41.

2K 122 7
                                    

Zuhause war ich genauso allein wie an der Arbeit, weil Kayla im Restaurant war.

Am nächsten Morgen ging ich extra früh zum Verlag, um in Ruhe einiges zu schaffen. Je mehr Leute zur Arbeit kamen, desto unangenehmer wurde die Stimmung für mich. Viele meiner Angestellten tuschelten und einige warfen mir komische Blicke zu. Julia schien von Bens Ansage etwas besänftigt worden zu sein, doch freundlich war sie trotzdem nicht. Einige unserer Bewerber sagten kurzfristig die Gespräche mit mir ab, was mir in der Seele wehtat. War ich wirklich schuld daran, dass Limax seinen Ruf verlor? Der dritte Tag war der Schlimmste, weil über Nacht Leute die Wand des Gebäudes beschmiert hatten. Als ich die Beleidigungen las, krampfte sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Wie konnten Menschen so grausam sein? Ich lief zügig durch das Gebäude, um nicht schon auf dem Flur in Tränen auszubrechen. Als ich um die Ecke vor meinem Büro lief, stieß ich mit jemandem zusammen. Als der vertraute Geruch nach edlem Parfum in meine Nase stieg, konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich schluchzte auf und schon im nächsten Moment spürte ich, wie sich Vanessas Arme um mich schlossen. Ich krallte mich an sie, als wäre sie das letzte Stück Land im endlosen Meer. Ihre Körperwärme brachte mich sofort herunter und ich lehnte mein ganzes Gewicht auf sie. Sie streichelte mir über meinen Kopf und flüsterte: „Es ist alles gut, ich bin hier." Mit einem Mal spürte ich, wie sehr sie mir in den letzten Tagen gefehlt hatte. Sie war mein Fels in der Brandung, den ich brauchte, um nicht unterzugehen. „Es tut mir so leid", flüsterte sie mir zu, was mich dazu brachte, mich von ihr zu lösen. Ich wischte mir die Tränen weg und sah ihr in die Augen. Vanessa sah wie immer bildhübsch aus, aber man konnte unter ihrem Make-Up sehen, dass es ihr nicht gut ging. Ich schüttelte den Kopf: „Nein, mir tut es leid." Sie seufzte und zog mich mit sich in mein Büro, um in Ruhe reden zu können. Sie musterte mich besorgt und fragte: „Wie geht es dir?" Ich seufzte traurig und setzte mich auf meinen Stuhl. „Sie akzeptieren mich nicht." Ich erinnerte mich daran, wie Vanessa es damals prophezeit hatte. Ich war keine Chefin und würde es auch nie sein. „Das werde ich ändern", meinte Vanessa und kam dichter zu mir. Sie kniete sich vor mich und streichelte meine Oberschenkel. Natürlich würde sie das tun, sie würde mich immer beschützen. „Wie geht es dir?", fragte ich und griff nach ihrer Hand. Sie sah mir in die Augen und seufzte, dann erhob sie sich wieder. „Es ist stressig, aber es wird schon werden. Ich bin eine Frau und besitze ein Unternehmen, es ist nicht mein erster Kampf." Ich nickte nachdenklich und wieder wurde mir bewusst, dass sie so viel stärker war als ich. Wenn ich in Vanessas Augen sah, sah ich wieder das kleine Mädchen vor mir, das vor nichts Angst hatte. Das Mädchen, das mich dazu gebracht hatte, von der kleinen Klippe an unserem See zu springen und auf jeden Baum in der Gegend zu klettern. Ich lächelte leicht bei der Erinnerung und sofort leuchteten Vanessas Augen auf. Sie legte ihre Handfläche an meine Wange und gab mir einen sanften Kuss. „Wir schaffen das", flüsterte sie und lehnte ihre Stirn gegen meine.

In den nächsten Tagen verbrachte ich jede Nacht bei Vanessa, um abends nicht allein zu sein. Die Zeit in der Firma war schrecklich und ich fühlte mich nicht mehr wohl. Vanessa ließ sich nichts anmerken, doch von Abend zu Abend wirkte sie ausgelaugter. Keiner wagte es, sie in der Firma anzugreifen, doch sie spürte auch die Unruhe unter den Angestellten. Kaum jemand kam noch in mein Büro und die Zahlen zeigten deutlich, was die Menschen von uns hielten. Manchmal vergaß ich in Vanessas Armen für eine Sekunde, wie sehr mich die Situation belastete. Dann war kurz alles in Ordnung, doch diese Momente verstrichen viel zu schnell. Als ich an einem Wochenende wieder mal zuhause war, musterte Kayla mich besorgt: „Isst du genug?" Ich zuckte nur mit den Achseln und ließ mich von ihr bekochen. Sie kümmerte sich rührend, doch das Problem konnte sie leider auch nicht lösen. Abends weinte ich in meinem Zimmer und fragte mich, ob es das wirklich wert war. Ich telefonierte mit meiner Schwester und sie tröstete mich. „Vielleicht ging das alles einfach zu schnell mit euch. Wenn es sein soll, dann werdet ihr es schaffen. Versuch einfach das zu tun, was das Beste für euch beide ist."

Ich lag noch lange wach und fand keine Antwort darauf, was wirklich das Beste für uns war.

Show me your dark linesTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon