27.

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Nachdem ich Kayla am Abend alles erzählt hatte, saß ich in meinem Bett und hielt die kleine Nadel in der Hand. Es war unser erster gemeinsamer Preis und ich war mir sicher, dass wir noch viele zusammen gewinnen könnten. Früher war es unser Traum gewesen, einmal mit dem Schreiben Geld zu verdienen. Ich wollte mir nicht vorstellen, was Vanessa die nächsten Tage durchstehen musste. Es war alles meine Schuld, weil ich zu naiv gewesen war. Ich hatte die Hose mittlerweile entsorgt und vorher in tausend Teile zerschnitten. Meine Wut auf Jason Green konnte ich nicht mal in Worte fassen, doch ich versuchte sie runterzuschlucken. Da ich mich nicht bei Limax blicken lassen konnte und nie mehr das Gebäude von Green betreten wollte, hatte ich am nächsten Tag keinen Arbeitsplatz.

Um mit meinen Gedanken nicht allein zu sein, fuhr ich mit dem Zug in meine Unistadt und besuchte Jenny. Sie freute sich riesig, sah mir aber auch schnell an, dass es mir nicht gut ging. Sie lenkte mich ab, darin war sie immer gut gewesen. Ich und meine Freunde waren nie wirklich auf einer Wellenlänge gewesen, aber sie hatten immer gewusst, wie sie mich behandeln mussten. Ich erzählte Jenny nicht die ganze Geschichte mit Vanessa, aber die wichtigsten Fakten, um sie aufzuklären. „Das hätte ich dir gar nicht zugetraut, Küken", meinte Jenny schmunzelnd, als ich fertig erzählt hatte. Bei ihr hatte ich immer gewusst, dass sie mich für nichts jemals verurteilen würde. Jenny war der offenste Mensch, den ich kannte und ich war mir sicher, dass sie meine Sexualität schon immer besser kannte als ich selbst. Wir trafen uns mit Tyler, Mia und ihrem neuen Freund in einem unserer Lieblingscafés. Ich bestellte wie immer eine heiße Schokolade und genoss die Zeit mit meinen Freunden. Irgendwann lehnte Tyler sich zu mir herüber und fragte: „Wie geht es deiner heißen Chefin?" Ich runzelte die Stirn, konnte in seinem Blick jedoch sehen, dass er genau wusste, was abging. Er grinste und flüsterte: „Ich habe den Sex mit dir sehr genossen, aber ich weiß, wenn jemand nicht auf mich steht. Wenn du diese Frau haben kannst, stelle ich mich gerne in ihren Schatten." Ich blickte ihm in die Augen und lächelte ehrlich. Es tat gut, von meinen Freunden solche Unterstützung zu erhalten. Mias neuer Freund war ebenfalls sehr nett und sogar ähnlich verrückt nach Büchern wie ich. Als ich ihm erzählte, dass ich am neuesten King-Roman Co-Autorin war, bekam er sich gar nicht mehr ein. Es war ein schöner Abend, an dem ich zumindest ein paar Stunden keine Gedanken daran verlor, dass mein Herz wehtat. Erst abends als ich auf Jennys Sofa lag, wagte ich einen Blick in mein Handy. Ich sah, dass Vanessa mich nach meinen vergeblichen Anrufen blockiert hatte. Es fuhr ein Stich in mein Herz und sofort sammelten sich Tränen in meinen Augen. War ich ihr wirklich so egal? Sie würde für ihre Karriere wohl alles tun. Ich brauchte ewig, um einzuschlafen und wachte jede Stunde mindestens einmal auf. Wie konnte eine Frau so viel in mir auslösen?

Am nächsten Tag besuchte ich eine Lesung in meiner alten Buchhandlung und merkte, wie sehr ich mich verändert hatte. Jeden Autor verglich ich automatisch mit Vanessa und wusste, dass niemand an sie herankommen könnte. Wie hatte ich je denken können, dass sie nicht faszinierend war und jede Anerkennung verdient hatte. Ich setzte mich nach den Lesungen auf eine Bank in die Sonne und hörte Musik. Wie so oft in letzter Zeit schaute ich mir das einzige Bild an, das ich je von Vanessa gemacht hatte. Es war an einem Abend entstanden, an dem sie mir ihre ehrliche Seite gezeigt hatte. Die Seite, die niemanden je mit Absicht verletzen würde oder mir weh tun könnte. Die Seite, die mich ständig zum Lachen brachte und unglaublich liebevoll sein konnte. Das Bild zeigte sie auf dem Bett liegend mit der Decke im Arm. Sie grinste und hatte die Augen geschlossen, ihre Haare fielen neben ihr offen aufs Kissen. Genau so mochte ich sie am allerliebsten und ich spürte, wie sehr sie mir fehlte. Ich erinnerte mich daran, wie wir uns als Kinder ohne Worte verstanden hatten. Wir hatten uns immer nur ansehen müssen und gewusst, was der andere dachte. Ich war mir sicher, dass ich mich nie mehr einem Menschen so nah fühlen könnte wie ihr. Ich hatte mich in sie verliebt, ohne zu wissen wer sie war. Ich würde mich in jedem Leben wieder in sie verlieben, ohne etwas dagegen tun zu können. Ich fragte mich, ob Vanessa sich immer noch schuldig fühlte, weil sie mir nicht die Wahrheit gesagt hatte. Wahrscheinlich überwiegte ihre Wut auf mich mittlerweile. Sie war schon als Kind schnell wütend geworden, aber lange war sie es auf mich nie gewesen. Früher hatte ich immer darauf bestanden, dass sie mir verzeihen musste, weil wir einen Freundschaftskodex gehabt hatten. Wir hatten uns immer mit unseren kleinen Fingern geschworen, dass wir gegen den Rest der Welt stehen würden, egal was auch kommen möge. Ich schmunzelte über die Erinnerung, als mich Schritte aus meinen Gedanken rissen. „Hey Träumerin", sprach mich Jenny von der Seite lachend an. „Oh hey", erwiderte ich und setzte mich aufrechter hin. Sie sagte mir, dass wir heute Abend ins Kino gehen würden. Es wurde ein schöner letzter Abend, bevor ich wieder zurück musste.

Jenny drückte mich ganz fest zum Abschied und Tyler wünschte mir zwinkernd viel Glück. Mia und ihr Freund gaben mir eine ihrer selbstgezüchteten Pflanzen mit, über die sich Kayla bestimmt freuen würde. Ich konnte nicht anders als zu weinen, weil mir meine Freunde fehlen würden. Ich hatte sie immer viel zu wenig geschätzt, sie waren tolle Menschen und ich war froh, sie zu haben.

Show me your dark linesOù les histoires vivent. Découvrez maintenant