34.

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Die Party ging noch bis spät in die Nacht und irgendwann tauchte jemand auf, den ich seit Wochen nicht gesehen hatte. Er trug einen schicken Anzug und hinter seinen Brillengläsern erkannte ich seinen angriffslustigen Blick. Jason Green war hier und ich wollte ihn definitiv nicht sehen. Bevor ich flüchten konnte, erkannte er mich und beschleunigte seine Schritte in meine Richtung. Als er vor mir stand, schaute er auf mich herab: „So wirst du mich also bezahlen? Indem du dich hochschläfst?" Ich verengte meine Augen und erwiderte: „Der Verlag gehört mir schon seit seiner Gründung, tut mir leid, wenn du dich jetzt verarscht fühlst." Sein Kiefer spannte sich an und eine Ader an seiner Stirn trat hervor: „Du wirst dafür bezahlen! Mit Vanessa zu schlafen hat noch nie jemandem weitergeholfen." Etwas an seiner Aussage ließ mich stutzen, wie meinte er das? Er griff an mein Handgelenk und flüsterte: „Ich werde euch zerstören und dann wirst du mich um einen Job anbetteln." Ich wollte mich aus seiner Klammerung lösen, doch sein Griff war zu fest. „Lass sie sofort los", ertönte eine bebende Stimme hinter mir und Jason tat sofort, was sie sagte. Vanessa trat schützend vor mich und blitzte Jason an: „Verlass sofort dieses Gebäude und betritt es nie wieder." Ihre Stimme war so eiskalt, dass er nur erstaunt die Augen weitete und schließlich wirklich mit schnellen Schritten weglief. Vanessa sah ihm nach und hatte dabei eine Hand zur Faust geballt.

Als er aus der Tür verschwunden war, drehte sie sich zu mir und betrachtete mein Handgelenk: „Alles in Ordnung?" Ich nickte sofort und wollte gehen, doch sie berührte sanft meinen Oberarm, um mich daran zu hindern. „Es tut mir leid, Lia." Ich seufzte und mied den Augenkontakt zu ihr. Ich wollte ihre Ausreden nicht hören und ich wollte ihr nicht wieder verzeihen. „Schon gut", murmelte ich und flüchtete zu den anderen Angestellten. Dahin würde sie mir nie folgen, da war ich mir sicher. Rosie brachte mich nach Hause als es schon wieder hell wurde und als ich in meinem Bett lag, liefen die Tränen ein zweites Mal in dieser Nacht über meine Wangen.

Die nächsten Tage plätscherten nur an mir vorbei, in der Firma lief es gerade super, sodass kaum jemand mit seinen Problemen zu mir kam. Die meiste Zeit saß ich nur in meinem Büro und schrieb ein bisschen. Vanessa sah ich nicht und ich war wirklich froh darüber. An dem Donnerstag nach der Party kam einer meiner Kollegen in mein Büro. Er hieß Ben und gehörte mit seinen 22 Jahren zu den jüngeren Autoren des Verlags. „Hey, willst du mit uns essen?", fragte er freundlich, ich hatte die letzten Tage immer allein gegessen. Ich wollte ablehnen, doch sein freundlicher Blick überzeugte mich dann doch mitzukommen. Die anderen freuten sich über meine Anwesenheit und erzählten mir den neuesten Klatsch. Ich hatte mich daran gewöhnt, dass niemand von den anderen je einen wirklichen Chef in mir sehen würde. Es gefiel mir sogar, da ich so einfach ehrlich und ich selbst sein konnte. Allerdings war ich auch nicht für die blöden Sachen zuständig, die einen als Chef unbeliebt machen. Manchmal tat es mir leid, dass Vanessa immer der miese Boss sein musste. Dann fiel mir aber wieder ein, dass ich ihr nichts wert war und ich verdrängte das Mitleid. Sie hatte mit Sicherheit kein Mitleid mit mir. Was sich allerdings seit der Party geändert hatte, war mein Ansehen im Verlagswesen. Leute schrieben ihre Bewerbungen direkt an mich oder schrieben mir nette Mails. Viele fragten wann mein erstes eigenes Buch herauskommen würde. Von dem Buch, das Vanessa und ich zusammen geschrieben hatten, gab es mittlerweile eine eigene Ausgabe auf der auch mein Name draufstand. Kayla hatte an einem Abend stolz mit einem Buch vor mir gestanden und es feierlich auf unserer Kommode platziert. „Dein erstes Buch. Es ist heilig, auch wenn du es mit der Herzensbrecherin geschrieben hast", hatte sie damals gesagt. Sie hatte mir versprochen, mich auf die nächste Gala zu begleiten und Vanessa Todesblicke zu zuwerfen. Ich war wirklich froh eine Freundin wie Kayla an meiner Seite zu haben. Immerhin hatte ich jetzt in der Firma auch einige Freunde gefunden.

„Seit wann kennst du Miss King eigentlich?", fragte Ben mich beim Essen, während er vergeblich versuchte mit Stäbchen seine Nudeln zu heben. „Ich kenne sie schon mein Leben lang", murmelte ich als Antwort und wie immer musste ich an unsere gemeinsame Kindheit zurückdenken. Es war das erste Mal, dass ich jemandem im Verlag davon erzählte. Seit Vanessas Bekanntmachung auf der Party sah ich keinen Sinn mehr darin, Leute anzulügen. Bens Augen weiteten sich und auch einige andere lenkten ihre Aufmerksamkeit auf mich. „Wieso hat nie jemand von dir gewusst?", schaltete sich Julia ins Gespräch mit ein, sie arbeitete schon seit vielen Jahren hier. „Wir hatten unsere Differenzen", meinte ich, weil die wahre Geschichte wohl niemand verstehen würde. „Jetzt ist aber alles wieder gut?", fragte Ben, der mittlerweile aufgegessen hatte. Viele Augenpaare warteten gespannt auf meine Antwort, sodass ich einfach nickte. Ich sah in den Blicken der anderen förmlich, dass sie sich keine Freundschaft zwischen mir und Vanessa vorstellen konnten. Äußerlich waren wir so unterschiedlich wie Tag und Nacht. „Gebt ihr eine Chance", meinte ich und verschränkte meine Finger ineinander, „es ist nicht einfach so jung eine Firma zu leiten und ihr Weg hierher war nicht leicht." Die anderen nickten etwas betreten, nur Rosie grinste wissend. Sie hatte längst durchschaut, dass Vanessa mein liebster Mensch auf der Welt war. „Aber sie hat doch sogar dich fertig gemacht. Trotzdem verteidigst du sie? Sie ist doch kein guter Mensch", fragte einer der Autoren, die immer ein bisschen übers Ziel hinausschossen. Er war noch nicht oft beim Essen dabei gewesen, sodass ich seinen Namen nicht kannte. In diesem Moment riss mein Geduldsfaden, ich war vielleicht kein normaler Chef, aber man durfte sich auch nicht alles bei mir leisten. Ich stand auf und meinte laut: „Ich würde Vanessa King mit meinem Leben verteidigen und sie ist ein besserer Mensch als fast alle Leute, die ich kenne. Bevor ich nochmal höre, dass irgendwer ein schlechtes Wort über sie verliert, werde ich dafür sorgen, dass er von ihrem Erfolg keinen Cent mehr abbekommt." Sofort nickten alle gehorsam und Rosie lächelte irgendwie stolz. Ich seufzte und drehte mich, um zu gehen. Als ich ausgerechnet Vanessa in der Tür stehen sah, atmete ich genervt aus. Sie hatte alles mit angehört und ich erkannte genau den Blick in ihren Augen. Auf ihren Lippen lag ein leichtes Lächeln, doch diesen Erfolg wollte ich ihr nicht gönnen. Als ich an ihr vorbeiging, zischte ich: „Lern deine Mitarbeiter zumindest kennen, bevor du sie feuerst."

Damit verließ ich den Raum und ließ verdutzte Angestellte und eine noch verdutztere Chefin zurück.

Show me your dark linesWhere stories live. Discover now