25.

2.3K 127 4
                                    

Ungeduldig wartete ich auf das Ende der Veranstaltung und lief den Weg von der Bahn zügig nach Hause.

Kayla wollte mich gleich vollquatschen, doch ich sagte ihr, dass ich telefonieren müsste. Stattdessen setzte ich mich auf mein Bett und stellte das kleine Päckchen vor mir auf die Decke. Was konnte schon darin sein, so schlimm konnte es gar nicht sein. Trotzdem zitterten meine Hände, als ich die Schleife öffnete und schließlich den Deckel anhob. Zum Vorschein kam ein gefaltetes Stück Papier und eine kleine silberne Nadel. Die Nadel erkannte ich schnell als einen der renommiertesten Preise der Literaturszene. Ich schaute auf die Gravur und erkannte den Namen des Werkes, das Vanessa und ich zusammen geschrieben hatten. Wir hatten wirklich einen Award dafür bekommen? Mein Herz raste, als ich die andere Seite der Nadel betrachtete und darin nicht nur Vanessas Namen stehen sah. Sie hatte meinen Namen als Co-Autorin angegeben, Tränen stiegen in meine Augen. Einer der Gründe, warum ich es schaffte, mich von ihr fernzuhalten, war, dass sie immer arrogant gewesen war. Ich hatte mir immer eingeredet, dass ihr nur die Arbeit etwas bedeutete und kein Mensch das ändern könnte. Jetzt teilte sie ihren Erfolg doch mit mir, selbst wenn manche Leute wissen würden, dass ich ihre Assistentin war. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und griff nach dem Papier, das noch in der Schachtel lag. Als ich es auffaltete sah ich, dass es eine Art Urkunde sein musste. Ich las den Text und ließ das Papier im nächsten Moment fallen. Mein Mund klappte auf und mein Herzschlag beschleunigte sich noch mehr. „Hey, bist du fertig?", fragte Kayla und kam in mein Zimmer gelaufen. Sie musterte mich und sah wohl, wie verblüfft ich war. „Hast du einen Geist gesehen?", fragte sie belustigt und griff nach dem Papier auf der Decke. Als sie es überflogen hatte, weiteten sich auch ihre Augen. „Du willst mich verarschen", meinte sie nur erstaunt. Ich hob abwehrend die Hände und murmelte: „Ich wusste es selbst bis eben nicht." Innerlich war ich völlig am Durchdrehen, doch mein Körper konnte kaum eine Regung von sich geben. „Du bist das Li in Limax", sagte Kayla mehr zu sich selbst und grinste dann. Sie griff nach meinen Händen und drückte sie: „Erstens hole ich jetzt Sekt und wir feiern und zweitens erzählst du mir jetzt die ganze Geschichte." Mit diesen Worten stand sie auf und lief fröhlich in die Küche.

Ich konnte es nicht fassen, mir gehörten 50% von Limax. Die Hälfte des größten Verlages unseres Landes und unfassbar viel Geld liefen auf meinen Namen, ohne dass ich jemals etwas dafür getan hatte. Deswegen konnte ich jederzeit zurück zum Verlag, weil er mir gehörte. Mein Kopf schwirrte und ich konnte nicht klar denken. Ein Teil von mir wollte Maxime eine runterhauen, dafür, dass sie sich nie bei mir gemeldet hatte. Ein anderer und größerer Teil von mir wollte Vanessa küssen und nie mehr loslassen dafür, dass sie mich nie vergessen hatte und mich geküsst hatte, noch bevor sie mich erkannt hatte. Wie konnte sie mich nur so verwirren. Verzweifelt schmiss ich die leere Box gegen die Wand und vergrub meine Augen in meinen Handflächen. Als Kayla mich rief, stand ich auf und gesellte mich zu ihr. Ich trank das Glas Sekt in zwei Zügen aus und begann ihr alles zu erzählen. „Ich wusste es", meinte sie zwischendurch kopfschüttelnd und gestand mir, dass sie uns gehört hatte. In der Nacht hier bei uns waren Vanessa und ich wohl nicht so leise gewesen, wie ich gedacht hatte. „Also sie heißt eigentlich Maxime und ist mal deine beste Freundin gewesen? Aber jetzt heißt sie Vanessa und ihr treibt es miteinander?", fragte sie und ich musste über ihren Gesichtsausdruck lachen. „Ja, so in etwa." Kayla nickte nachdenklich und schüttelte schmunzelnd den Kopf: „Du schläfst echt mit deiner Chefin." Ich verdrehte die Augen und schlug ihr leicht gegen die Schulter: „Ich schlafe nicht mehr mit ihr und sie ist auch nicht mehr meine Chefin." Kayla kicherte und nickte: „Stimmt, du bist jetzt dein eigener Chef und bezahlst ab jetzt definitiv die ganze Miete." Ich lachte über Kaylas Worte, doch innerlich war ich aufgewühlt.

Irgendwann ging Kayla ins Bett und ich schlurfte ebenfalls in mein Zimmer. Ich hob die Schachtel vom Boden auf und sah noch einen kleinen Zettel daneben liegen. Er musste aus einem Fach in der Box gefallen sein, als ich sie weggeschmissen hatte. Ich klappte ihn auf und sofort schoss es wie ein Blitz in mein Herz.

Je t'aime.

Ich war vielleicht nicht gut in französisch, doch diese Worte verstand selbst ich und sie trafen mich mit voller Wucht. Mein Magen krampfte sich zusammen und Tränen liefen über meine Wangen. Ich musste zu ihr, ich konnte keine Sekunde länger warten. Als ich mich umzog, kam Kayla herein und meinte: „Warum bist du jetzt so laut?" Als sie sah, dass ich angezogen war, runzelte sie die Stirn. Ich sagte ihr, dass ich jetzt zu Vanessa fahren würde, doch sie drückte mich sofort wieder auf meinen Stuhl. „Du gehst in diesem Zustand nirgends hin." Ich versuchte mich gegen die Griffe meiner Freundin zu wehren, doch sie ließ nicht locker. „Du kannst morgen zu ihr fahren, wenn du nüchtern bist und darüber nachgedacht hast." Letztendlich gab ich auf, denn sie hatte Recht und ich musste mindestens eine Nacht darüber schlafen.

Also lag ich in meinem Bett, starrte an die Decke und konnte nicht glauben, dass Vanessa King mich liebte.

Show me your dark linesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt