Vollmondnacht

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Bildquelle: http://www.myheimat.de/pattensen/wetter/vollmond-in-den-wolken-gegen-1800-uhr-m1918844,2369119.html

-Hallo Leseratten,
Ich wollte noch einmal sagen, dass der Roman demnächst "Tränen von Blut" heißen wird. Wie immer freue ich mich über Kommentare! Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!

Euer readerbunny01-

Ich konnte nicht schlafen. Also stand ich auf und versuchte, so leise wie möglich, aus meinem Bett zu klettern, was nicht ganz einfach war, weil das drahtige Gestell quietschte. Ich schlich leise aus der Tür und schließlich auf die Straße. Man sah keine Sterne, sie waren von den Wolken verdeckt, nur der Mond linste durch eine Lücke.

Ohne lange zu überlegen schlug ich den Weg nach links ein. Es war unwirklich still. Von nirgendwo drangen Motorengeräusche oder laute Musik an mein Ohr. Das Geräusch meiner Schuhe war das einzige. Die dunklen Hausschluchten und Eingänge machten mir keine Angst. Nicht mehr. Ich war froh über die Dunkelheit. Sie empfing mich wie eine alte Freundin, umarmte mich wie eine Mutter ihr Kind. Ohne Licht musste man die Trostlosigkeit und Einsamkeit dieses Ortes nicht mehr spüren.

Plötzlich waren meine Schuhe und mein Atem nicht mehr die einzigen Laute. Ich drehte mich um. Jace war mir gefolgt. Ich ging weiter. Er hatte mich bald eingeholt und ging neben mir. Keiner wagte es, die Stille mit so etwas banalem wie Worten zu unterbrechen. Schweigen konnte manchmal so viel mehr sein als jeder Satz. Irgendwie war es dennoch ein schönes Gefühl, jemanden neben sich zu wissen. Jemanden, der nicht mit seinem größten Problem zu tun hatte.

„Mira, was ist passiert, als du mit Richard allein warst?", fragte er auf einmal. Sorge schwang in seiner Stimme mit.

„Ich hab ihn gefragt, wie er sich kontrolliert", erzählte ich. „Er hat mir erklärt, wie und dann wollte er mein Blut trinken. Wobei ich eher glaube, er wollte mir Angst machen."

„Er hat dir erzählt, wie man sich kontrolliert?", fragte er ungläubig. Ich nickte. „Wie?" In diesem Moment wurde mir eins klar: Jace wollte es wirklich wissen, er hatte seine Hoffnung noch nicht aufgegeben, hatte sich noch nicht zufrieden gegeben.

„Er", ich zögerte, „er hat sich gegen das Menschenblut entschieden und trinkt das von Vampiren." Mir lief ein Schauer über den Rücken, als ich davon erzählte.

„Oh", meinte er nur. Danach schwiegen wir. Meine Gedanken sprangen von einem Thema zum anderen, aber ich wollte nichts sagen, die traute Zweisamkeit nicht stören, auch wenn es mich abgelenkt hätte.

Aber irgendwann wurde es so unerträglich, dass ich doch flüsterte: „Ich hab Angst." Das Flüstern wirkte in der Stille wie ein Schrei. Die Worte verhallten leicht in der Nacht und hinterließen doch eine schwerwiegende Wirkung.

Er sagte eine Weile nichts. „Keine Sorge, Mira. Wir sind in der Überzahl und Lorelay ist fast so alt wie er", versuchte er mich dann zu beruhigen. Es war klar, was er meinte. Er hatte mich falsch verstanden. Ich sagte es ihm nicht. Schweigend setzten wir unseren Weg fort.

„Du liebst ihn doch, oder?", fragte Jace schließlich. Ich sah zu ihm. Seine Augen, das einzige weiße an ihm, leuchteten im Mondlicht. Sie waren auf mich gerichtet. Vielleicht wusste er doch ganz genau, was mich bedrückte. Ich nickte. „Und du willst doch mit ihm zusammen sein, also eine Zukunft mit ihm?" Wieder nickte ich. „Dann spricht doch nichts dagegen, oder?"

Das war eine gemeine Frage. Er wusste ganz genau, was dagegen sprach.

„Oder?"

„Doch!", rief ich. „Ich könnte ihn töten!" Langsam begannen die Tränen wieder, mir die Wangen hinunterzulaufen.

„Ja, das sollte man vielleicht noch in Erwägung ziehen. Aber ganz ehrlich: Ist das ein Grund?"

„Ja, wieso sollte es das nicht sein?" Meine Stimme war leise und versagte mir fast den Dienst.

„Denkst du, du könntest ihn eher töten als er dich?"

„Ja."

„Warum?", fragte Jace. Ich war verwirrt.

„Weil ich ein Vampir bin?"

„Aber du kannst dich doch kontrollieren, oder?"

„Aber nur bis zu einem gewissen Punkt." Ich klang weinerlich, aber das war mir im Moment egal. Immerhin war Jace mein Zwillingsbruder.

„Und wann meinst du, ist der Punkt überschritten? Bei dir?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Jederzeit. Wenn ich Cole küsse, oder mehr."

„Das glaube ich nicht."

„Doch, früher stand mir das Gestaltenwandlergen im Weg. Wieso sollte ich heute länger durchhalten?" Wieso verstand er mein Problem nicht?

„Weil dir Cole wichtig ist. Du bist nicht wie Lorelay. Und ja, ich habe euch im Zug zugehört und spüre auch deine Zweifel. Du bist ein ganz anderer Mensch als sie, du fühlst so innig, wie ich es bei keinem zuvor gesehen habe. Du würdest alles tun für ihn. Du würdest sogar so weit gehen, dein Glück aufzugeben. Für ihn. Und deshalb weiß ich, dass du lieber sterben würdest, ehe du ihm etwas antust." Wie recht er doch hatte.

„Aber in Paris hab ich doch auch..."

„Die Sache in Paris hat deine Entschlossenheit doch nur noch gestärkt. Und schon damals hast du aufhören können." Er schaute mir tief in die Augen, während er sprach. Wir waren stehen geblieben und er hatte seine Hände auf meine Schultern gelegt. Meine Tränen flossen nun unaufhörlich.

„Du liebst ihn", fuhr Jace fort, „und er liebt dich auch. Er wäre nicht glücklich, wenn du dich gegen ihn entscheiden würdest. Er braucht dich, Mira. Er ist ein ganz anderer Mensch, seit er dich hat."

Ich wollte ihm so gerne glauben. Jace zog mich an sich und ich lehnte mich gegen ihn. In seiner Brust konnte ich kein Herz schlagen hören. Auch in meiner schlug nichts. Eigentlich war ich tot. Noch mehr Wasser quoll aus meinen Augen.

„Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg", murmelte Jace schließlich. „Und die Liebe findet immer einen."

Am nächsten Morgen fuhren wir los.

Tränen von BlutWhere stories live. Discover now