47.

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Die Woche zog sich unfassbar in die Länge und ich war nach der Autofahrt zu Kayla völlig ausgelaugt. Sie öffnete mir die Tür und zog mich sofort in eine feste Umarmung. Der Duft von frischer Pasta weckte schöne Erinnerungen an unsere Abende auf dem Balkon. „Ich zeige dir meine neueste Kreation, du musst hungrig sein." Ich lachte und nickte: „Sehr gerne." Als wir mit vollen Bäuchen auf der Couch saßen und einen Horrorfilm schauten, meinte ich: „Morgen besuche ich den Verlag. Ich muss sehen, wie es da jetzt läuft." Kayla nickte nachdenklich und erwiderte: „Hauptsache du kommst abends ins Restaurant. Alle vermissen dich schrecklich." Ich musste lächeln, ich hatte mein Zuhause auch vermisst. Hier fühlte ich mich so wohl wie sonst nahezu nirgends.

Die Sonne schien mir warm aufs Gesicht, als ich die paar Straßen zum Verlag lief. In meinem Bauch spürte ich die Aufregung und Anspannung. Meine letzten Erinnerungen an Limax waren allesamt negativ. Ich hoffte einfach darauf, dass sich die meisten nicht an mich erinnern würden. Es war seltsam das Gebäude zu betreten und dabei keinen Kaffee in der Hand zu halten. Wie früher liefen viele Menschen durch das Foyer, sodass mich keiner bemerkte. Mein Blick fiel auf das Logo an der Wand, das ich mit ausgesucht hatte. Ich blieb kurz davor stehen und musterte unsere Namen auf den Buchstaben. „Trügen mich meine Augen?", riss mich eine tiefe Stimme aus meinen Gedanken. Ich drehte mich um und musste sofort lächeln. Ben stand vor mir, doch er sah völlig verändert aus. Sein Auftreten war selbstsicherer und er trug einen schicken Anzug, der ihm wirklich gut stand. Er lächelte breit und zog mich wie selbstverständlich in eine Umarmung. „Du siehst super aus", meinte er, „und du musst mir sofort erzählen, wo du dich jetzt herumtreibst." Ich lachte und erzählte ihm, dass ich in meine Heimat zurückgekehrt war. Wir liefen durch die Gänge des Verlags und er zeigte mir begeistert, was er alles verändert hatte. „Immer wenn ich über die Stränge schlage, ist Rosie da und verhindert es. Miss King kommt alle paar Wochen her und begutachtet unsere Arbeit", erklärte er. Bei Vanessas Namen schluckte ich und Ben schien es nicht entgangen zu sein. „Ich nehme stark an, dass ihr nicht mehr zusammen seid", fragte er vorsichtig und ich nickte. Ich musterte die Bilder an den Wänden, alles wirkte ein wenig familiärer als früher. „Es gefällt ihr bestimmt, was ihr macht", murmelte ich und Ben lächelte. „Gefällt es dir auch? Schließlich gehört dir der Verlag noch immer." Ich musste schmunzeln, weil diese Tatsache so seltsam war. Ich nickte: „Ich finde es fantastisch." Er lächelte stolz und wir liefen noch ein wenig durch das Gebäude. Dann bekam er allerdings einen Anruf und meinte: „Entschuldigst du mich? Rosie hat bestimmt ein bisschen Zeit für dich." Ich winkte ihm lächelnd und machte mich auf den Weg zu dem Büro, das früher Vanessas gewesen war.

Als ich in dem Vorraum ankam, sah ich bildlich vor mir, wie ich dort gesessen hatte. Ich spürte förmlich wieder Vanessas Blick auf mir, der mich musterte. Ich klopfte an der Tür und sofort ertönte Rosies Stimme: „Ja bitte?" Sie war gerade dabei einige Unterlagen auszufüllen und schaute nur kurz auf. Als sie mich erkannte, ließ sie alles liegen und ihre Augen weiteten sich. „Du bist hier?", fragte sie verblüfft und leicht entsetzt. Ich runzelte die Stirn: „Die Begrüßung habe ich mir anders vorgestellt." Sie stand auf und kam auf mich zu: „Nein du verstehst nicht." Sie fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und meinte: „Vanessa war bis eben hier. Sie ist gerade drauf und dran zu dir zu fahren. Ich weiß nicht, ob ich euch jemals verstehen werde." Meine Augen weiteten sich und mein Herz schlug sofort doppelt so schnell. Vanessa war hier? Sie wollte zu mir? „Was?", fragte ich nur, doch Rosie rüttelte sofort an meinen Schultern. „Vielleicht ist sie noch nicht weg. Wenn du es ehrlich meinst, dann lauf ihr nach." Darüber brauchte ich nicht eine Sekunde lang nachzudenken. Ich nickte und machte auf dem Absatz kehrt. Beim Aufzug prügelte ich förmlich auf den Knopf ein, doch er war in einem völlig anderen Stock. Also lief ich zu den Treppen und rannte sie so schnell ich konnte herunter. In der Tiefgarage angekommen wünschte ich mir wirklich, ich wäre öfter joggen gewesen in den letzten Monaten. Meine Augen scannten die Autos ab und am Ende der Garage sah ich eine Silhouette, die ich auch aus der Entfernung sofort erkannte. Ich rannte zu ihr und als ich ankam, musste ich erstmal nach Atem ringen. Vanessa kramte auf der Rückbank herum und schien gehört zu haben, wie ich mich am Auto festhielt.

„Rosie, du kannst mich nicht mehr umstimmen. Ja, sie hat mich verlassen und es hat mich verletzt, aber sie hat es für mich gemacht. Sie hat immer alles für mich gemacht und nur weil ich so egoistisch bin, habe ich sie überhaupt gehen lassen. Sie ist meine Familie und ich liebe sie viel mehr als meine blöde Karriere oder meinen Stolz. Das werde ich ihr sagen und wenn es das letzte ist, was ich tue." Sie richtete sich wieder auf und schlug die Autotür zu: „Vielleicht habe ich noch eine kleine Chance." Ihre letzten Worte waren weniger selbstsicher als die vorherigen und sie schaute dabei auf ihre Hände. Immer noch außer Atem brachte ich nur heraus: „Die hast du."

Sofort schoss ihr Blick nach oben und ihre komplette Haltung änderte sich. Ihre Augen weiteten sich und Verwirrung schimmerte in ihnen. „Ich.." , wollte sie anfangen, doch ich unterbrach sie sofort. „Ich habe alles gehört", meinte ich, mein Atem beruhigte sich langsam wieder. Ich ging einen Schritt auf sie zu und griff nach ihrer Hand. Unsere Blicke trafen sich und in Vanessas Augen sah ich all die Gefühle, die gerade zwischen uns standen. Ich umfasste ihren Ringfinger und zog das kleine silberne Schmuckstück von ihm: „Gib mir diesen verdammten Ring. Wenn du jemals wieder einen trägst, dann den, den ich dir auf Knien schenke." Ein Lächeln umspielte Vanessas Lippen.

„Wir zwei gegen den Rest", flüsterte sie, doch da hatte ich sie schon an mich gezogen.

Unsere Lippen trafen sich und unsere Herzen waren endlich wieder vereint.

Show me your dark linesWhere stories live. Discover now