37.

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Die nächsten Tage sah ich Vanessa tatsächlich kein einziges Mal.

Sie war wie vom Erdboden verschluckt und das passte mir sehr gut. Die Pausen konnte ich so mit meinen Freunden verbringen und musste mich nicht durchgängig im Büro verstecken. Am Wochenende würde eine Firmenfeier stattfinden, die ich wohl oder übel mit ihr zusammen planen müsste. Also suchte ich ihr Büro auf, doch sie war nicht da. „Miss King hat sich die ganze Woche frei genommen", erklärte mir die nervige Blondine. Das konnte doch jetzt nicht wahr sein. Sie ließ mich diese Woche auch noch allein, ohne mir Bescheid zu sagen? Genervt ging ich zurück in mein Büro und versuchte mit Rosies Hilfe eine halbwegs anständige Party auf die Beine zu stellen. Am Ende der Woche war ich fix und fertig. Ich hatte absolut unterschätzt was diese Veranstaltungen für unfassbar viel Arbeit waren. Wie schaffte Vanessa das bloß ständig? Ich versuchte sie aus meinen Gedanken zu verbannen, als ich den Saal mit Rosie begutachtete. In einer Stunde würden die ersten Gäste kommen und der Raum sah wirklich gut aus. „Ist zwischen dir und Vanessa wirklich alles in Ordnung?", fragte mich Rosie, als kein anderer in der Nähe war. Ich schluckte, um möglichst wenig Emotionen zu zeigen und nickte. Rosie seufzte und lehnte sich auf den Stehtisch zwischen uns. „Weißt du, ich war dabei als Vanessa diesen Verlag gegründet hat. Ich habe damals gefragt, wofür der Name steht. Weißt du was sie gesagt hat?" Ich schüttelte den Kopf und sie lächelte leicht: „Liebe. Sie hat einfach nur Liebe gesagt. Ich habe nie verstanden, was sie damit meinte, bis du aufgetaucht bist. Ich habe lange gedacht, dass Vanessa keinen Menschen an sich heranlassen könnte. Ich konnte mir nicht mal vorstellen, dass sie je richtige Liebe erleben würde." Ich hörte ihr zu und dachte über die Worte nach. Immer wenn ich Vanessa hassen wollte, erfuhr ich Dinge, die sie für mich nur noch attraktiver machten. „An dem Abend in ihrem Büro, habe ich dein Parfum gerochen. Da wusste ich, dass sie dich versteckt." Ich schüttelte schmunzelnd den Kopf, ich hatte geahnt, dass sie es gewusst hatte. Sie lächelte mich lieb an und drückte kurz meine Schulter: „Wenn du etwas brauchst, ich bin jederzeit in der Nähe." Ich nickte ihr dankbar zu und atmete tief durch.

Die Gäste kamen pünktlich und mit guter Laune. Die meisten meiner Kollegen kannte ich mittlerweile bei Namen und wusste auch, was sie genau in der Firma taten. Ich sprach mit vielen und schaute, ob alles glatt lief. Als alle versorgt waren, ging ich selbst zur Bar und bestellte mir einen Weißwein. Ich nippte einmal daran und genoss den süßen Geschmack in meiner Kehle. „Diese Party ist wirklich nicht schlecht", ertönte eine Stimme hinter mir und meine Laune sank sofort in den Keller. Ich drehte mich um und versuchte Vanessa möglichst böse anzugucken. Sie sah allerding bildschön aus, weil sie ausnahmsweise ein Kleid trug, das nur knapp über ihre Knie reichte. Sie lächelte und mir fiel sofort auf, dass sie heute gar keinen Ring trug. „Du siehst wunderschön aus", sagte sie und ich wurde rot, ohne es verhindern zu können. Ich verdrehte die Augen und wollte an ihr vorbeigehen, doch sie hielt mich am Arm fest. „Es tut mir leid, Lia, warte." Ich seufzte und drehte mich zu ihr um. „Du weißt, wie schwer es für mich ist. Ich wünschte, es wäre einfacher." Ich schüttelte enttäuscht den Kopf, wie immer ging es nur um sie. „Du hast einfach nichts verstanden", meinte ich und ließ sie stehen.

Ich wollte durch die Leute durchgehen in Richtung Toilette, doch einer meiner Kollegen versperrte mir den Weg. Er zog plötzlich eine Rose hinter seinem Rücken hervor und hielt sie mir hin. Was sollte das denn? Verwirrt lief ich in eine andere Richtung und versuchte zur Bar zu gelangen, doch auch da stand eine Kollegin und hielt mir eine Rose hin. Als ich den Weg nach draußen einschlug, kamen gleich vier meiner Angestellten, darunter auch Ben und versperrten mir den Weg. Auch sie hatten jeweils eine Rose in der Hand. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass ich gefangen war, in einem Kreis meiner Angestellten, die alle Rosen in der Hand hielten. Die Musik ging aus und auch der DJ zückte eine Rose. Verwirrt blickte ich zu Julia und Rosie, die beide nur verschwörerisch lächelten. „Ich habe sehr wohl verstanden." Vanessa war in den Kreis getreten und stand nun vor mir. „Ich habe dich verletzt und gedemütigt und es tut mir unendlich leid. Ich kann nicht ungeschehen machen, dass ich dir das Herz gebrochen habe, aber ich kann dir jetzt und hier meines schenken." Tränen stiegen in meine Augen und ich sah in den Gesichtern der anderen, dass sie alle Bescheid wussten. Vanessa hatte allen die Wahrheit gesagt, mein Herz pochte wie wild. Ich wich einen Schritt zurück, ich durfte ihr nicht einfach wieder verzeihen. „Ich liebe dich, Lia", sagte sie und blickte mir dabei tief in die Augen. Die Mauern um mein Herz begannen zu bröckeln und Tränen liefen über meine Wangen. Ich drehte mich von ihr weg, um ihr nicht in die Augen sehen zu müssen. Es war alles, was ich mir immer gewünscht hatte. Sie liebte mich und sie stand zu mir, doch mein Vertrauen zu ihr hatte so sehr gelitten. „Wir zwei gegen den Rest der Welt?", hörte ich sie hinter mir mit zitternder Stimme fragen. Eine Gänsehaut überkam mich und ich sah vor mir das zehnjährige Mädchen, das sie mal gewesen war. Genau wie damals streckte sie mir ihren kleinen Finger entgegen und sah mich hoffnungsvoll an. Es war unser Versprechen, uns immer alles zu verzeihen. Sie hatte es nicht vergessen. Ich schluchzte auf und meine Beine trugen mich wie von selbst zu ihr. Ich hackte meinen Finger bei ihr ein und antwortete wie früher: „Unsere Welt können sie nie zerstören." Ein kleines Lächeln bildete sich auf Vanessas Lippen und als ich es erwiderte, wurde es immer breiter. Mit einer schnellen Bewegung zog sie mich fest in ihre Arme und um uns herum applaudierten alle. „Es tut mir so leid", nuschelte sie in meine Haare und ich krallte mich fest in den Stoff ihres Kleides. Ihr Duft umhüllte mich und gab mir meine Sicherheit zurück. Seit ich von zuhause ausgezogen war, hatte ich nicht mehr solche Sicherheit gespürt. Hier in ihren Armen hatte ich das Gefühl endlich richtig angekommen zu sein. „Du bist immer noch ein Idiot", flüsterte ich, doch sie löste sich von mir und lächelte auf mich herab. „Solange ich dein Idiot bin, ist mir das recht." Ich konnte nicht anders als zu grinsen und die Augen zu verdrehen. „Ja du bist mein Idiot." Die anderen hatten mittlerweile wieder in ihre Gespräche gefunden und der DJ spielte weiter. „Vor allem weil du einfach alle eingeweiht hast", meinte ich und boxte ihr leicht in die Seite. Sie zuckte die Achseln: „Wenn Vanessa King sich outet, dann richtig." Ich lachte und nickte: „Ja, das hätte ich wissen müssen." Sie lächelte mich warm an und ich wusste in diesem Moment, dass sie nie jemand anderes so behandeln würde wie mich. Uns verband etwas, das niemand je verstehen würde, weil es nur uns gehörte. Vanessa streichelte meine Wange und beugte sich zu mir herunter, doch ich wich zurück. So leicht würde ich es ihr nicht machen, nachdem sie mich so sehr verletzt hatte. „Holst du mir was zu trinken?", fragte ich und sie musterte mich prüfend. Dann nickte sie allerdings und drückte mir noch einen Kuss auf die Wange. Ich schaute ihr lächelnd hinterher, sie gehörte tatsächlich mir. Nie in meinen kühnsten Träumen hätte ich geglaubt, dass sie jemals zu mir stehen würde. Geschweige denn, dass sie mir ihre Liebe vor so vielen Menschen gestehen würde. „Du hast sie verändert", ertönte Rosies Stimme neben mir und sie legte ihren Arm um meine Schultern. „Als ich ihr vor einem Jahr bestätigt habe, dass du die Person bist, die sie in dir erkannt hatte, ist sie vor mir in Tränen ausgebrochen. Du kannst mir glauben, ich habe Vanessa vorher nicht eine einzige Träne vergießen sehen seit wir uns kennen." Ich schluckte, um die Tränen nicht zuzulassen, die mich vor Rührung überkamen. „Was hat sie euch gesagt?", fragte ich neugierig. Rosie schmunzelte nur und meinte: „Sie hat gesagt, dass sie eine Geschichte zum Leben erwecken will und dass sie wie bei jeder Geschichte, die Hilfe ihres Teams braucht." Ich lächelte und beobachtete Vanessa dabei, wie sie mit dem Barmann sprach. Sie war wirklich besser darin geworden, mit Menschen umzugehen. Ich sah einige meiner Angestellten, die mir nett zulächelten, manche sahen jedoch auch etwas unbehaglich aus. Erst in diesem Moment wurde mir bewusst, dass Vanessa auch mich geoutet hatte. Ein ungutes Gefühl machte sich in meinem Magen breit, meine Mutter würde einen Herzinfarkt bekommen. Ich hatte mir nichts mehr gewünscht, als dass Vanessa zu mir stehen würde. Nie hatte ich darüber nachgedacht, was das wirklich bedeuten würde.

„Ist alles okay?", hörte ich Vanessa fragen, die mir ein Getränk in die Hand drückte. Ich nickte nur schnell, doch sah sofort, dass sie es mir nicht abnahm. „Es hat dir nicht gefallen, oder? Tut mir leid, ich bin so schlecht in so was. Ich wollte dich nicht so überrumpeln." Sie wirkte ziemlich nervös, weshalb ich ihre Hand kurz drückte und lächelte: „Es ist okay." Ich seufzte und atmete tief durch: „Ich bin einfach nur etwas überfordert. Ich wäre wirklich gerne allein." Sie nickte sofort und meinte: „Du kannst jederzeit gehen, ich habe alles im Griff." Ich griff wieder nach ihrer Hand und zwang sie, mich anzusehen. Rosie war mittlerweile tanzen gegangen, so wie viele andere auch. „Ich will mit dir allein sein", flüsterte ich und Vanessas Augen leuchteten erstaunt auf. Sie biss sich auf die Lippe und ihre Pupillen fixierten meine. Wie immer schaute sie tief in mich hinein und ich fühlte mich besser. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen: „Oh." Ich wollte so viel mit ihr besprechen und all meine Gedanken der letzten Wochen mit ihr teilen. Ich wollte ihr eine klatschen und sie zusammenstauchen, aber vor allem wollte ich sie endlich wieder richtig küssen können. Sie überflog mit ihrem Blick die Gäste und warf ihn dann auf ihre Armbanduhr. Sie schien mit sich selbst zu hadern und nicht zu wissen, was sie tun sollte. Dann sah sie mich nochmal an und lächelte: „Hol deine Sachen und warte draußen auf mich." Ich grinste glücklich und fragte: „Wirklich?" Sie zuckte die Achseln und meinte nur: „Die werden auch einen Abend ohne uns klar kommen." Schnell holte ich meine Jacke und verabschiedete mich mit einer Ausrede bei meinen Kollegen. Rosie schüttelte nur schmunzelnd den Kopf und zwinkerte mir zu: „Viel Spaß." Draußen war es zum Glück noch recht warm für die Uhrzeit und ich musste nicht lange warten bis ich einen Arm um meine Hüfte spürte. „Darf ich Sie entführen?", flüsterte Vanessa in mein Ohr und sofort bildete sich eine Gänsehaut in meinem Nacken. Ich folgte ihr lächelnd zum Wagen und spielte die ganze Fahrt über mit ihren Fingern. Ständig lächelten wir uns an wie zwei verliebte Teenager und es fühlte sich perfekt an. Vor der Einfahrt fragte sie: „Willst du nicht wieder drüber klettern?" Ich verdrehte nur meine Augen und schubste sie leicht. Den ganzen Weg zum Haus ärgerten wir uns gegenseitig, doch kaum war die Tür geschlossen, zog sie mich in ihre Arme. Selbst wenn ich es gewollt hätte, hätte ich mich diesmal nicht dem Kuss entziehen können. Ihre Lippen waren so warm und weich und der Kuss so intensiv, dass ich das Gefühl hatte zu fliegen. Meine Finger fanden ihre Wangen, ihre Arme, ihre Hüfte. „Sollten wir nicht reden?", fragte ich zwischen den Küssen, doch meine Stimme war vor Lust ganz belegt. Vanessa öffnete den Reisverschluss meines Kleides und raunte: „Wir haben noch die ganze Nacht zum Reden." Auf dem Weg ins Schlafzimmer verloren wir beide unsere Kleider und als sie mich in die weichen Kissen drückte verlor ich meinen Verstand. Es gab nur noch Vanessas wunderschöne Augen, ihre weichen Lippen und ihre Stimme, die mir tausend Dinge versprach. Ihre Finger berührten jeden Zentimeter meiner Haut und ich spürte deutlich, dass nichts mehr zwischen uns stand.

Sie hielt sich nicht mehr zurück und ich hatte keine Angst mehr.

Wir ließen uns einfach fallen und liebten uns.

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