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„Oh Gott", keucht Finn neben mir in meinem Körper. „Wann warst du das letzte Mal laufen?"
Er schwitzt ziemlich stark, während ich leichtfüßig neben ihm jogge und diesen Sport zum ersten Mal in meinem Leben genieße. Wenn man es gut kann, macht es tatsächlich Spaß.

„Ich glaube, in der Schule", denke ich laut nach.
„Unfassbar", schnauft er. „Wie kannst du so gut aussehen ohne Sport?"
„Gute Gene, schätze ich."
Er bleibt erschöpft an einem Laternenmast stehen und schnappt nach Luft. Ich bleibe einfach neben ihm stehen und blicke ihn mitleidig an.
„Waren deine Eltern Leistungssportler, oder was?", witzelt er und ich kicke mit der Schuhspitze seiner teuren Laufschuhe einen kleinen Kiesel weg.

„Ich schätze, eher nicht", brumme ich. „Es sei denn, du siehst Alkohol- und Drogensucht als Leistungssport."
Finns Augen weiten sich geschockt und ich zucke mit den Schultern.
„Wobei.. vielleicht war mein Vater Sportler, das weiß ich nicht."

Ohne dass er nachfragen kann, setze ich mich wieder in Bewegung und jogge langsam weiter. Ich habe ohnehin schon zu viel gesagt.

Kurz darauf läuft er etwas schwerfällig neben mir und ich rechne damit, dass er beginnt, mich auszufragen, doch stattdessen schneidet er ein anderes Thema an.
„Der Wunschbrunnen hat also auch nicht funktioniert", witzelt er und ich muss unwillkürlich grinsen bei dem Gedanken daran, dass wir heute früh in die gleiche Schüssel gepinkelt haben.

„Muss an deinem Klo liegen", lache ich und er stimmt mit ein.
„Ich nehme an, du hast keine Ohrringe oder sowas?", schnauft er. „Zumindest konnte ich keine entdecken."
„Angst vor Nadeln", erwidere ich nur. „Und dein Körper scheint ebenfalls unversehrt."
„Hm", stimmt er mir zu. „Ist nicht so mein Stil."
„Was du nicht sagst", lache ich lauthals. „Was war mit Glückskeks gemeint?"

„Du hast nicht zufällig kürzlich einen gegessen, in dem sowas drinstand wie ‚Du wirst bald einen anderen Körper bewohnen'?"
Ich tue so, als würde ich überlegen und schüttele dann meinen Kopf.
„Im Letzten stand nur ‚Steig nicht in diesen Zug', zählt das auch?"
„Ernsthaft jetzt?", keucht Finn geschockt und ich lache.

„Nein, das war ein Witz. Ich hab' mir ewig kein Essen mehr bestellt und du machst auch nicht den Eindruck, als würdest du jede Woche Glückskekse verschlingen."

„Dann bleibt nicht mehr so viel", schließt er seine Überlegungen und ich stelle überrascht fest, dass wir bereits wieder vor seinem Haus angekommen sind. Mein Körper lässt sich erschöpft auf den Rasen fallen, während ich neben ihm stehe und mir denke, dass ich auch locker noch eine Runde drehen könnte.
Ich sollte wirklich mehr Sport machen, überlege ich.

„Vielleicht ein Elektroschock?", schlage ich vor und er runzelt die Stirn.
„Was?"
„Gibt es nicht in Filmen manchmal Blitzeinschläge oder irgendwas und dann passiert den Leuten was? Vielleicht haben wir bei dem Unglück beide einen Schlag bekommen und dabei passierte es."
Finn setzt sich auf und stützt die Arme auf den Knien ab.
„Der Gedanke ist nachvollziehbar, aber ich würde ihn ungern testen."
„Weil?"
„Man dabei draufgehen könnte, Caleb? Man fasst nicht einfach in eine Steckdose, wenn man an seinem Leben hängt."

„Nun, dann könnte man zumindest einen weiteren Punkt der Liste abhaken", schnauze ich. „Vielleicht reicht es ja, wenn ich in die Steckdose fasse."
„Spinnst du?" Entgeistert betrachtet er mich und ich trete von einem Fuß auf den anderen.
„Wir sollten uns einen Plan überlegen, wie du mich in der Schule vertreten kannst", wechselt er urplötzlich das Thema und steht vom Rasen auf.
„Ich soll dich vertreten?"
„Naja, ich kann mich schlecht als Mr. Martínez vorstellen und den Schülern erzählen, dass ich jetzt den Unterricht führe."

„Warum nicht?"
„Weil das nur in Filmen so einfach funktioniert, Caleb! Ich habe einen Arbeitgeber, der muss informiert sein. Was, wenn ein Kollege mich sieht und das meldet? Es kann nicht einfach jemand Wildfremdes in eine Schule marschieren und dort unterrichten."
Genervt rollt er mit den Augen und ich komme mir unsagbar dumm vor. Wieder einmal.

„Okay", brumme ich und gehe zur Haustür. „Dann mach dich auf was gefasst."
„Warum?", fragt er hinter mir und folgt mir ins Haus.
„Ich hab nach der neunten Klasse aufgehört", rufe ich ihm zu und lasse ihn am Fuß der Treppe stehen, während ich nach oben laufe und im Gästezimmer verschwinde.

•••

Unter der Dusche versuche ich, meine dunklen Gedanken wegzuwaschen und reibe viel zu lange über Finns Gesicht. Ich habe bestimmt Shampoo in die Augen bekommen, darum brennen sie so.

Erst als ich etwas planlos im Gästezimmer herumstehe, fällt mir ein, dass die Klamotten, die dieser Körper normalerweise trägt, in Finns Kleiderschrank sind. Missmutig stapfe ich, nur mit einem Handtuch um die Hüften, auf den Flur und klopfe vorsichtig an die Tür des Schlafzimmers.

„Ja?", kommt es aus dem Inneren und ich drücke die Tür vorsichtig auf. Finn hat anscheinend auch geduscht, denn ein benutztes Handtuch liegt vor dem Eingang zum Kleiderschrank. Offenbar ist er dort drinnen. Ist er etwa-

„Soll ich dir ein paar Klamotten raussuchen?", beantwortet ein nackter Finn, der herauskommt, meine ungestellte Frage. Es ist mir irgendwie unangenehm, obwohl es mein eigener Körper ist, den ich da sehe, doch er steckt darin und steht einfach nur da und-

Verlegen drehe ich mich weg und rufe nur: „Das wäre nett!"
„Hast du dich noch nie nackt gesehen, Caleb?", fragt er hinter mir und ich kneife die Augen zusammen.
„Doch, aber in aller Regel nur vor dem Spiegel oder von oben, wenn man selbst in dem Körper steckt", motze ich.
„Also ich gucke ganz schön viel in den Spiegel in letzter Zeit", gibt er zu und ich reiße verblüfft meine Augen auf.

Finn steht da in meinem Körper und blickt anerkennend an sich hinab.
„W-Was?", stammele ich.
„Du siehst verdammt gut aus, Caleb", sagt er schlicht und streicht einmal über seinen - eigentlich meinen - Körper.
„Komm, wir ziehen uns was an." Er verschwindet wieder in dem Kleiderschrank und ich starre ihm verwirrt hinterher.
„Dann solltest du dir mal die Haare kämmen", rufe ich ihm nach.

„Wag' es nicht, meine Haare zu kämmen!", motzt er lachend und kommt mit einem Stapel Klamotten heraus, die er mir reicht. „Mit gekämmten Haaren sehe ich total spießig aus."
Ich hebe grinsend eine Augenbraue.
„Also würde das eigentlich auch besser zu deinem Inneren passen", konstatiere ich. „Aber ich meinte auch meinen Körper."

Vorsichtig hebe ich eine Hand und streiche durch sein noch feuchtes Haar, um es etwas zu ordnen. Das Gefühl ist vertraut zwischen meinen Fingern.
„Okay", raunt er. „Dann probiere ich das mal."

Ich nicke und trete einen Schritt zurück.
„Danke für die Klamotten", murmele ich und husche wieder aus dem Zimmer.

Lügenleben | ✓Where stories live. Discover now