gιßιᥱrddᥒᥙshᥴᥱs

1.3K 217 77
                                    

„Umziehen für Sport?", frage ich entsetzt in Finns Richtung und er reißt schuldbewusst die Augen auf.
„Das habe ich wohl vergessen", gibt er betreten zu, was Kilian ein herzliches Lachen entlockt.
Kitty tritt ihm unter dem Picknicktisch, an dem wir noch immer sitzen, gegen das Schienbein.
„Lass' uns mal gehen, Kilian", schlägt sie ihm mit einem Blick vor, der keine Widerworte duldet. „Finn und Caleb bekommen das schon hin. Bis später, ihr zwei."

Damit stehen beide mit ihren halbfertigen Mahlzeiten auf ihren Tabletts auf und setzen sich weiter entfernt an einen anderen Tisch, wo sie sogleich ein Gespräch mit zwei anderen Lehrerinnen beginnen.

„Pass' auf", beginnt Finn sogleich. Ich kann ihm ansehen, dass es ihm überaus unangenehm ist, dass er den Sportunterricht auf dem Stundenplan vergessen hat oder vielmehr die Tatsache, dass wir beide Sachen zum Umziehen benötigen. „Ich kann auch einfach sagen, dass es mir noch nicht so gut geht, dass ich schon wieder Sportunterricht geben möchte. Dann freuen sich die Schüler über einen frühen Feierabend und ich denke beim nächsten Mal einfach dran, dass wir Klamotten für dich mitnehmen."

„Aber muss man den Kindern nicht ohnehin nur sagen, was sie tun sollen und steht dann daneben?", erkundige ich mich. Den Teil, dass man sie dabei noch anschreit, lasse ich weg, denn ich habe bereits gelernt, dass Finn nicht diese Art Lehrer ist.
Dennoch habe ich in meiner Schulzeit nie einen sportlichen Sportlehrer gesehen, geschweige denn einen, der auch wirklich Sport gemacht hat.

Finn seufzt und schüttelt den Kopf.
„Nein", sagt er. „Ich bin immer mittendrin. Aber in Hemd und Chinos sähe das für uns beide schon sehr seltsam aus."
„Hätte ich mir eigentlich denken können", murmele ich.
„Hättest du", grinst Finn. „Und ich habe zwar meine Sachen in meinem Fach, aber wenn du in deinem normalen Outfit am Rand auf der Bank sitzt..."
„Bin ich der Turnbeutelvergesser", vervollständige ich seinen Satz und ernte ein lautes Lachen von ihm.
„Genau das", entgegnet er lachend.
„Und lässt du mich dann in Unterwäsche mitmachen?", frage ich grinsend, denn auch diese Maßnahme kam zu meiner Schulzeit das ein oder andere Mal als Strafe vor.

Finns Augen weiten sich für einen Moment und seine Augen wandern kurz über meinen Oberkörper und wieder zurück zu meinem Gesicht.
„Nein", kommt es schließlich von ihm. „Das wäre zwar für alle ein äußerst interessanter Anblick, aber das wäre vollkommen unüblich für mich."
„Hm, okay", überlege ich. Irgendwie fühlt es sich nicht richtig an, dass Finn wegen mir seinen Unterricht absagen muss. „Und aus dem Fundus?"

„Das möchte ich dir nun wirklich nicht antun, Caleb", widerspricht Finn.
„Finn", beginne ich. „Ich habe schon aus schlimmeren Grabbbelkisten Klamotten angezogen. Glaube mir, so ein Fundus aus einer High School ist wahrlich ein wahrer Goldschatz für jemanden wie mich."

Finn sieht mich lange an, sagt jedoch zunächst nichts.
„Okay", willigt er schließlich ein. „Aber nur, wenn da auch Sachen drin sind, die dir passen. Du siehst bestimmt unfassbar komisch in einer Jogginghose eines Siebtklässlers aus, aber so lasse ich dich nicht vor meine Klasse treten."

•••

Eine halbe Stunde später wühle ich in den mir angebotenen Kartons, in denen sich vergessene Sportsachen aus diversen Jahrgängen befinden. Innerhalb kürzester Zeit habe ich die Wahl zwischen einer dunkelblauen Shorts, die leider trotz passender Größe laut Etikett schon eher als Hot Pants zu bezeichnen wäre oder einer Jogginghose, die zwar passt, dafür aber mit einem modischen Tarnfarbenmuster besticht. Als T-Shirt stehen mir diverse löchrige Fetzen zur Verfügung, ein weißes Muskelshirt, das sehr eng anliegt oder aber ein übergroßes T-Shirt mit einem heulenden Wolf, von dem ich mir sicher bin, dass er auch im Dunkeln leuchtet.

Nur bei den Schuhen scheine ich heute ein glückliches Händchen zu haben, denn hier entdecke ich sofort ein Paar Marke No Name in meiner Größe. Schlichtes Schwarz. Perfekt. Vielleicht behalte ich die sogar.

Mit meiner Ausbeute gehe ich in den Raum, der ein Schild mit der Aufschrift ‚Nur für Lehrpersonal' trägt. Finn steht nur in einer schwarzen Jogginghose am Ende des Raumes und zuckt erschrocken zusammen.
„Entschuldige", murmele ich und will schon wieder gehen, doch er ruft: „Jetzt komm' rein, Caleb. Aber mach' die Tür zu."
Beschämt tue ich, was er sagt und lege die Klamotten, die ich gefunden habe, auf einem Stuhl neben der Tür ab.

„Bist du denn fündig geworden?", möchte Finn wissen und kommt interessiert zu mir herüber. Dass er noch immer kein T-Shirt trägt, scheint ihm dabei herzlich egal zu sein und ich bemühe mich, ihn nicht anzustarren.
Es ist eine Sache, in diesem Körper zu stecken und schon zu denken, dass er wirklich gut aussieht, aber ihn jetzt direkt so neben mir zu sehen, verwirrt mich irgendwie noch mehr.

„Ja", erwidere ich enthusiastisch und halte die Jogginghose und die Shorts hoch. „Ich kann mich allerdings nicht entscheiden, also brauche ich deine Hilfe. Lieber sexy, fast schon Flashdance-like mit superkurzer Shorts und engem Muskelshirt? Oder doch besser alternativ und ein bisschen angsteinflößend im Army-Style mit heulendem Wolf? Der Wolf leuchtet auch, glaube ich."

Finn lacht und betrachtet die Sachen, die ich ihm zeige, eingehend.
„Hätten wir mehr Zeit, würde ich ja eine Modenschau vorschlagen", kichert er. „Aber so wäre ich für eine Kombination aus beidem."
„Der Wolf und die Shorts?", frage ich zweifelnd. „Ich fürchte, dann sieht es so aus, als hätte ich überhaupt keine Hose an."

„Ich meinte auch eher die andere Kombination. Das Muskelshirt und die Army-Hose", erklärt er. „Damit siehst du vielleicht ein bisschen aus wie Jean-Claude Van Damme, aber du bist etwa doppelt so groß und siehst bedeutend besser aus."
„Okay", antworte ich leise und nehme mir die besagten Sachen. „Dann.. äh.. gehe ich mal in die Umkleide."
„Schwachsinn, Caleb", meckert Finn. „Ich ziehe mich doch auch hier um. Du wirst es vielleicht vergessen haben, aber ich habe dich schon nackt gesehen. Sehr oft sogar. Also beeil' dich, der Unterricht geht gleich los."

Ich schlucke kurz und beginne dann, mein Hemd aufzuknöpfen, während ich aus dem Augenwinkel wahrnehme, wie Finn ein weißes T-Shirt überzieht, ehe er sich auf den kleinen Tisch in der Ecke setzt und mich beobachtet. Ich kann nicht verhindern, dass meine Finger etwas zittern und so beschleunige ich meine Bewegungen, um mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen.

Was zur Hölle ist los mit mir? Er hat ja recht. Wir kennen unsere Körper gegenseitig in- und auswendig. Man kann davon ausgehen, dass niemand anderes auf diesem Planeten den Körper eines anderen Menschen so gut kennt wie wir beide. Und dennoch fühle ich mich beschämt, dass ich mich jetzt hier unter seinen interessierten Blicken entkleiden muss.

Als ich meine Hose unbeholfen ausziehe, springt Finn plötzlich vom Tisch auf und geht an mir vorbei zur Tür.
„Du kommst dann gleich in die Halle, ja?", sagt er nur und verschwindet nach draußen. Das Klacken der Tür, als er sie von außen schließt, klingt laut in meinen Ohren.

Lügenleben | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt