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Nachdem Kitty mir geholfen hat, alle Kochutensilien in meiner überaus aufgeräumten Küche zu finden, geht sie nach oben um zu duschen. Ich bereite die Pfanne mit Speck vor und als ich das Wasser oben rauschen höre, nutze ich die Gelegenheit und stelle mir eine Tasse unter die Kaffeemaschine.

Das ersehnte Brodeln ertönt, nachdem ich den Knopf gedrückt habe und kurz darauf steigt schon der himmlische Duft in meine Nase. Sehnsuchtsvoll seufzend atme ich tief ein und setze die Tasse an meine Lippen.

Die Türklingel ertönt und ich kann mein Augenrollen nicht zurückhalten. Wer ist das jetzt bitte?
Ich gehe nach vorn zur Haustür und finde einen grinsenden Kilian davor.
„Guten Morgen, Brüderchen", begrüßt er mich freudestrahlend und blickt stirnrunzelnd auf die Tasse in meiner Hand. „Kaffee?"
„Für Kitty", lüge ich und staune nicht schlecht, als Kilian mir die Tasse kurzerhand aus der Hand nimmt und einen Schluck daraus trinkt.

„Gott, deine Kaffeemaschine war wirklich jeden Cent wert", stöhnt er genussvoll, während er sich an mir vorbei ins Haus drängt. „Ich kann immer noch nicht verstehen, wie du auf sowas verzichten kannst."
„Ich auch nicht", brumme ich kaum hörbar zu mir selbst, lächele ihn jedoch nur schulterzuckend an. „Was machst du überhaupt hier?", lenke ich vom Thema ab und schließe die Tür hinter ihm.

„Da Ferien sind, dachte ich, wir machen irgendwas zusammen", plappert Kilian und schnuppert auffällig in der Luft. „Ist das Speck?"
Ich reiße die Augen auf und flitze in die Küche, wo der Speck bereits aromatisch in der Pfanne brutzelt. Eilig wende ich die Streifen und mache mich daran, Eier in einen Messbecher zu schlagen, den Kitty mir vorhin freundlicherweise herausgesucht hat.

„Kannst du mir vielleicht welche von den Schalen mit dem Gemüse aus dem Wohnzimmer holen, Kilian?", bitte ich ihn, während ich die Eier verquirle.
„Wieso?", erkundigt er sich und ich sehe ihn genervt an.
„Weil das Gemüse sich gut in Rührei macht", erwidere ich und bekomme ein verdutztes „Äh" zurück.

Mit noch immer offenstehendem Mund verschwindet Kilian im Wohnzimmer, wo noch immer die Schalen der Snacks von gestern stehen, da Kitty und ich ja auf dem Sofa eingeschlafen sind. Kurz darauf erscheint er mit den Schälchen und beobachtet mich verblüfft, wie ich die Paprikastreifen in kleine Würfel schneide, die Kirschtomaten halbiere und die aufgespießten Champignons von ihren Spießen befreie, bevor ich sie einfach als Ganzes in die Eimasse befördere und dann alles miteinander verrühre.

Die Speckstreifen landen zum Abtropfen auf Küchenpapier und die Gemüse-Ei-Masse stattdessen in der Pfanne.
„Möchtest du mit uns frühstücken?", wende ich mich an Kilian, der nur verdattert nickt. „Dann mach' dich doch mal nützlich und bereite uns etwas Toast vor."
„Du bist gruselig, Alter", murmelt er und ich lache kurz auf.
„Erzähl' mir was Neues", seufze ich und rühre weiterhin in der Pfanne.

„Hey Kilian", zwitschert Kitty, die mit noch feuchten Locken in die Küche kommt. Sie umarmt ihn kurz und blickt dann skeptisch zu mir.
„Er hat gekocht?"
„Er hat gekocht", entgegnet Kilian in einem ähnlich skeptischen Ton. „Und es riecht gut."
„Seit wann kann er kochen?", will Kitty wissen und ich verschränke bockig meine langen Arme vor meiner Brust.
„Er kann euch hören und vielleicht wisst ihr doch nicht alles über mich", meckere ich und versuche, in meinem Hirn - wenn es denn überhaupt meins ist - abzuspeichern, dass Finn Campbell offenbar nicht kochen kann.

„Doch", lachen Kitty und Kilian wie aus einem Mund.
„Vielleicht habe ich mir im Zug ein Kochvideo angesehen", motze ich und trage die Pfanne energisch zum Tisch, den Kilian bereits vorbereitet hat. „Ihr könnt euch ja gern was anderes machen. Ich esse das hier."
„Spinnst du, Bruder?", lacht Kilian. „Das riecht fantastisch."
Auch Kitty legt ihre dünnen Ärmchen um mich und lächelt hoffnungsvoll zu mir auf.
„Und wenn du dich an ein Video erinnern kannst, das du vorher geschaut hast", freut sie sich. „Fällt dir der Rest sicherlich auch bald ein. Dabei fällt mir ein, dass du nachher mal auf dein Handy schauen solltest."

„Sollte ich?", frage ich skeptisch und beginne, uns das Rührei auf die Teller zu verteilen.
„Ich habe nur gesehen, dass du sehr viele Nachrichten von einem Christian hast", grinst Kitty.
„Christian", wiederhole ich.

Ich habe keine Ahnung, wer Christian ist. Ha, Überraschung! Der Christian kennt auch mich nicht. Nur diesen Körper, in dem ich stecke.
Beim Nachdenken fällt mir noch ein größeres Problem auf. Ich kenne den Code für das Handy nicht.

„Keine Ahnung, wer Christian ist", sage ich möglichst beiläufig und beginne zu essen.
„Das dachte ich mir fast", lächelt Kitty mitfühlend. „Aber er scheint dich zu kennen und sich große Sorgen um dich zu machen. Selbst, wenn du keinen Schimmer hast, wer er ist, solltest du dich kurz bei ihm melden und ihm sagen, dass du dich meldest, wenn deine Amnesie vorüber ist."

Ich unterbreche mein Essen und sehe zwischen Kitty und Kilian hin und her.
„Was, wenn sie nicht vorübergeht?", frage ich tonlos und erkenne, dass sich ihre Augen für einen Sekundenbruchteil weiten, ehe ein unbeholfenes Lachen folgt.
„Davon gehen wir mal nicht aus, Bruder", kommt es von Kilian und er klopft mir auf die Schulter. „Und bis dahin leih' ich mir ein paar von deinen Klamotten, okay?"

Ich nicke nur leicht und esse weiter, während ich innerlich darüber grübele, ob und wie mein Leben als Finn Campbell wohl weitergehen wird, denn irgendwie habe ich das Gefühl, dass diese „Amnesie" noch eine Weile anhalten wird.

•••

Als wir mit dem Essen fertig sind, nehme ich das schwarze Smartphone, das Kitty mir reicht, entgegen und entschuldige mich nach oben. An ihrem und Kilians Gesicht kann ich erkennen, dass sie furchtbar neugierig sind, aber ich kann ihre Nähe und Fürsorglichkeit gerade nicht ertragen.

Ich schließe die Schlafzimmertür hinter mir, ziehe die Sporttasche heran und hole den Rucksack heraus, das Telefon liegt erst mal neben mir auf dem Bett. Meine Finger zittern ein bisschen, als ich tief durchatme und den Schieber des Reißverschlusses greife.
„Dann wollen wir mal sehen, wer du bist, Finn Campbell", murmele ich zu mir selbst und beginne, den Reißverschluss zu öffnen.

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