Hunger

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Bildquelle: http://hintergrundbilder-fantasie.com/wp-content/uploads/images/c8/vampir.jpg

„Mira!"

Die Stimme kam von irgendwo weit weg.

Und wieder: „Mira, wach auf!"

Ich hatte Hunger. Ich schlug die Augen auf. Jace. Monster.

Ich zuckte zurück. Er ging sofort wieder auf Abstand und setzte sich an einen mindestens zwei Meter entfernten Baum. Eigentlich sah er wieder ganz normal aus: gesunde Gesichtsfarbe, graue Augen und keine Eckzähne. Dennoch sah ich die ganze Zeit sein vampirisches Gesicht vor mir und er hatte noch immer

Blut an seinem T-Shirt.

Ich schaute mich um. Es hatte endlich aufgehört zu regnen. Und da lag sie. Mitten auf der Lichtung. Die Frau, dessen Blut er getrunken hatte. Ich konnte den Geruch des Blutes ganz deutlich riechen. Und den Herzschlag hören. Sie lebte also noch. Ich wollte zu ihr rennen und ich helfen. Also stand ich auf. Da fuhr mir auf einmal ein heller, blitzartiger Schmerz durch den Schädel und ließ nur ein dumpfes Pochen übrig. Ich krümmte mich zusammen. Es fühlte sich an, als würde sich meine Schädeldecke ausdehnen und wieder zusammenziehen, was ebenso schmerzvoll war. Und mir war schlecht. Ich hatte solche Bauchschmerzen, dass ich dieses Mal am liebsten freiwillig gekotzt hätte, doch es kam nichts.

Ich atmete tief ein, roch den Regen in der Luft, das Holz der Bäume und das Blut, immer wieder das Blut.

Ein erneuter Schmerz durchzuckte mich, diesmal meinen ganzen Körper und viel schmerzvoller. So heftig, dass ich nur noch abschalten wollte. Und das tat ich dann auch. Es war wie damals, als ich mich in einen Panther verwandelt hatte. Ich überließ die Führung meinem Körper...

...und sah nur noch rot. Als hätte jemand meine Umgebung in einen roten Farbeimer getaucht. Ich sah verschiedene Umrisse, Schattierungen von Rot. Der Schmerz war mittlerweile unerträglich. Ich konnte ihr Herz schlagen hören. Das Pochen in meinem Kopf hatte den gleichen Rhythmus. Ich stolperte auf die am Boden liegende Frau zu, ließ mich neben ihr auf die Füße fallen und dann hörte der Schmerz endlich auf. Das Pochen wurde immer langsamer, hörte schließlich ganz auf...

Ich wurde von irgendjemandem zurückgezerrt, landete mit meinem Hinterteil im Dreck und sprang sofort wieder auf, wirbelte herum und fauchte die Person hinter mir an: Jace. Seine Augen flammten sofort rot und seine Zähne blitzten auf. Doch ich war schneller, streckte meine Hände aus und legte sie um seinen Hals, drückte zu. Doch ich rutschte ab. Schlagartig erwachte ich aus meiner Trance.

Meine Hände waren voller Blut.

Ich schaute an mir hinunter. Auch meine Kleidung war blutbesudelt. Ich drehte mich um. Die Frau lag immer noch da, tot. Ihre Kehle war herausgerissen und noch immer strömte Blut nach. Ich schaute zu meinen Händen und zurück zu der Frau, während ich die Verbindung knüpfte.
Ich hatte das getan.
Ich hatte der Frau die Kehle rausgerissen.
Ich hatte sie so kaltblütig ermordet, nicht Jace.
Ich hatte ihr Blut getrunken.
Ich war das Monster, nicht Jace.

Ich ließ mich auf die Knie fallen und ließ die Tränen rollen. „So will ich nicht sein", flüsterte ich heiser, „Ich bin ein Monster."

Jace kam zu mir, zog mich von der Leiche weg und hielt mich im Arm. Ihm schien es egal zu sein, was ich getan hatte oder dass ich voller Blut war. Er hielt mich einfach nur mit seinen starken Armen fest. Und diese Geborgenheit brauchte ich jetzt. Ich klammerte mir an ihn, drückte mein Gesicht an seine Schulter. Ich fand mich selbst so abstoßend, tat es dennoch.
Weil ich ihn nicht verlieren will.

Und es stimmte. Ich wollte trotzdem nicht alleine gelassen werden. Auch wenn ich mich selbst hasste.

„Ich bin ein Monster", flüsterte ich immer wieder, während mir die Tränen die Wangen hinunter liefen. „Ich bin ein Monster."

Ich bin ein Monster.


Tränen von BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt