42.

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An dem folgenden Montag lief ich über den Flur auf dem Weg zu Vanessas Büro, als ich von einem der Mitarbeiter angerempelt wurde. Ich stolperte und rieb mir den Arm, hatte er das mit Absicht gemacht? „Hey!", hörte ich Vanessas wütende Stimme vor mir. Sofort blieb der Typ stehen und drehte sich zu seiner Chefin um. „Entschuldigen, sofort!", sagte Vanessa eisern, doch der Blick des Mannes wurde wütend. „Ich bin ihr nichts schuldig", zischte er und warf mir einen abwertenden Blick zu. Vanessa trat drohend einen Schritt vor, doch ich hielt sie mit meiner Hand auf. „Schon gut", flüsterte ich und suchte kurz Blickkontakt zu ihr. Sie musterte mich prüfend und nickte dann. „Gehen Sie mir aus den Augen", meinte sie genervt zu dem Mann, der sich sofort aus dem Staub machte. Sie ging ohne ein Wort in ihr Büro und ich folgte ihr. „Warum lässt du das mit dir machen?", fragte sie genervt und sortierte einige Unterlagen. Ich seufzte und meinte: „Sie wissen es eben nicht besser und wirklich verdient habe ich den Job nicht." Vanessa hielt in ihrer Bewegung inne und drehte sich zu mir um. Sie kam zu mir und griff nach meiner Hand: „Ohne dich würde es diesen Verlag nicht geben. Hätte ich dich nie gekannt, ich will nicht wissen unter welcher Brücke ich mir gerade was spritzen würde. Dank dir wollte ich besser sein als das, nur deshalb bin ich jetzt hier." Ihre Worte beruhigten mich etwas, doch ich fühlte mich trotzdem unwohl. Ich gehörte nicht in diesen Verlag und ich spürte es Tag für Tag etwas mehr. Ich legte die Unterlagen, die ich dabei hatte auf Vanessas Schreibtisch und meinte dann: „Bis nachher." Ich hörte sie hinter mir seufzen, als ich das Büro verließ, doch ich drehte mich nicht um.

Auch am Ende der Woche hatten die Blicke meiner Mitarbeiter nicht aufgehört und ich gewöhnte mich schon fast daran. Am Freitag beobachtete ich allerdings etwas, das alles veränderte. Ich war auf dem Weg in meine Mittagspause, als ich laute Stimme aus dem Pausenraum hörte. Von Weitem sah ich, dass mehrere Angestellte sich mit Vanessa anlegten. „Denken Sie gut darüber nach, was Sie sagen", hörte ich Vanessa zu einem unserer besten Autoren sagen. Er schnaubte allerdings nur und erwiderte: „Wenn sie weiterhin hier ist, werden Sie mich nicht mehr sehen." Die anderen nickten zustimmend und meine Augen weiteten sich bei dem Anblick, der sich mir bot. Ausnahmsweise sagte Vanessa nichts, was sollte sie auch erwidern. Tränen sammelten sich in meinen Augen und ich verließ so schnell es ging das Gebäude. An der frischen Luft liefen mir die Tränen über die Wangen und ich wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. Als ich Vanessas Gesicht auf einem unserer Werbeplakate sah, wurden mir zwei Dinge schmerzlich bewusst. Ich war Vanessa wichtig genug, dass sie bereit war, alles aufzugeben. All das, was sie sich so hart erkämpft hatte und allein aufgebaut hatte. In mir fällte ich eine Entscheidung, die alles verändern würde. Wenn sie alles für mich aufgeben würde, musste ich nur dasselbe für sie tun. Sie durfte ihr Lebenswerk nicht verlieren, das konnte ich nicht zulassen.

Am nächsten Tag hatte Vanessa ein Meeting in einer Außenstelle und war schon morgens kurz davor aufzubrechen. Als sie schon auf dem Weg nach draußen war, lief ich noch schnell in den Aufzug, den sie benutzte. Verdutzt sah sie mich an: „Alles gut?" Die Art, mit der sie mich ansah, die Wärme in ihren Augen. Wie sehr würde ich diesen Anblick vermissen. Ich seufzte und ging einen Schritt auf sie zu: „Ich wollte dir nur einen Abschiedskuss geben." Sie lächelte und zog mich an meiner Bluse zu sich. Ihre weichen Lippen bewegten sich sanft gegen meine und es zerriss mich innerlich. Ich genoss jede Sekunde dieses Kusses, kostete jede Berührung aus. Als der Aufzug in der Tiefgarage hielt, löste ich mich von ihr und lehnte meine Stirn gegen ihre. „Mach es gut, Van", flüsterte ich und sie sah mir in die Augen. Sie richtete sich auf, strich ihren Blazer glatt und lächelte mich schief an. „Vielleicht wird der Tag doch erträglich", meinte sie, zwinkerte mir zu und verließ den Fahrstuhl. Ich sah ihr hinterher und versuchte, die letzten Sekunden vor meinem inneren Auge abzuspeichern. Nie wollte ich ihr Zwinkern und ihr verschmitztes Lächeln vergessen. Ich lief durch die Gänge des Verlags und betrachtete ein letztes Mal die Wände. Ich würde dieses Gebäude vermissen, ja selbst die Menschen. Als ich Ben auf dem Gang traf, hielt ich ihn kurz am Arm fest und meinte: „Danke." Er schien etwas verwirrt, da schob ich hinterher: „Für alles." Ben hatte bis zuletzt hinter mir gestanden und ich war stolz, ihn meinen Freund nennen zu können. Er lächelte mir zu und meinte: „Immer wieder gerne." Mein Herz verkrampfte sich in meinem Brustkorb und ich ging schnell weiter bis in Vanessas Büro. Ich schnappte mir einen Zettel und einen Stift und schrieb.

Ich hielt die Tränen zurück, als ich das Büro verließ. Ich hielt sie zurück, als ich Rosie ein letztes Mal zulächelte und das Gebäude verließ. Ich hielt sie zurück als ich durch die Straßen der Stadt ging, die ich hinter mir lassen würde. Erst als ich im Auto die Häuser der Stadt nicht mehr sehen konnte, brachen sie über mich ein. Wie Flüsse rannen sie über mein Gesicht und verschleierten meine Sicht.

Ich hatte gedacht, dass ich mich niemals wirklich an jemanden binden könnte. Ich hatte gedacht, dass mein Herz von all den Ängsten fest in mir gehalten wurde.

Ich hatte mich getäuscht.

Es hatte immer ihr gehört und sie würde es behalten, solange es schlug.

Show me your dark linesМесто, где живут истории. Откройте их для себя