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„Angestellt?", frage ich aufgebracht. „Glaubst du etwa, ich habe das hier verursacht?" Meine - seine - Hände fuchteln wild zwischen uns umher. „Ich hatte gehofft, dass sich das alles wieder von selbst rückgängig macht, sobald ich dich.. also mich.. also, meinen Körper gefunden habe."

Der Calebkörper hebt eine Augenbraue. Dieses Talent haben wir beide offenbar gemeinsam.
„Und du hast dir ja unfassbar große Mühe gegeben, deinen Körper in meinem Haus zu finden", entgegnet er zynisch.
Ich rolle mit den Augen und fahre durch die wuscheligen Haare auf meinem Kopf.
„Es ist nicht besonders leicht, jemanden zu finden, der ohne Ausweis unterwegs war und nicht vermisst wird", fauche ich. „Zumal ich es leider bislang nicht fertigbringen konnte, die Leichenhäuser abzuklappern, weil ich glaubte, mein Körper wäre tot!"

Er sieht mich mit großen Augen an und leckt sich verlegen über die Lippen. Diese Eigenschaft habe ich nicht.
„Entschuldige", brummt er. „Ich war wohl etwas forsch in meiner Art."
Hilfe, der Typ redet so, wie er wohnt! Sauber und ordentlich.

„Kann mal wohl so sagen", knurre ich und trinke schlürfend von meinem Kaffee. „Außerdem habe ich dich gesucht. Ich war heute in Boston auf der Intensivstation, aber das warst du nicht. Und mir wurde gesagt, dass nur noch Tote unter den Leuten ohne Identität waren."

„Bis gestern war ich auch noch ohne Identität", verkündet mein Gegenüber und ich betrachte ihn interessiert. Ich kenne zwar meine Geschichte, seit ich aus dem Koma erwacht bin, aber ich habe keine Ahnung, was meinem Körper und dem Finn darin in der Zwischenzeit widerfahren ist.

„Dein Name ist Caleb, richtig?", fragt er und ich nicke. „Was ist mit dir passiert?"
„Nun", überlege ich laut. „Ich bin aufgewacht und plötzlich nannten mich alle Finn. Und als ich in den Spiegel sah, war da nicht mehr mein übliches Gesicht, sondern deins."

„Das meine ich nicht", herrscht er mich an. „Ich meine davor. Dein Leben bevor du in diesen Zug gestiegen bist."
„Warum willst du das wissen?", frage ich schüchtern zurück. Irgendwie bin ich gehemmt, dem geliebten, ordentlichen, gutsituierten Finn meine Vergangenheit offenzulegen.

„Weil ich einfach mal in einem Krankenhaus aufgewacht bin und nichts hatte außer einem Rucksack mit einer Kiste, einem kaputten Handy und einem leeren Portemonnaie!", schreit er. „Niemand hat nach mir gefragt und ich hatte nicht mal ein Zuhause!"

Wütend stehe ich auf und verschütte dabei fast meinen Kaffee.
„Was hast du vor?", fragt Finn im Caleb-Körper überrascht.
„Ich gehe", entgegne ich knapp und rausche nach vorn zur Haustür. Neben der Tür liegt mein alter, schwarzer Rucksack, dessen Gurte inzwischen nicht mehr reißen, nachdem ich sie schon mehrfach angenäht habe. Ich öffne ihn und ziehe meine kleine Holzkiste hervor.

„Wohin?", fragt Finn hinter mir. Ich habe beschlossen, ihn Finn zu nennen, auch wenn er in meinem Körper steckt, denn ganz offensichtlich möchte er nicht Caleb sein, also bin ich wieder Caleb.
„Das kann dir doch egal sein", murmele ich, öffne die Kiste kurz, schaue hinein und schließe sie wieder.
„Wohl kaum" schnauzt er. „Du hast da noch etwas, das mir gehört."

Verwirrt blicke ich an mir hinab, ziehe sowohl den Autoschlüssel, als auch sein Handy und sein Portemonnaie aus meinen Hosentaschen und lege alles auf der Kommode im Flur ab. Dann reiße ich die Tür auf und gehe, so schnell ich kann, die Einfahrt entlang zur Straße.

Schritte hinter mir lassen vermuten, dass Finn mir folgt, aber ich drehe mich nicht um. Ich kämpfe gegen wütende Tränen, umklammere die kleine Holzkiste in meinen Händen und bewege mich mit langen Schritten die Straße entlang. Gut, dass er so lange Beine hat, damit komme ich schnell voran.

Eine Hand packt meine Schulter und reißt mich herum.
„Würdest du bitte wieder mit ins Haus kommen?", zischt Finn mich an.
Mann, sehe ich scheiße aus, wenn ich wütend bin. Energisch entreiße ich mich seinem Griff und funkele ihn an.
„Es ist dein Haus, also gehe ich", knurre ich. „Tut mir leid, dass ich dein perfektes Leben durcheinandergebracht habe. Wenn ich herausbekomme, wie du auch deinen perfekten Körper zurückbekommst, sage ich dir Bescheid."

Die Wut in seinem Gesicht entweicht schlagartig und er blickt verlegen auf den Boden.
„Wow", macht er. „Ich bin ein richtiges Arschloch."

Genau in diesem Moment hupt ein Auto neben uns und wir drehen uns beide verblüfft um.
„Hey Bruder", ruft Kilian lachend vom Fahrersitz. „Belästigst du schon wieder heiße Typen?"
Während ich etwas Zynisches erwidern möchte und schon mit den Augen rolle, starrt Finn den Mann im Auto mit großen, feuchten Augen an.

„Sorry, Mann", lacht Kilian unbeholfen. „Ich wollte nicht-"
„Ist.. ist schon gut, Kilian", gehe ich dazwischen und lege locker meinen Arm um meinen vorherigen Körper. „Das ist mein Freund Caleb. Ihr kennt euch noch nicht."
Finn kneift kurz die Augen zusammen und zwingt sich dann ein Lächeln auf.
„Hi", ruft er Kilian zu und dieser zeigt nach vorn zum Haus.
„Lasst ihr mich rein oder wolltet ihr gerade irgendwohin?"

Finn sieht kurz zu mir und sagt dann, ohne den Blick abzuwenden: „Finn und ich haben uns nur kurz die Beine vertreten. Wir waren schon wieder auf dem Weg zurück."
Ich spüre, wie ich nicke und folge ihm langsam zurück zum Haus.
„Cool", freut sich Kilian und steuert sein Auto zu Finns Einfahrt. „Dann komme ich gleich mit."

Zögerlich gehe ich neben meinem Körper her, der Kilian weiterhin aus der Ferne betrachtet. An seiner ersten Reaktion und auch an seinem jetzigen Blick erkenne ich, dass Finn vielleicht ein Arschloch ist, aber er liebt seinen Bruder sehr.

Wenn ich jetzt ginge, hätte er arge Probleme, Kilian zu erklären, wer er ist und wie die aktuelle Situation zwischen ihm und mir ist. Ich bringe es nicht übers Herz, ihn diesem Stress auszusetzen. Immerhin war vermutlich ich derjenige von uns beiden, der es nach dem Erwachen leichter hatte. Und wer weiß? Vielleicht wäre ich andersherum ebenso ein Arschloch gewesen.

Ich klopfe also freundschaftlich auf seinen Rücken und murmele leise: „Von mir erfährt er nichts."
„Danke", kommt es zurück von Finn, ehe wir bei Kilian vor der Haustür ankommen.

Kilian grinst uns beide an, umarmt mich und reicht Finn im Calebkörper die Hand.
„Hi, ich bin Kilian, Finns Bruder", stellt er sich vor. „Und wo hat er dich aufgerissen?"

Lügenleben | ✓Donde viven las historias. Descúbrelo ahora