht, wieso ich all diese teuren Sachen habe!", motzt er.
„Im Gegensatz zu dir schmiere ich das aber nicht jedem aufs Brot!", schreie ich. „Ja, ich hab kein Geld! Du wirst es kaum glauben, aber das wusste ich auch schon, bevor du mich ständig daran erinnern musstest. Also vielleicht versuchst du einfach mal, von deinem hohen Ross runterzukommen, Finn Campbell!"

„Ich hab doch nur laut gedacht", brüllt er zurück. „Ich versuche hier nur, Lösungen zu finden. Sei einfach mal nicht so empfindlich, Caleb!"
Entsetzt starre ich ihn an und jetzt reicht es mir. Ich lege die kleine Schachtel neben mir auf der Arbeitsfläche ab und gehe auf ihn los.

Ich will meine Hände um seinen Hals legen, doch natürlich sieht er das kommen und packt meine Handgelenke. Ich knurre und schreie, reiße meine rechte Hand aus seinem Griff und verpasse ihm einen Schlag auf sein linkes Auge.
Fuck! Das tut weh!

Finn schreit schmerzerfüllt auf und nun packen seine Hände meinen Hals. Ich schlage wie verrückt auf seine Schultern, drücke seine Arme mit meinen auseinander und blicke in seine wütenden braunen Augen, die eigentlich meine sind. Er starrt zurück und plötzlich lockert sich sein Griff um meinen Hals. Sein Atem geht schwer und stockend und ehe ich weiß, was passiert, liegen seine Lippen auf meinen.

Es ist seltsam und merkwürdig und..

Nichts passiert. Wütend stoße ich ihn von mir, funkele ihn an und schreie: „Hast du sie noch alle?"
Ich wische mit meinem Handrücken über meinen Mund und widerstehe dem Drang, auch noch auszuspucken. Das war, als würde man sich selbst küssen.
War es ja auch irgendwie.
„Es.. es.. ich dachte..", stammelt er und starrt mich noch immer an.

„Du bist wahrhaftig ein selbstverliebtes Arschloch", knurre ich, schnappe mir meine Kiste und verlasse die Küche, um nach oben zu gehen. Ich schließe mich im Gästezimmer ein und lasse mich aufs Bett sinken, die Schachtel in meinen Händen.

Meine Atmung geht immer noch schnell und ich schließe meine Augen, um mich zu beruhigen. Er meint es nicht so, rede ich mir gut in meinem Kopf zu. Du hattest viel länger Zeit, dich mit der Situation zu arrangieren, Caleb. Er ist quasi gerade erst aufgewacht. Trotzdem muss er nicht so ein Arsch sein! Und was fällt ihm ein, mich zu küssen? Wenn es andersrum wäre, wäre es nicht so merkwürdig gewesen, aber-
Er ist trotzdem ein Arsch!

Trotzig lege ich mich aufs Bett und verschränke die Arme hinter meinem Kopf. Wie wir beide aus der ganzen Nummer herauskommen, wissen wir jetzt immer noch nicht. Und was ich danach tun soll, wissen wir ebenso wenig. Oder was wir tun sollen, wenn wir für immer so bleiben.

Irgendwann drifte ich in einen unruhigen Schlaf ab und träume von Tafeln und stinkenden Medizinbällen, großen SUVs und unbezahlten Rechnungen. Als ich aufwache, ist es bereits dämmerig und ich reibe mir verschlafen das Auge.

Meine Hand wandert zu meiner kleinen Schachtel neben mir und ich streiche einmal kurz darüber, ehe ich aufstehe und leise die Tür öffne. Vor mir auf dem Boden liegt eine Packung grüner Skittles-Bonbons. Meine Lieblingssorte.

Stirnrunzelnd hebe ich die Süßigkeiten auf und gehe die Treppe nach unten. Finn in meinem Calebkörper sitzt im Wohnzimmer auf dem Sofa, sein Handy in der Hand, ein Lächeln auf seinem Gesicht. Ich höre Kittys Stimme und nehme an, dass er eine Sprachnachricht von ihr abhört.

„Und sie redet immer noch davon, wie verblüfft sie war, dass du die Zwiebel ohne eine Träne geschnitten hast", plappert Kitty aus dem Gerät. „Als wärst du plötzlich vollkommen anders. Wir sind jedenfalls sehr froh, dass du wieder ganz der Alte wirst und Kilian hat mir von deinem Freund erzählt, den ich unbedingt kennenlernen will, darum komme ich morgen vorbei. Ich höre jetzt auf, dann kannst du nicht widersprechen. Ich hab dich lieb, Finn."

Ich beobachte, wie er sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel wischt und schwer ein- und ausatmet. Um auf mich aufmerksam zu machen, raschele ich mit der Bonbontüte und Finn zuckt zusammen.
„Hey", macht er verlegen und legt sein Handy auf dem Couchtisch ab.
„Wie geht's deinem Auge?", frage ich schuldbewusst. Er winkt ab und zeigt nur auf die gerötete Stelle.
„Du scheinst gut was abzukönnen", meint er und ich lächele schief.
„Oder du haust wie ein Verlierer."

Ich schüttele erneut die kleine, grüne Tüte.
„Danke, das ist meine liebste Sorte."
„Kleines Friedensangebot", entgegnet er.
„Angebot angenommen", murmele ich und lasse mich neben ihn fallen, ehe ich die Tüte aufreiße und sie ihm anbiete.

Lügenleben | ✓Where stories live. Discover now