7.

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Die nächsten Tage dachte ich noch oft an die Worte meiner Chefin und verstand nicht, was sie damit meinen könnte. Wieso sollte ich sie dazu bringen, über sich selbst nachzudenken?

Am Wochenende war eine Party von der Firma und ich überredete Kayla mit mir hinzugehen. Ich hatte in der Firma nur Rosie als Freundin gewonnen, die aber meistens mit irgendwelchen Männern beschäftigt war. Sie war eine Frau, die sich nahm, worauf sie Lust hatte und keine Verpflichtungen einging. Mit ihren langen blonden Haaren und der perfekten Figur hatte sie dabei ziemlich leichtes Spiel bei den Geschäftsmännern. Kayla war sichtlich beeindruckt als wir das große Gebäude betraten und sie grinste mir zu: „Geil!" Ich verdrehte schmunzelnd die Augen, Kayla könnte es wirklich schaffen, meine neue beste Freundin zu werden. Vielleicht war es an der Zeit, wieder Menschen zu vertrauen. Nicht jeder würde mich so verlassen, wie es mein Vater und Maxime getan hatten. Wir holten uns Getränke und unterhielten uns kurz mit Rosie und ihren Freundinnen. Kayla zog mich recht schnell auf die Tanzfläche und zunächst war es mir ziemlich unangenehm. Allerdings folgten uns immer mehr Leute und es machte wirklich Spaß, mal loszulassen. Kayla war wie zu erwarten eine klasse Tänzerin und neben ihr hatte ich das Gefühl mich steif wie ein Brett zu bewegen. Allerdings konnte sie mir auch das Gefühl geben, dass es egal war, wie ich aussah. Irgendwann hatte ich das Gefühl einen Blick auf mir zu spüren, der sich wie Feuer in meine Haut brannte. Ich sah auf zu der breiten Treppe, die in den ersten Stock führte und erkannte Vanessa King dort stehen. Ausnahmsweise trug sie ein Kleid, dass sich an ihre Kurven schmiegte und etwas von ihren Beinen freigab. Auch ihr Ausschnitt war größer als sonst und ich konnte meinen Blick kaum abwenden. Diese Frau war wirklich eine einmalige Erscheinung. Ich lief rot an, als ich merkte, dass sie mich beobachtete. Als unsere Blicke sich trafen, konnte ich auf die Entfernung die Belustigung in ihren Augen sehen. Sie zwinkerte kurz spielerisch und ich musste leicht grinsen, weil sie mir damit die Anspannung nahm. Im nächsten Moment wurde sie von jemandem angesprochen und unser Blickkontakt riss ab. Ich schüttelte mich und versuchte dabei auch die komischen Gefühle loszuwerden, die sich in meinem Bauch breit machten. Das konnte jawohl nicht mein ernst sein, dass ich mich jetzt auch beeindrucken ließ. Ich mochte Vanessa King nicht und ganz sicher würde ich sie nicht bewundern. Hätte ich mal gewusst, wie schnell sich das ändern sollte.

Den Rest der Party hatte ich meine Chefin nicht mehr gesehen und hatte einfach die Zeit mit Kayla genossen. Wir waren erst mitten in der Nacht nach Hause getorkelt und schließlich zusammen im Wohnzimmer auf der Ausziehcouch eingeschlafen. Den Sonntag nutzte ich zu Regenerieren und schaute einfach nur Netflix. Abends schickte mir Rosie den Plan für die Woche und ich sah, dass ich Vanessa King am Dienstag auf eine Lesung begleiten würde. Etwas in mir fing bei diesem Gedanken an zu kribbeln und Vorfreude stieg in mir auf. Ich liebte Lesungen und diese würde bestimmt noch besser werden als die in den kleinen Cafés, die ich mir leisten konnte.

An besagtem Dienstag holte mich ein Shuttle vor der Haustür ab und fuhr quer durch die Stadt bis in ein wohlhabendes Viertel. Hier wohnte anscheinend Vanessa King und ich hätte mir die Gegend nicht besser ausmalen können. Überall standen riesige Villen mit langen gepflasterten Zufahrten und gepflegten Gärten. Der Wagen hielt für einem modernen Eingangstor, hinter das man nicht blicken konnte. Es dauerte nur einige Minuten, bis Vanessa King aus der Tür neben dem Tor trat und mit schnellen Schritten zum Wagen kam. Wie immer trug sie einen schicken Hosenanzug, der diesmal recht schlicht, aber sehr edel aussah. Sie setzte sich zu mir auf die Rückbank und schenkte mir einen kurzen Blick. Ich hielt ihr einen Kaffee hin, den ich von zuhause extra mitgebracht hatte. Sie nahm ihn entgegen, ohne darüber nachzudenken und nahm einen Schluck. So konzentriert sie auch auf ihr Handy gestarrt hatte, hielt sie plötzlich doch inne. Sie leckte sich über die Lippen und schaute auf in meine Augen. „Woher haben Sie den?", fragte sie und runzelte die Stirn. Ich war mir nicht sicher, ob sie den Geschmack mochte oder ich gleich Ärger bekommen würde. „Selbstgemacht", meinte ich vorsichtig und der Blick meiner Chefin wurde erstaunt. „Sie können so guten Kaffee machen? Waren Sie mal in einem Café angestellt?", fragte sie und klang dabei tatsächlich interessiert. Ich schüttelte den Kopf und erwiderte: „Meine Freundin hat ein Restaurant und zaubert jeden Tag in der Küche." Beim Ausdruck „Freundin" meinte ich ein kurzes Zucken in Miss Kings Augen zu sehen. So schnell es gekommen war, verschwand es aber auch wieder. „Wenn es Ihnen keine Umstände macht, nehme ich ab jetzt gerne den Kaffee", meinte sie und nahm noch einen großen Schluck. Seit wann wollte sie mir denn keine Umstände mehr machen? „Seit Sie gelernt haben, nicht mehr wie ein Depp rumzulaufen." Verdammt, hatte ich meine Gedanken laut ausgesprochen? Die Belustigung in den Augen meiner Chefin beantwortete mir meine Frage. Ich lief rot an, doch Miss King schmunzelte nur. Sie konzentrierte sich wieder auf ihr Handy und ich blickte aus dem Fenster.

Wir fuhren auf einer Schnellstraße und waren nach nicht mal einer halben Stunde am Ziel. Ich folgte Miss King in das große Gebäude, was wohl ein altes Theater war. Wir liefen in einen extra Raum hinter der Bühne und eine Frau bereitete Miss King vor. Erst jetzt verstand ich, dass sie es war, die die Lesung halten würde. „Sie sehen aus, als hätten sie in Gespenst gesehen", meinte sie und grinste mich an. Wenn Vanessa King grinste, wirkte sie so jung wie sie vermutlich war und nicht wie eine überhebliche Geschäftsfrau. Dann wirkte sie so, als könnte sie auch eine Studentin sein, mit der ich befreundet sein wollte. „Soll ich etwas Bestimmtes tun während der Lesung?", fragte ich, um abzulenken. Ihr Grinsen wurde jedoch nur breiter und sie meinte: „Lassen Sie sich einfach bezaubern." Ich konnte nicht anders, als über ihre Arroganz den Kopf zu schütteln, musste jedoch auch schmunzeln. Ich setzte mich an den Rand der Bühne und versuchte nicht voreingenommen zu sein.

Die nächsten zwei Stunden sollte ich allerdings endlich verstehen, warum jeder Mensch in ihrer Nähe, Vanessa King bewunderte. Die Art, wie ihre Stimme die Zuhörer fesselte und wie melodisch sie beim Lesen klang. Der Ausdruck in ihren Augen, mit dem sie jeden an ihre Lippen fesselte. Am meisten aber beeindruckte mich das Geschriebene selbst. Jedes Wort kroch unter meine Haut bis hinein in mein Herz und meine Seele. Ich hatte das Gefühl in eine andere Welt gesogen zu werden, aus der ich gar nicht mehr herauswollte.

Show me your dark linesWhere stories live. Discover now