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Ich sitze wieder im Auto und weiß nicht recht, wie es mir geht. Einerseits bin ich erleichtert, dass ich dort in dem Bett nicht meinen eigenen Körper gesehen habe, andererseits frage ich mich nun, ob ich wirklich bereit dafür bin, mich auf die Suche nach dem Verstorbenen zu machen, um zu überprüfen, ob dieser mein Körper war.

Und wenn es so ist? Bleibe ich dann für immer Finn Campbell? Oder sucht der Geist von Finn Campbell nach mir und ich sterbe, sobald er mich gefunden hat?

Fakt ist, dass dieser Mann in dem Krankenhausbett nicht mein Caleb-Körper war. Er hatte tätowierte Unterarme und ich habe Angst vor Nadeln. Also definitiv keine Tattoos.

Die nette Krankenschwester seufzte mitfühlend neben mir, als ich ihr erklärte, dass ich diesen Mann leider nicht kennen würde und sprach mir Mut zu, dass ich meinen Cousin hoffentlich bald finden würde. Ich konnte kaum etwas erwidern und nickte nur.

Jetzt starre ich stur durch die Windschutzscheibe und versuche, ruhig zu atmen. Ich sollte das Auto starten und nach Hause fahren, doch genau da liegt das Problem. Wo ist zu Hause? In Providence in dem hübschen Haus mit einem riesigen Kleiderschrank und einem gefüllten Kühlschrank? Mit einem witzigen Bruder, einer lieben Cousine und einer fürsorglichen Tante?

So sehr ich dieses Leben schon nach wenigen Tagen zu schätzen gelernt habe, es ist nicht mein Leben und ich bin nicht sicher, wie lange ich den anderen und mir selbst noch vormachen kann, dass es das wäre. Verdammt, ich sitze in einem Auto, das vermutlich mehr gekostet hat, als ich je in meinem vorherigen Leben verdient habe und ich habe nicht mal einen Scheißführerschein!

Meine langen Finger vergraben sich in meinen verwuschelten Haaren und ziehen verzweifelt daran. Verliere ich allmählich meinen Verstand?

„Okay Caleb", sage ich laut zu mir selbst. „Wir brauchen einen Plan. Wir ziehen das durch und wir sind jetzt Finn Campbell. Wer sollte uns auch das Gegenteil beweisen?"
Ein hysterisches Lachen dringt aus meiner Kehle und ich starte das Auto mit zittrigen Fingern.
Ich habe recht. Wer sollte das Gegenteil beweisen?

Ich zucke zusammen, als mein Handy in meiner Hosentasche vibriert und zeitgleich das Display im Auto beginnt aufzuleuchten.

Eingehender Anruf von Christian (RF)

steht leuchtend dabei.

Oh Gott, der hat mir gerade noch gefehlt! Verzweifelt drücke ich auf dem Display des Autos herum, um den Anruf abzuweisen, doch plötzlich ertönt seine Stimme über die Lautsprecher.

„Hallo?", ruft er. „Finn?"
„Ja", seufze ich und massiere meine Nasenwurzel mit meinen Fingerspitzen, während ich meine Augen zusammenkneife.
„Hey, hier ist Christian", begrüßt er mich fröhlich.

Als wüsste ich das nicht! Seine fucking Nummer steht auf dem Display!

„Ich weiß", stöhne ich. „Ich habe doch gesagt, ich melde mich."
„Ja", kommt es von ihm. „Ich war nur doch etwas ungeduldig und darum dachte ich, ich rufe mal an und frage, ob es dir besser geht und ob du schon wieder-"
„Christian?", unterbreche ich ihn schroff.
„Ja, Finn?"
„Darf ich ehrlich zu dir sein?"
„Okay?" Seine Antwort ist eher wie eine zögerliche Frage formuliert.

„Ich habe eine starke Amnesie seit dem Unfall", erkläre ich. „Ich habe überhaupt keine Ahnung, wer du bist. Ich kenne deinen Namen und dein Bild nur aus meinem Telefon."
„Oh."
„Und ich weiß weder, wie unser Date verlaufen ist, noch ob ich danach für mich entschieden habe, ob ich dich wiedersehen möchte."
„Oh."
„Und bis mir das klar ist, hätte ich gern von dir, dass du wartest, bis ich mich melde, okay?"
„Okay", antwortet er und ich höre die Enttäuschung in seiner Stimme.

„Tut mir leid, Christian."
„Schon okay, Finn", seufzt er. „Ich warte einfach. Für mich war es nämlich sehr schön und ich glaube, für dich auch."
„Ich melde mich bei dir", entgegne ich und drücke auf den roten Button auf dem Autodisplay, der die Verbindung trennt.

Ich sehe in den Rückspiegel und starre in Finns blaue Augen.
„Okay", sage ich entschlossen. „Ich bin Finn Campbell und ich bin Lehrer. Keine Ahnung, wie ich das hinbekomme, aber ein Schritt nach dem anderen. Ich fahre jetzt mit meinem riesigen Auto in mein schönes Haus in Providence und setze mich auf mein teures Sofa. Und dann.. sehen wir weiter."

Mit diesen Worten starte ich den Motor und einen weiteren Versuch, ein neues Leben zu beginnen.

•••

Während der Fahrt finde ich heraus, dass mein Auto mit meinem Telefon und damit auch mit Musikstreamingdiensten verbunden ist. Es dauert nicht lange und ich finde eine für mich passende Playlist, bei der ich begeistert mitsinge und die Musik voll aufdrehe.

An einer Ampelkreuzung schauen zwei junge Mädels aus dem Auto neben mir interessiert zu mir herüber und ich grinse sie selbstbewusst an. Der Bass dröhnt bis nach draußen und als die Ampel auf grün springt, sause ich mit aufbrausendem Motor davon.

Ich bin Finn Campbell und ich kann alles haben!

Zu Hause angekommen wird meine Euphorie jedoch etwas gedämpft. Ich brauche etwa zwölf Anläufe bis ich es überhaupt schaffe, den Wagen rückwärts auf die Einfahrt zu befördern, ohne dass er auf dem Gehweg oder dem Rasen parkt.

Als ein Typ von gegenüber in einem Poloshirt herüberkommt und an meine Scheibe klopft, zucke ich erschrocken zusammen. Der Name Howard ist auf die Brust seines Poloshirts gedruckt.
„Hey Finn", begrüßt er mich, als das Fenster surrend nach unten fährt. „Bei dir alles gut?"
„J-ja, Howard", entgegne ich zögerlich.
„Ich frage nur, weil du hier so herumrangierst."
„Ich.. äh.. hab mir den Nacken gezerrt", lüge ich und reibe mir die angeblich schmerzende Stelle. „Kann mich kaum bewegen."

„Noch von dem Unfall?", erschreckt er sich. „Komm, lass mich das doch machen. Du solltest dann lieber nicht Auto fahren."
Dankbar verlasse ich mein Auto und lasse den Mann gekonnt mein Auto rückwärts in die Garage fahren. Lächelnd kommt er mit dem Schlüssel wieder auf mich zu.
„Wer hätte geahnt, dass du mich doch nochmal damit fahren lässt? Wenn auch nur fünf Meter", freut er sich und ich erinnere mich wieder, dass Finn wohl nicht gern andere Menschen an sein Zeug lässt.

„Ja", lache ich unbeholfen. „Gewöhn' dich lieber nicht dran, Howard."
„Sonst noch was, was ich tun kann?", bietet er an und ich schüttele den Kopf.
„Danke", verabschiede ich mich und gehe zur Haustür.
„Alles klar. Ach, da war vorhin ein Mann, der nach dir gefragt hat", scheint ihm einzufallen. „Der schien irgendwas dringendes zu wollen. Ich hab ihm gesagt, er soll später nochmal wiederkommen."

Ich winke ab, als ich ins Haus gehe.
„Hab ich schon am Telefon mit ihm geklärt. Aber trotzdem danke!"
Der Nachbar winkt und dreht ab, als ich die Tür erleichtert schließe.

Augenrollend lehne ich mich dagegen und stöhne leise auf, als es allen Ernstes schon wieder klingelt. Können die Leute einen nicht mal in Ruhe lassen?

Entnervt öffne ich die Tür erneut und frage: „War noch was, Howard?"
„Da wäre noch einiges, Finn", ist die Antwort und ich blicke in meine braunen Augen.

Vor mir steht mein Körper.

Lügenleben | ✓Tempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang