38.

2.5K 129 0
                                    

„Warum trägst du heute keinen Ring?", fragte ich und streichelte Vanessas Hand, die auf meinem nackten Bauch lag. Sie regte sich an meiner Schulter, war wohl kurz davor gewesen, einzuschlafen. Die letzten Stunden waren wunderschön gewesen und ich fühlte mich ihr so nah wie nie zuvor.

Müde richtete Vanessa sich leicht auf und streichelte über meinen Bauch. „Der Ring hat meiner Mutter gehört und er war das Einzige, was ich aus den Flammen retten konnte." Ich hatte geahnt, dass das Schmuckstück ihr viel bedeuten musste. Sie sah mir in die Augen und lächelte dann schief: „Er hat mich immer daran erinnert, dass man keinem Menschen wichtig genug ist, um sich auf ihn zu verlassen. Ich habe ihn abgenommen, weil ich es jetzt besser weiß." Ich lächelte und zog sie in einen kurzen, sanften Kuss. Ich seufzte nachdenklich und Vanessa zog eine Augenbraue hoch. „Was brennt dir auf der Seele?", fragte sie, als könnte sie meine Gedanken lesen. Ich seufzte und fragte, was mir schon ewig durch den Kopf spukte: „Hast du jemals versucht, mich zu finden?" Der Schmerz in mir kam unwillkürlich wieder hoch und ich schaffte es nicht, sie anzusehen. Ich merkte, dass ich auch nie wirklich verkraftet hatte, dass mein Vater mich verlassen hatte. „Ich war für kurze Zeit in einer Pflegefamilie. Meine Pflegeeltern haben versucht deine Adresse herauszufinden, sie haben jedenfalls gesagt, dass sie das tun. Ich glaube nicht, dass sie irgendetwas getan haben. Meine Eltern haben nach unserem ersten Umzug gesagt, dass ich niemals zurücksehen darf. Bei jedem weiteren haben sie das Gleiche gesagt und als sie schließlich starben, haben ihre Worte weitergelebt. Ich habe nie zurückgesehen und ich habe dem Drang nie nachgegeben, in mein altes Heimatdorf zu fahren." Tränen sammelten sich in meinen Augen und ich sah, dass Vanessa ebenfalls glasige Augen hatte. „Ich wusste, dass deine Mutter mich mit offenen Armen aufgenommen hätte, aber genau das wollte ich nicht. Ich wollte keine Last sein für eine so großartige Familie wie deine. Ihr wart die einzigen Menschen, die mir jemals echte Liebe geschenkt haben. Ich konnte euch einfach nicht unter die Augen treten. Ich weiß, dass es egoistisch von mir war." Ich schluckte und sah, wie viel Schmerz Vanessa mit sich herumtrug und welche Last sie stemmte. Da wich all die Wut von mir und wurde von Mitgefühl ersetzt. Wie konnte ich mich beschweren, dass sie mich hatte vergessen wollen? Sie hatte so viel durchgemacht. Ich zog sie in meine Arme und drückte sie fest an mich. Überrascht zuckte sie zusammen, entspannte sich aber sofort und ich spürte, wie sie in meine Schulter weinte. „Es tut mir leid", flüsterte ich und streichelte ihren Rücken, „du wirst nie mehr allein sein." Seit ich Vanessa bei Limax zum ersten Mal wieder gesehen hatte, hatte ich sie nie so verletzlich gesehen. Sie klammerte sich an mich wie an einen Rettungsring und ihre Brust zitterte vom Schluchzen. Nie mehr würde ich zulassen, dass jemand dieser Frau wehtat. „Max?", fragte ich und spürte, wie Vanessa leicht lächeln musste. Sie brummte nur als Antwort und ich meinte: „Du bist echt schwer." Da lachte sie und machte sich nochmal extra schwer. Kichernd versuchte ich sie von mir wegzudrücken, doch es endete darin, dass wir auf dem Bett rangelten. Irgendwann schaffte ich es, sie festzumachen und wir schnappten nach Atem. Vanessa sah mich an und meinte: „Bitte nenn mich nicht mehr Max. Dann habe ich das Gefühl ich wäre zehn und meine Gedanken sind nicht jugendfrei." Ich musste lachen und streichelte über ihren Schulterknochen: „Dann nenne ich dich Van." Sie verdrehte schmunzelnd die Augen: „Wenn es unbedingt sein muss." Ich nickte nur und beugte mich zu ihr herunter. Es gab viele Dinge, die ich Vanessa noch fragen wollte und noch mehr Dinge, die ungeklärt zwischen uns standen. In diesem Moment jedoch war die Welt für einige Sekunden einfach perfekt. Ich kuschelte mich in die Arme der Frau, die ich liebte und fühlte mich endlich wieder sicher.

Der nächste Tag begann mit einem wunderschönen Frühstück im Bett und Nachtisch in Form von viel körperlicher Nähe. Wir schauten uns einen Film an und Vanessa erzählte mir vieles über ihre Vergangenheit. Schließlich redeten wir auch über die letzten Wochen. „Du hast keine Ahnung, wie ich ausgeflippt bin, als ich den Artikel gelesen habe. Weißt du, wie das für mich aussah? Du hattest gesagt, dass du mein Geschenk geöffnet hast. Ich dachte, ich wäre dir scheiß egal und du hättest mich nur ausgenutzt." Ich lächelte schief und nahm ihre Hand: „Es tut mir so leid, ich war zu stolz und wollte einfach, dass du dich auch mal blöd fühlst. Natürlich hatte ich das Geschenk nicht aufgemacht. Und Jasons Aktion war einfach das allerletzte, ich hätte ihm dafür am liebsten ins Gesicht geschlagen." Sie lächelte und erzählte, dass es verdammt schwer für sie gewesen war, mich zu Green gehen zu lassen. Vanessa zeigte mir, wie viele Gefühle sich in ihr regten. Endlich bekam ich die Bestätigung, dass ihr das alles genauso nah gegangen war wie mir. „Natürlich ist mir mein Job wichtig", meinte sie, „aber ich bin Schriftstellerin, wie soll ich da meine Gedanken verstecken. Ich kann nicht schreiben, wenn ich nicht ich selbst sein kann." Ich nickte und verstand sie wirklich gut. „Weißt du noch, wie wir früher in meinem Baumhaus Geschichten geschrieben haben?", fragte ich und sie grinste sofort. „Willi, der kleine Drache und seine Freunde? Wie könnte ich die vergessen." Ich lachte und unglaubliche Freude machte sich in mir breit. So nah hatte ich mich noch nie zuvor einem Menschen gefühlt. Ich liebte Vanessa King so sehr, doch etwas in mir warnte mich davor, es ihr zu sagen. Klar, ich hatte ihr schon einmal meine Liebe gestanden, aber nicht auf diese Weise. „Was hast du an deinem ersten Tag über mich gedacht?", fragte sie und riss mich damit aus meinen Gedanken. Ich musste leicht lachen, als ich an unsere erste Begegnung zurückdachte. „Ich dachte, dass du die arroganteste Person bist, die ich jemals gesehen habe. Du hast mich ja nicht mal wahrgenommen." Sie hob ihren Finger und bewegte ihn hin und her: „Das stimmt so nicht." Ich zog fragend eine Augenbraue hoch und brachte sie damit zum Lachen. Ich liebte es, wenn sie so lebendig war und nicht ihre Unternehmermiene trug. „Eine Frage habe ich noch", meinte ich und Vanessa grinste weiterhin. Sie schaute mich erwartungsvoll an und ich legte meinen Kopf schief: „Hast du mit Jason Green geschlafen?" Ertappt presste Vanessa ihre Lippen aufeinander und hielt eine Hand vor ihren Kopf. „Das kann echt nicht dein Ernst sein", meinte ich lachend, auch wenn es mir innerlich einen kleinen Stich versetzte. Es machte mich wütend, dass dieser Typ Vanessa mal nackt gesehen hatte. Sie seufzte und fuhr sich durch die Haare, die sie heute mal offen trug. Ihr ganzes Outfit war heute sehr viel lässiger als sonst und ich fand, es stand ihr wirklich gut. „Ich war vielleicht gerade mal achtzehn und wir haben zusammen einen Kurs besucht. Auf einer Party war ich ziemlich betrunken und er war halt da und sah nicht schlecht aus", versuchte sie sich zu erklären. Ich konnte ihr wohl kaum Vorwürfe machen, schließlich hatte ich auch immer mit Tyler geschlafen. Er war zwar definitiv ein netterer Kerl als Jason, aber Vanessa hatte ihn damals ja kaum gekannt. „Wirst du mich trotzdem noch anfassen?", fragte sie und schenkte mir ihren besten Hundeblick. Ich lachte und tat so, als müsste ich gut darüber nachdenken. Da sprang sie auf mich und knutschte mein ganzes Gesicht ab. Ich lachte: „Ist ja gut, ich nehme dich auch mit Gebrauchspuren." Ich zog sie in einen Kuss und spürte, wie sie in ihn hineinlächelte.

Ich war glücklich und für einen Tag vergaß ich, dass ich mich geoutet hatte und ich das einigen Menschen erklären musste.

Show me your dark linesWhere stories live. Discover now