11.

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Zuhause erzählte ich Kayla von den guten Neuigkeiten und wir öffneten eine Flasche Wein.

Ich hatte noch nie wirklich viel Alkohol vertragen, doch die gute Stimmung brachte mich dazu, einige Gläser zu leeren. Kayla brachte mich schließlich ins Bett und nach einigen dämlichen Witzen und viel Gekicher ließ sie mich allein. Meine Augen fielen schnell zu und ich träumte von einer jungen Frau, die für ihr Alter viel zu ernsthaft und schick war und von der ich wusste, dass mehr in ihr steckte. Am nächsten Morgen sollte ich allerdings vom Gegenteil überzeugt werden. Ich spürte, dass mein Kopf den Wein nicht wirklich vertragen hatte, als ich mit zwei Kaffee und meinem Klemmbrett zügig über den Flur lief. Natürlich war ich wie immer zu spät und schlecht organisiert. Ich hörte die genervte Stimme meiner Chefin, sah sie allerdings zu spät um die Ecke kommen. Ich bremste ab so gut ich konnte, verlor dabei aber das Gleichgewicht und einer der Becher fiel mir vorne über. Der Deckel fiel ab und einiges der warmen Flüssigkeit ergoss sich über den Stoff des Blazers von Vanessa. Sofort sah ich wie sich ihr Körper anspannte und Wut in ihre Augen stieg. Sie riss sich das Headset aus dem Ohr und ihr Kiefer spannte sich an. Ich wollte eine Entschuldigung stottern, doch sie hob ihre Hand und presste unterdrückt: „Gehen Sie mir sofort aus den Augen, sonst schwöre ich, arbeiten Sie keinen Tag länger hier." Aus Angst davor, dass sie wirklich ausrastete, ging ich zügig an ihr vorbei. Einige der Angestellten musterten mich mitleidig, manche schienen belustigt. Es war wahrscheinlich für alle schöner, wenn Vanessa King jemand anderes herunterputzte als sie. Ich konnte mir vorstellen, dass es anstrengend war Chef zu sein und noch nerviger, mich als Assistentin zu haben. Trotzdem war Vanessa King einfach kein netter Mensch, so gern ich auch etwas anderes denken würde.

An diesem Morgen schaffte ich es zumindest einige Seiten zu schreiben, auch wenn sie mir nicht gefielen. Unter Druck zu schreiben, machte mir keinen Spaß und ich war auch nicht gut darin. Ich fragte mich, ob es den meisten Autoren und Autorinnen hier so ging. Ich sah mir den Plan für die nächsten Tage an und mir fiel auf, dass ich heute noch mit Vanessa zu einer Lesung fahren würde. Das könnte ja heiter werden. Um punkt ein Uhr stand meine Chefin tatsächlich vor meinem Schreibtisch und sah demonstrativ auf ihre teure Armbanduhr. Sie trug einen sauberen, neuen Blazer und sah wie immer perfekt aus. Ich schnappte mir meine Tasche und folgte ihr hinunter in die Tiefgarage. Im Wagen beachtete sie mich keine Sekunde lang, was mir heute ganz Recht war. Die Lesung war diesmal wesentlich kleiner, weshalb ich mich auch nicht hatte schick machen müssen. Ich saß im Publikum und versuchte, es einfach zu genießen. Ich war mir schließlich nicht sicher, wie oft ich noch an so etwas teilhaben könnte. Es war aber sowieso schwer, Vanessas Lesungen nicht zu genießen. Auch wenn ich manche Stellen, die sie las, schon kannte, faszinierten sie mich immer noch. Ich war mir sicher, dass sie die schönste Stimme hatte, die ich kannte. Ich hätte ihr stundenlang zuhören können, selbst wenn sie über die banalsten Dinge sprach. Als sie fertig war, klatschte ich extra laut und sie schaute kurz zu mir. Für eine Sekunde wirkte es so, als würde sie lächeln, doch sie schaute sofort wieder weg. Sie unterhielt sich ewig lang mit anderen Autoren und Fans, während ich auf meinem Block Ideen festhielt. Hin und wieder beobachtete ich Vanessa und musste lächeln, wenn sie begeistert über Literatur sprach.

„Sie sind Ihrem Charme doch nicht etwa wie alle anderen erlegen?", fragte mich plötzlich eine bekannte Stimme. Ich sah auf und erkannte Jason Green in einem schicken Anzug vor mir stehen. Ich wurde unwillkürlich etwas rot und schüttelte den Kopf. Er setzte sich ungefragt neben mich und überschlug seine Beine. „Wissen Sie, Vanessa war schon immer gut darin, Menschen zu benutzen. Ich denke, dass wird Sie auch nicht überraschen. Wer Erfolg haben will, braucht keine echten Gefühle. Nur hin und wieder etwas zum Stress abbauen." Bei seinem letzten Satz grinste er und ich bekam das Gefühl, dass er genau wusste, wovon er sprach. Auch wenn mir schon klar gewesen war, dass Vanessa King kein Beziehungsmensch war, traf es mich trotzdem. Ein bemitleidenswerter Teil von mir hatte sich gewünscht, dass sie mich mochte. Unwillkürlich stiegen Tränen in meine Augen, die ich versuchte zu unterdrücken. Das konnte doch jetzt nicht mein Ernst sein, wieso war ich so emotional? Als ich aufsah, traf Vanessas Blick meinen und sie runzelte die Stirn. Vermutlich hatte sie erkannt, dass es mir nicht gut ging, denn sie kam in meine Richtung. Ihr Blick fiel auf Jason neben mir und wurde sofort finster. „Mr. Green, belästigen Sie schon wieder meine Assistentin?", fragte sie professionell, aber mit scharfem Unterton. Jason lachte nur charmant und tätschelte mein Knie: „Ach keineswegs." An der Stelle, an der er mich berührte, bildete ich mir ein, ein Zwicken zu spüren. Ich entwich schnell seiner Berührung und nuschelte etwas davon, dass ich auf Toilette müsste. Dann lief ich mit schnellen Schritten aus dem Raum und fand zum Glück schnell einen Spiegel. Noch sah ich gar nicht so übel aus, ich müsste mich nur zusammenreißen. „Ist alles in Ordnung?", fragte eine Stimme hinter mir und sofort spannte ich mich an. Ich drehte mich zu Vanessa und sah Besorgnis in ihrem Blick. Schnell nickte ich und wollte an ihr vorbei gehen, doch sie hielt mich an den Schultern fest. „Was hat er gemacht?", fragte sie mich und ich hatte das Gefühl, dass sie dabei vor allem Angst um ihren Ruf hatte. Ich wich einen Schritt zurück und sah ihr in die Augen: „Sie sind meine Chefin, verhalten Sie sich auch so." Kurz blitzte Erstaunen in den Augen meiner Chefin auf, doch dann sah ich etwas Neues in ihrem Blick, dass ich nicht kannte. Sie schluckte und so schnell das Gefühl gekommen war, ging es auch wieder. Ihr Ausdruck wurde professionell und sie meinte kühl: „Sie haben Recht. Ich werde Sie wie alle anderen behandeln."

Ein Schauer glitt über meinen Rücken bei diesen Worten, auch wenn ich es eigentlich ja so wollte.

Ich hatte ziemliche Angst, es noch zu bereuen.

Show me your dark linesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt