14.

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Die nächsten Tage schrieb ich eine Seite nach der anderen und wenn ich keine Motivation hatte, ging ich zu Vanessa ins Büro.

Wenn wir allein waren, behandelte sie mich nicht mehr wie ihre Assistentin. Dann lächelte sie mich ehrlich an und zog mich hin und wieder in einen Kuss. Einmal, nachdem sie ein hitziges Gespräch mit einem Angestellten geführt hatte, nahm sie meine Hand und zog mich von meinem Schreibtisch weg. Sie nahm mich mit in ihr Büro und schloss die Tür hinter uns ab. Dann war sie mit zwei Schritten bei mir und drückte ihre Lippen stürmisch auf meine. Ich erwiderte den Kuss sofort, weil ich mich so sehr nach ihrer Nähe sehnte. „Sag mir, dass ich kein schlechter Mensch bin", flüsterte sie zwischen den Küssen. „Du bist kein schlechter Mensch", erwiderte ich sofort und ließ mich von ihr auf den Schreibtisch heben. Sie streichelte meinen Bauch und ihre Hände fanden den Verschluss meiner Hose. „Sag mir, dass du nicht schon mal wegen mir weinen musstest", raunte sie und ich erinnerte mich an einige Male, in denen das der Fall gewesen war. Schnell griff ich nach ihren Handgelenken und hielt sie auf. „Was ist los?", fragte ich vorsichtig und zwang sie, mir in die Augen zu sehen. Sie erwiderte meinen Blick nur für eine Sekunde, dann sanken ihre Schultern herab und sie seufzte. „Nichts", meinte sie und ließ von mir ab. Ich runzelte die Stirn und sah ihr dabei zu, wie sie sich die Kleidung glatt strich. „Du kannst mit mir reden", meinte ich und stand auf. Sie schüttelte den Kopf und stellte sich vor das Whiteboard. „Es gibt nichts zu reden", erwiderte sie kühl und sah mich nicht an. Wut und Unsicherheit keimten in mir auf und brachten mich dazu, zu sagen: „Ich lasse nicht zu, dass du mich benutzt, um deinen Stress abzubauen." Sofort drehte sie sich zu mir um und runzelte verwirrt die Stirn. Ich hasste es, mich vor ihr immer so unsicher und verlegen zu fühlen. Also ging ich der Situation aus dem Weg, indem ich ihr Büro verließ und mich an meinen Schreibtisch setzte. Sie schloss ihre Tür nach einigen Minuten und ich versuchte einfach weiterzuschreiben. Ich hatte genau gesehen, dass ihr etwas auf dem Herzen lag, sie es aber nicht mit mir teilen wollte. Scheinbar war ich nur für das Körperliche gut genug, ich hätte Jason glauben sollen.

Den Rest des Tages sah ich Vanessa nicht mehr und am nächsten Morgen war sie nicht im Haus. Ich gesellte mich zu Rosie an die Rezeption und plauderte ein wenig mit ihr. Sie wusste immer den neuesten Klatsch, was ziemlich amüsant war. „Wo ist Miss King, wenn ich sie nicht begleite?", fragte ich sie irgendwann. Sie runzelte die Stirn: „Hat sie dir das gar nicht gesagt? Sie hat sich krank gemeldet." Was? Ging es ihr schlecht? Ich wollte mir keine Sorgen machen, doch es passierte automatisch. „Sie fehlt jedes Jahr an diesem Tag. Ich weiß nicht, was sie an diesem Tag macht, aber den Grund hat sie mir tatsächlich mal gesagt", erzählte Rosie. Wie gebannt hing ich an ihren Lippen, als sie mir die traurige Geschichte von Vanessa King erzählte. Von der Kindheit ohne richtiges Zuhause, den von Drogen abhängigen Eltern, die schließlich an ihrer Sucht gestorben waren. Hin zu den vielen Jahren in denen sie sich hochgekämpft hatte, stets auf sich gestellt und allein mit all ihrem Schmerz. „Es ist der Todestag ihrer Eltern", meinte Rosie und ich nickte verständnisvoll. Nach dem Mittag nahm ich den Laptop mit und tat so, als würde ich zuhause weiterschreiben.

Tatsächlich fuhr ich zu Vanessas Haus und klingelte. Ihre Geschichte war mir nahe gegangen und es erklärte, warum sie sich mir nicht öffnen konnte. Ich wollte für sie da sein und ihr zeigen, dass sie nicht allein war. Das Tor war nicht wie beim letzten Mal offen und es öffnete mir auch keiner. Also kletterte ich kurzerhand herüber, wobei ich mir meine Bluse halb zerriss und beim Sprung auf den Asphalt knickte ich um. „Fuck", fluchte ich und versuchte den Schmerz einfach wegzudrängen. Natürlich öffnete mir auch an der Haustür niemand, doch ich hörte ein Knistern von hinterm Haus. Also humpelte ich um die riesige Villa herum und sah dort auf der riesigen Terrasse tatsächlich Vanessa. Sie saß auf dem Boden und hatte ihre Arme um ihre angewinkelten Beine geschlungen. Ausnahmsweise trug sie eine Jogginghose und ein weites Shirt. Vor ihr stand eine Feuerschale, in der irgendetwas brannte, auf das sie starrte. Als ich nur noch wenige Meter von ihr entfernt war, trat ich auf einen Ast und Vanessa zuckte zusammen. Ihr Blick wurde etwas weniger erschrocken, als sie mich erkannte. Ich beschloss am besten einfach gar nichts zu sagen und setzte mich nur neben sie. Es schien die richtige Entscheidung gewesen zu sein, denn nach einigen Minuten legte sie ihren Kopf auf meiner Schulter ab. So saßen wir ziemlich lange und beobachteten das kleine Feuer, bis es ausging. Dann richtete Vanessa sich wieder etwas auf und blickte mich an. „Musst du nicht arbeiten?", fragte sie und ich musste automatisch etwas lächeln. „Mein Boss wird hoffentlich ein Auge zudrücken." Sie grinste leicht, auch wenn sie immer noch traurig wirkte und meinte: „Ist dein Boss nicht ziemlich scheiße?" Ich schüttelte sofort den Kopf und sah ihr in die Augen: „Mein Boss ist die außergewöhnlichste Person, die ich kenne und wenn sie jemanden zum Weinen bringt, dann nur, weil sie selbst nie weinen darf." Ich sah, dass meine Worte Vanessa nicht kalt ließen und Tränen stiegen in ihre Augen. Sie schluckte und musterte mein Outfit, wodurch sie zum Glück wieder grinsen musste. „Wieso siehst du aus, als hättest du ums Überleben kämpfen müssen?", fragte sie und zum ersten Mal an diesem Tag kehrte das Leuchten in ihre Augen zurück. „Also weißt du, auf dem Weg hierher musste ich gegen einen Tiger kämpfen, aber ich habe ihn besiegt, weil ich geheime Superkräfte habe." Sie schmunzelte und spielte an ihrer Jogginghose herum. „Ich habe viel Fantasie, aber das kann nicht mal ich mir vorstellen. Wenn du eine Superkraft hast, dann ist es Ungeschicklichkeit und das ist kein Geheimnis." Ich verdrehte grinsend die Augen und meinte: „Was denkst du, was passiert ist?" Sie musterte mich und nach einer Weile grinste sie: „Ich denke, du hast nicht kapiert, dass an deinem Schlüssel auch einer für die Tür neben meiner Einfahrt ist und bist über das Tor geklettert." Ich runzelte verwirrt die Stirn und fischte den Schlüsselbund aus meiner Hosentasche. Ich hatte bei einigen von ihnen keine Ahnung, wozu sie gut waren, also hielt ich ihn vor Vanessas Augen. Sie schmunzelte und zeigte auf den einen davon. „Das ist doch nicht wahr", murmelte ich und brachte mein Gegenüber damit zum Lachen. Ich stimmte schließlich ein und nach einigen Minuten nahm Vanessa meine Hand. Sie hielt sie mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass ich lächeln musste. Vielleicht würde es dauern, bis sie sich mir öffnen würde, doch es würde sich lohnen.

Wir saßen noch länger draußen, bis es irgendwann dunkel wurde und wir hineingingen. Auf dem Sofa schauten wir Fernsehen und ich sah eine völlig andere Vanessa King. Eine, der es egal war, wie sie aussah und ob sie sich anständig verhielt. Eine, die Popcorn in sich hineinstopfte und mich damit abwarf. Eine, die mich in einen Kuss zog, als ich versuchte, sie zu kitzeln.

Sie zeigte mir eine Vanessa King, in die ich mich sofort und ohne darüber nachzudenken Hals über Kopf verlieben würde. Obwohl sie eine Frau war und obwohl sie meine Chefin war. Das alles würde meinem Herzen egal sein, da war ich mir sicher. Ich wusste nur nicht, was mein Kopf dagegen tun würde.

Show me your dark linesWhere stories live. Discover now