33.

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In den nächsten Tagen wurde mir bewusst, dass Vanessa nur ihre Arbeit hatte.

Die anderen Angestellten waren wie ein Schutzschild für mich vor ihr, da sie nie unter den Leuten war. Wenn ich morgens allein durch den Gang ging, traf ich sie manchmal und dann zog sie mich in Gespräche über irgendwelche organisatorischen Dinge. Unter den Angestellten spürte ich immer mehr, dass sie zwar bewundert wurde, aber auch als unnahbar galt. Die wenigsten von ihnen hatten je wirklich mit ihr gesprochen, was ich schade fand. Vanessa war mehr als nur das literarische Genie, doch niemand außer mir schien das zu wissen. Ich fragte mich, ob ihr das gar nichts ausmachte oder ob sie es sich nur nicht anmerken ließ. An einem Dienstag kam sie in mein Büro und erklärte mir genauer, was am Wochenende geplant war. Autoren und Autorinnen aus dem ganzen Land sollten am Samstag zu Limax kommen und es sollte eine große Gala werden. Unter dem Deckmantel einer Spendenaktion wollten wir neue Autoren anwerben und für uns gewinnen. Es würde die erste große Veranstaltung sein, an der ich als Chefin teilnahm. „Wir sollten geschlossen auftreten, trag bitte die Farben des neuen Logos. Wenn du Hilfe brauchst, frag einfach Rosie", meinte Vanessa und legte mir noch einige Unterlagen hin. „Du suchst das Kleid nicht für mich aus?", fragte ich und mir wurde im nächsten Moment bewusst, wie dämlich diese Frage war. Natürlich war sie nicht mehr dafür zuständig. Sie schmunzelte leicht und schüttelte den Kopf: „Nein, ich entscheide gar nichts mehr für dich." Ich nickte nachdenklich und sah ihr hinterher, als sie mein Büro verließ. Ich hatte einige Blumen aufgestellt, sodass der Raum freundlicher wirkte. Das Telefon klingelte, bevor ich anfangen konnte zu träumen und so ging es die ganze Woche. Ich musste alle möglichen Dinge klären und organisieren und war völlig im Stress. Ich lud Kayla ein am Samstag mitzukommen, doch sie hatte bereits eine Verabredung. Ich wäre gerne nicht allein gewesen, doch da musste ich wohl durch. Rosie half mir ein dunkelrotes Kleid zu finden und ich war wirklich zufrieden mit meinem Outfit.

Ausnahmsweise war ich von Anfang an bei der Veranstaltung dabei und ständig in irgendwelchen Gesprächen. Die Leute nahmen mich plötzlich wahr und ich führte interessante Unterhaltungen. Niemand hatte solchen Respekt vor mir wie vor Vanessa, doch sie schienen mich zu mögen. Vanessa selbst sah ich nur kurz, weil sie auch durchgängig beschäftigt war. Erst als der Abend richtig Fahrt aufnahm, stand sie plötzlich vor mir. Sie trug einen edlen grauen Hosenanzug mit weinroten Elementen. Ihre Haare waren wie so oft hochgesteckt und sie trug dezentes Make-Up. Wie immer war sie einfach die schönste Frau im ganzen Saal. „Ich will dich nochmal vorstellen", meinte sie und ging dann direkt in Richtung Bühne. Ich folgte ihr und sie ging ans Mikro. Sofort hatte sie die Aufmerksamkeit von allen und lächelte: „Herzlich Willkommen meine Damen und Herren, liebe Freunde der Literatur. Heute ist ein besonderer Abend, denn er läutet eine neue Ära ein. Limax war nie mein alleiniges Unternehmen, es war immer eine Partnerschaft. Jetzt ist es endlich so weit, dass Limax vollständig ist und bereit, Unvorstellbares zu leisten. Begrüßen Sie mit mir die Zukunft der Literatur, die zweite Hälfte von Limax, Lia Dalton." Ich ging auf die Bühne und lauter Applaus ertönte. Mein Blick ruhte allerdings allein auf Vanessas strahlenden Augen und ihrem breiten Grinsen. Sie sah wirklich glücklich und irgendwie stolz aus. Was sie gesagt hatte, hatte mich nicht kalt gelassen. Ich ging an das Mikro und bedankte mich für den Applaus. Ich hatte nichts vorbereitet und war zu nervös, um eine Rede zu halten. Vanessa nahm mir diese Bürde aber schnell ab und eröffnete souverän das Buffet und die Tanzfläche. Ich wollte mich bei ihr bedanken, doch sie sprach schon mit den nächsten Leuten. Also ging ich zu meinen Kollegen und tanzte mit ihnen. Wir hatten viel Spaß und tranken viel Wein. Einige meiner männlichen Kollegen luden mich zum Tanz ein und ich machte mich mehr oder weniger zum Affen dabei.

Irgendwann machte ich eine Pause und stellte mich an einen Stehtisch. „Sie sind eine wahre Bereicherung für den Verlag", sprach mich eine Frau an. Sie war ungefähr so groß wie ich und trug ein bodenlanges Kleid. Man erkannte an einigen Fältchen, dass sie bestimmt schon über fünfzig war, doch ihr Lächeln verleihte ihr etwas Jugendliches. „Ich kenne Vanessa schon seit sie den Verlag gegründet hat und ich habe Respekt vor dem, was sie geleistet hat. Aber sie konnte dem Verlag nie das Leben einflößen, das sie mitbringen. Sie ist wahrscheinlich die beste Schriftstellerin unserer Generation, aber sie ist kein erfüllter Mensch. Sie können zusammen Großes bewirken." Ich lächelte sie dankbar an und blickte dann zu Vanessa, die am anderen Ende des Saals stand. Ausnahmsweise sprach sie mit niemanden, sondern beobachtete nur die tanzenden Leute. Ich hatte sie noch mit keinem unserer Kollegen reden oder tanzen sehen. Mitgefühl zog sich durch meinen Bauch, wieso zeigte sie nicht, dass mehr in ihr steckte? Ich wusste genau, dass sie herzlich sein konnte und ein guter Mensch war. Sie hatte es nicht verdient so behandelt zu werden, auch wenn ich immer noch verletzt von ihr war. Ich entschuldigte mich bei der Frau und lief durch die Leute zu Vanessa. Sie sah mich von Weitem und hob fragend eine Augenbraue, als ich vor ihr stehen blieb und ihr meine Hand hinhielt.

„Darf ich bitten?", fragte ich und sie musste unweigerlich schmunzeln. „Ich tanze nicht", murmelte sie und musterte die anderen Gäste. Ich seufzte und griff nach ihrer Hand: „Heute schon." Sie war überrascht als ich sie einfach mit auf die Tanzfläche zog, wehrte sich aber nicht. Ich stellte mich ungeschickt an, als ich versuchte sie zu führen. Irgendwann lachte sie und legte meine Hand an ihre Schulter. Sie platzierte ihre an meiner Hüfte und fing an einige Schritte zu machen. Natürlich konnte sie tanzen, was konnte diese Frau auch nicht? Nach einigen Minuten, in denen wir nur stumm getanzt hatten, lächelte sie auf mich herab: „Das Kleid ist wirklich schön." Automatisch schoss das Blut in meine Wangen und ich musste grinsen. Ich blickte in ihre Augen und fühlte mich seit langem mal wieder wohl. Sie sah mich mit solcher Wärme an, dass ich mir wünschte, der Tanz würde ewig dauern. „Bist du glücklich?", fragte ich vorsichtig und Vanessas Lächeln wurde etwas schiefer. Sie blickte kurz nach unten und seufzte dann: „Das ist nicht wichtig." Ich runzelte die Stirn und versuchte mich weiterhin auf die Schritte zu konzentrieren. „Was könnte wichtiger sein?" Vanessas Blick wurde kurz etwas traurig und sie meinte: „Der Verlag. Er ist alles, was ich habe." Verdutzt blieb ich stehen und Vanessa lief gegen mich. Wie konnte sie das sagen? Tränen stiegen in meine Augen, ohne dass ich es verhindern konnte und ich flüsterte: „Du hattest mich." Ich hatte leise gesprochen, doch in Vanessas Augen sah ich, dass sie mich genau verstanden hatte. Ein anderes Paar stieß gegen meinen Rücken und holte mich damit zurück auf den Boden der Tatsachen. Ich schluckte und ließ Vanessa dann stehen. Hatte sie überhaupt eine Ahnung, wie sehr sie mir mit ihren Worten weh tat? Ich lief schnell zu der Toilette im Obergeschoss und versuchte, mein Make-Up zu retten. Ich musste endlich aufhören, diese Frau an mich heranzulassen. Aber wie sollte ich?

Als ich sie wenig später im Gespräch mit jemandem lächeln sah, wurde mir wie so oft bewusst: Ich liebte Vanessa King, das hatte ich immer getan und egal wie sehr ich es mir wünschte, es würde sich nicht ändern.

Ihr Schauspieler war wieder an ihrer Seite, um ihr Image zu schützen. Ich wusste genau, dass er ihr egal war und trotzdem spürte ich die Eifersucht wie einen Dorn in mir.

Show me your dark linesWhere stories live. Discover now