36.

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In den nächsten Tagen kam Vanessa immer häufiger in mein Büro und fragte mich, wie sie sich verhalten sollte. Wir fingen an, auch zusammen an ihrem Buch zu arbeiten und schließlich zeigte ich ihr auch meine Ideen für ein eigenes. Sie gab mir Ratschläge, die mich wirklich weiterbrachten. Ich merkte schon nach ein paar Tagen, dass sich das Klima im Verlag veränderte und alle etwas leichter zu sein schienen. Genauso merkte ich auch, wie meine eigene Laune jeden Tag besser wurde. Ich konnte nicht leugnen, dass es Spaß machte, mit Vanessa zu arbeiten. Sie war einfach ein Genie und noch dazu lustig und charmant, wenn sie es wollte. Sie nutzte jede Gelegenheit, um mich zum Lachen zu bringen und irgendwann glaubte ich sogar, dass wir wieder Freunde sein könnten.

Am Ende der nächsten Woche kam ich in den Pausenraum und sah zu meinem Erstaunen Vanessa bei den anderen sitzen. Sie unterhielt sich mit Rosie und wirkte relativ entspannt. Generell spürte man eine gewisse Anspannung im Raum, doch ich war viel zu stolz, um mich darüber aufzuregen. Ich setzte mich zu Ben und Julia und fragte nach ihren Plänen fürs Wochenende. Als Vanessas Blick mich kurz streifte, lächelte ich ihr zu und sie erwiderte es mit Dankbarkeit in ihren Augen. Die nächsten Tage saß sie öfter bei ihren Angestellten und mit der Zeit öffneten sie sich auch vor ihr. Ich hörte häufiger Lachen in den Gängen und die Autoren schrieben besser als je zuvor.

