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Finn hört sich alles an und an einigen Stellen sehe ich Entsetzen in seinen, beziehungsweise meinen, Augen. Die Details meiner ersten Autofahrt scheinen ihn fast hyperventilieren zu lassen und als ich bei meiner doch ziemlich deutlichen Zurückweisung gegenüber Christian ende, nickt er mit ernstem Gesicht.

„Tut mir leid, dass ich ihn abgewimmelt habe", sage ich abschließend. „Mir war nicht klar, dass du auf ältere-"
„Hey", unterbricht er mich und hebt eine Hand. „Alles gut. Das RF hinter seinem Namen stand für reinster Fehler."
„Oh", lache ich unbeholfen. „Dann wohl gern geschehen, schätze ich."

„Und es stimmt nicht, was Kilian sagt. Ich schleppe keine alten Säcke ab", stellt Finn klar und seine Augenbrauen heben sich dabei abschätzig. „Mein Ex war älter als wir, ja. Aber es ist nicht-"
Er unterbricht sich selbst und winkt ab. „Entschuldige, das ist vollkommen irrelevant für dich. Du wirst nicht mit unangenehmen Besuchen von Männern rechnen müssen, so bin ich nicht."

„Schade", will ich die Stimmung auflockern und beobachte amüsiert, wie Finn sich fast an seinem Tee, den er sich während meiner Erzählung neu zubereitet hat, verschluckt.
„Ich bin auch schwul, nur ich bleib' gern in meiner Altersklasse", kläre ich ihn auf und reibe verlegen meine Hände aneinander.

„Was war vorher, Caleb?", erkundigt sich Finn und ich blicke ihn fragend an. „Bevor du in den Zug stiegst. Warum hast du kein Zuhause, kein Geld? Wo wolltest du hin? Wo ist deine Familie?"
Auf einmal bin ich gehemmt und stehe auf, um durchs Wohnzimmer zu tigern.
„Das ist doch jetzt vollkommen unwichtig", brumme ich. „Wir sollten lieber herausfinden, wie wir diesem Schlamassel wieder entkommen."

Finn betrachtet mich lange, sagt jedoch nichts. Stattdessen geht er auf meinen Themenwechsel ein und zuckt mit den Schultern.
„Darüber habe ich mir auch schon den Kopf zerbrochen. Eine Theorie war, dass es sich rückgängig macht, sobald wir uns begegnen."
Ich lache auf und nicke.
„Ja, die hatte ich auch. Hat leider nicht geklappt."

„Nun, dann sollten wir vielleicht rekonstruieren, wo wir in dem Zug waren, als das Unglück geschah?", überlegt er weiter. „Waren wir wohl im gleichen Wagen?"
„Ich habe keine Ahnung", gebe ich ehrlich zu. „Ich bin einfach irgendwo eingestiegen und dann durch die Waggons gegangen, damit der Schaffner mich nicht erwischt. Als es geschah, muss ich in irgendeinem Großraumabteil mit vielen Menschen gewesen sein."

„Ich saß in einem Großraumabteil", denkt Finn laut nach. „Ich hatte einen Zug eher erwischt und keinen Platz mehr in der ersten Klasse bekommen."
„Der feine Herr", brumme ich und hebe entschuldigend die Hände, als Finn mich kritisch ansieht.
„Vielleicht..", grübelt er weiter und steht plötzlich auf. „Wenn wir uns berühren?"

Er stellt sich dicht vor mich und blickt mir in die Augen. Ich halte die Luft an und starre ihn verdattert an. Es ist merkwürdig, sich selbst gegenüberzustehen, anders als bei einem Spiegel und es treibt mir buchstäblich die Tränen in die Augen, so sehr muss ich mich anstrengen, nicht wegzusehen.

Finn legt seine Hand an meine Brust und nimmt meine Hand, um sie auf seine Brust zu legen. Der Moment ist irgendwie.. intensiv und doch geschieht nichts. Wir stehen da, starren uns an und ich bin mir sehr sicher, dass Finn in seinem Kopf so etwas denkt wie „Tausch zurück! Tausch zurück!".

„Klappt wohl nicht", sage ich und er rollt mit den Augen, während ich einen Schritt zurücktrete und den Blick- und unseren Körperkontakt unterbreche. „Ich hab dich vorhin aber auch schon angefasst und da ging es auch nicht."
„Hast du eine bessere Idee?", schnauzt er mich an und wirft die Arme in die Luft.
„Keine Ahnung", motze ich zurück. „Aber ich mache mir jetzt was zu essen."

„Wieso bestellen wir nicht was?", kommt es von Finn und daran, wie er sich über den Bauch streicht, kann ich erkennen, dass er sehr hungrig ist.
„Weil du einen vollen Kühlschrank hast, der genügend Zutaten bietet, Finn."
Er rollt mit den Augen und verschränkt die Arme vor der Brust.
„Ich würde aber gern was bestellen", erwidert er trotzig und ich muss unwillkürlich grinsen. Ich weiß, dass er nicht kochen kann.

Ohne ein Wort gehe ich in die Küche und beginne, den Kühlschrank nach Zutaten zu durchforsten.
„Was tust du?", fragt er hinter mir und ich sage nur schlicht: „Wonach sieht's denn aus?"
„Caleb", brummt er. „Ich will aber bestellen!"

Energisch drehe ich mich zu ihm und schüttele mit dem Kopf.
„Es wird dich überraschen, aber ich kann kochen, Finn. Wir haben genügend Zutaten hier und es geht schneller, als wenn wir jetzt bestellen. Also setz' dich einfach hin und warte, bis ich das Essen vorbereitet habe", meckere ich. „In der Zwischenzeit kannst du dir Gedanken darüber machen, was wir noch unternehmen können, damit wir wieder in unsere jeweiligen Körper zurückkommen und mir außerdem erklären, was man als Lehrer alles wissen muss, für den Fall, dass wir es nicht rechtzeitig zum Ende der Ferien schaffen und ich deinen Job machen muss."

Finn starrt mich entgeistert an, während ich Gemüse und Käse aus dem Kühlschrank hole und die Schränke nach geeigneten Kochutensilien durchsuche.
„Was meinst du wohl, warum ich jahrelang studiert habe?", entsetzt er sich. „Damit ich dir das mal schnell in zehn Minuten erzähle? Pädagogik ist etwas, das viel Studium und Wissen braucht, bis man es sich verinnerlicht hat. Ich werde ganz sicher nicht zulassen , dass du meine harte Arbeit mal eben-"

Entnervt knalle ich einen Pfannenwender auf die Arbeitsplatte und schreie: „Genug!"
Geschockt starrt er mich an und ich atme tief ein und aus.
„Mir ist klar, dass das alles hier furchtbar lästig für dich ist", knurre ich. „Aber könntest du zumindest versuchen, den arroganten Stock in deinem Arsch ein Stück herauszuziehen und dich halbwegs mit der Situation zu arrangieren? Ich hätte nur gern einen Plan B, damit ich dich nicht vollkommen blamiere."

„Okay", presst er hervor. „Entschuldige. Ich.. ich hole mein Tablet und dann schaue ich, ob ich was rausfinden kann."
Als er die Küche verlässt, rufe ich ihm nach: „Das Tablet liegt auf dem Bett!"

Ich höre seine Schritte die Treppe nach oben gehen und dann fällt mir ein, dass ich wohl heute früh auf der Suche nach einer schlichten Jeans einfach ein paar Klamotten auf den Boden habe fallen lassen.

„Caleb!", höre ich Finns Geschrei von oben und zucke schuldbewusst zusammen. „Was hast du mit meinem Kleiderschrank gemacht??"

Lügenleben | ✓Where stories live. Discover now