An einem Freitagabend kam Vanessa in mein Büro, als schon alle anderen weg waren. „Etwas spät für Unterricht, oder?", fragte ich und sie verdrehte schmunzelnd die Augen. Sie hob meine Jacke vom Stuhl und reichte sie mir: „Komm mit, ich will mich bei dir bedanken." Ich runzelte die Stirn und sie lachte: „Nein, nichts in die Richtung." Ich lief rot an, weil sie meine Gedanken sofort geahnt hatte. Wieso musste ich bei dieser Frau auch immer nur an das Eine denken. Ich packte meine Sachen zusammen und folgte Vanessa dann zu einem Wagen. Wir fuhren quer durch die Stadt und hielten ausgerechnet vor dem Gebäude von Green. Vanessa stieg aus und ging mit zügigen Schritten um das Gebäude herum. Ich folgte ihr und fragte: „Was hast du vor?" Sie blieb erst vor einer schweren Tür an der Rückseite des Gebäudes stehen und zückte einen Ausweis. „Wir werden uns auf seinem Tisch verewigen", flüsterte sie und grinste. Ich runzelte die Stirn: „Wie kommst du da rein?" Sie zuckte die Achseln und benutzte den Ausweis, die Tür ging sofort auf. „Kenn deine Feinde noch besser und so. Ich habe Freunde bei der Security von ihm." Ich folgte ihr in das dunkle Gebäude und sie meinte: „Dann zeig mir mal sein Büro." Ich war nicht lange bei Green gewesen, doch das Gebäude war nicht wirklich kompliziert aufgebaut. Wir liefen einige Treppen hoch und dann durch einen langen Gang. Im hinteren Teil des Ganges erkannte ich den Schein einer Taschenlampe und griff sofort nach Vanessas Arm. Schnell zog sich sie in eins der Büros, schob sie gegen die Wand und legte meine Hand auf ihren Mund. Überrascht zuckte sie zusammen, schaffte es aber ruhig zu bleiben. Sie sah mich belustigt an und wollte etwas sagen, doch ich zeigte ihr, es nicht zu tun. Draußen waren Schritte zu hören, die näherkamen. Ich hielt den Atem an und merkte, wie mein Herz begann, schneller zu schlagen. Als der Schein der Taschenlampe uns fast erreicht hatte, zog Vanessa mich mit einem Ruck näher zu sich. Ich spürte ihren Atem an meiner Wange und bekam Gänsehaut. Das Licht erleuchtete den Raum, in dem wir standen, erreichte uns aber nicht. Ich schaute auf in Vanessas Augen und spürte plötzlich viel deutlicher, wie warm ihr Körper an meinem war und wie fest sie ihren Arm um meine Taille geschlungen hatte. Unsere Lippen waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt und automatisch beschleunigte sich mein Atem. Ein dunkler Schimmer legte sich in ihre Augen, den ich selbst bei der geringen Beleuchtung erkennen konnte. Für den Bruchteil einer Sekunde beugte sie sich zu mir und berührte kaum spürbar meine Lippen. Dann sah sie mich wieder nur an und schien in meinen Augen lesen zu wollen, was ich dachte. Die Schritte vor der Tür entfernten sich und der Raum wurde wieder dunkler. Trotzdem sah ich ihre Lippen noch klar vor mir und wusste genau, wie sie sich anfühlten. Ich spürte Vanessas Herz in ihrer Brust schlagen, so dicht stand ich an ihr. Diese Frau machte mich wahnsinnig mit ihren grünen Augen und langen Beinen und dem viel zu makellosen Gesicht. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie ich meine Hand an ihre Wange gelegt hatte. „Ich vermisse dich, Lia", waren die Worte, die reichten, um meine Selbstbeherrschung zu zerstören. Ich griff in Vanessas Nacken und zog ihr Gesicht zu mir. Unsere Lippen trafen aufeinander und mein ganzer Körper schien unter Strom zu stehen. Wir küssten uns innig und voller Leidenschaft, alles um uns herum verschwand für einen Moment. Als ihre Zunge den Weg zwischen meine Lippen fand, seufzte ich erregt und krallte mich in ihren Blazer. Ich sprang in ihre Arme und sie trug mich zu einem der Stühle. Als ich mich für eine Sekunde von ihr löste, um ihre Bluse aufzuknöpfen, flüsterte sie: „Ich brauche dich so sehr." Ich wollte es nicht an mich heranlassen, doch ich schaffte es nicht. Etwas in mir wollte so sehr, dass sie mich brauchte, dass ich ihr wichtig war. Ich küsste sie, um meine Gefühle wegzudrängen. Als sie jedoch meinen Hals küsste, stiegen Tränen in meine Augen. Ich hielt ihre Hände fest, die meinen Bauch gestreichelt hatten und brachte sie damit dazu, sich von mir zu lösen. Schweratmend suchte sie meinen Blick und erkannte die Tränen auf meinen Wangen. Besorgt und verwirrt strich sie sie mit ihren Händen weg und fragte: „Was ist los? Habe ich dir wehgetan?" Ich stand von ihrem Schoß auf und mit einem Mal sammelte sich Wut in mir. „Ja, verdammt, natürlich hast du mir wehgetan. Du tust mir ständig weh und merkst es nicht mal." Alles, was ich die letzten Wochen in mir vergraben hatte, brach jetzt aus mir heraus. Vanessa sah aus, als würde sie die Welt nicht mehr verstehen. „Du bist so egozentrisch, dass du nicht mal mitbekommst, wie du mir das Herz brichst. Und ich Vollidiot kann nicht aufhören dich zu lieben!" Meine Stimme war lauter geworden und in Vanessas Augen stand Erstaunen. Sie sah mich ungläubig an, doch etwas in ihren Augen leuchtete auf. Mein Adrenalin brachte mich dazu, mir meine Jacke zu schnappen und sie in dem dunklen Zimmer zurückzulassen. Ich war so wütend auf sie, doch eigentlich noch mehr auf mich. Ich fühlte mich erbärmlich und ich hatte mich noch lächerlicher gemacht, indem ich ihr meine Liebe gestanden hatte. Jetzt hatte sie mich noch mehr in der Hand als zuvor und ich war selbst schuld daran. Ich schaffte es zum Glück aus dem Gebäude heraus, ohne dass der Wachmann mich sah. Draußen rief ich mir ein Taxi und lief durch einige Straßen, damit Vanessa mich nicht finden konnte. Es fing an zu regnen und ich war klitschnass als ich ins Taxi stieg. Auf dem Weg in meine Wohnung zitterte ich und wusste nicht, ob es an der Kälte draußen oder der in meinem Herzen lag. Ich hoffte ich hätte Vanessa jetzt endgültig gezeigt, dass sie mich in Ruhe lassen sollte. Ich wusste genau, dass ich ihr nicht egal war. Genauso wusste ich aber auch, dass sie immer erst an sich selbst denken würde. Ich hoffte sehr, dass ihr ihre Karriere so wichtig war, dass sie mich einfach in Ruhe lassen würde. In der Firma würden wir uns zwangsläufig sehen, doch ich würde nicht mehr freiwillig mit ihr zusammenarbeiten. Kayla war noch im Restaurant, sodass ich meinen Auftritt zumindest nicht erklären musste. Ich hatte einige Mails noch nicht beantwortet, doch es war mir egal. Ich legte mich in mein Bett und weinte mich in den Schlaf.

Show me your dark linesWhere stories live. Discover now