Eingesperrt

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Ich lag regungslos auf dem kalten Steinboden. Mein Kopf pulsierte nicht mehr und die Eckzähne hatten sich wieder zurückgebildet, aber meine Kehle schmerzte weiterhin bei jedem Atemzug und der Hunger war unerträglicher denn sonst. Ich öffnete die Augen. Es war dunkel, aber es war schwarz und nicht rot. Ich rollte mich auf die Seite. Das war ein Fehler. Sofort begannen alle Muskeln und Gelenke wieder, höllisch weh zu tun. Trotzdem zwang ich mich, mich aufzurichten. Ich konnte das Stöhnen nicht unterdrücken.

„Die Kunst, Kontrolle zu bewahren, besteht darin, die Schmerzen zu ertragen", sagte eine Stimme vor mir in der Dunkelheit. Eine Stimme, die ich kannte.

„Jace?", es kam nur ein Krächzen aus meinem Hals und meine Lunge stand sofort in Flammen.

Keine Antwort.

„Jace, bitte, es... tut so... weh", brachte ich mühsam hervor.

„Deshalb ist es gut, dass Cole nicht hier ist. Er hätte sofort Mitleid mit dir gehabt und all unsere Bemühungen zunichte gemacht." Er stand auf und kam auf mich zu. „Aber du musst immer daran denken: Bist du ein Vampir oder ein Monster?"

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Eine Weile starrten wir uns in die Augen. Dann hatte er auf einmal ein kleines Schnappsglas in der Hand, auf das er die andere Handfläche gepresst hatte. Er entfernte sie von dem Glas. Ich wusste sofort, was drin war, denn ich konnte es riechen. Blut.

Jace stellte es in meine Zelle auf den Boden und verließ wortlos den Raum. In übermenschlicher Geschwindigkeit war ich bei dem Glas, hielt es an meine Lippen und trank es vollständig aus. Für einen kurzen Moment waren alle Schmerzen weg. Doch es war zu wenig. Viel zu wenig. Der Horrorfilm ging weiter.

Ich versuchte, mich abzulenken, indem ich an andere Dinge dachte. Zum Beispiel an Cole. An seine Augen, an seine Haare, an seine Art. Wie es wäre, wenn er nun hier wäre, wie es wäre, wenn er mit dem Daumen meine Wange streichelte oder mich küsste.

Dann dachte ich an Anna, das kleine Mädchen aus dem Kinderheim, das von den Jungs verprügelt worden war. Ich wollte ihr so gerne helfen. Die Hoffnung und der Glaube in ihren Augen war so unglaublich intensiv gewesen, dass ich jetzt noch überwältigt war. Ich wollte mir ein Beispiel an ihr nehmen. Anna als mein Vorbild, egal wie schwer die Zeiten auch waren, denn sie hätte ganz bestimmt nicht aufgegeben.

Doch lange konnte ich den Schmerzen nicht standhalten, sie nicht ignorieren. Immer wieder schlichen sie sich in meinen Verstand und in meine Gedanken. Es war furchtbar. Schweiß bildete sich überall auf meiner Haut, jeder Atemzug tat weh, jede Bewegung schickte Wellen des Schmerzes durch meinen Körper. Ich wollte schreien, ich wollte hoffen, ich wollte weg, ich wollte, dass es aufhörte, ich wollte beweisen, dass ich es aushalten konnte, ich wollte... Ich wusste nicht, was ich wollte. Wahrscheinlich wollte ich einfach tot sein, denn dann würde alles aufhören. Hoffentlich. Doch würde ich auch Cole nie wiedersehen. Allein der Gedanke daran setzte mir zu. Ich hatte das Gefühl, mein Kopf explodiere gleich. Dann fiel ich irgendwann in einen Dämmerzustand.

Ich erwachte, als die Tür zu dem Raum aufging und blinzelte gegen das grelle Licht. Eine Frau mit langem Rock, vermutlich Lorelay, kam herein. Der Geruch von Blut wehte zu mir rüber, ließ sofort meinen Magen verkrampfen und meine Zähne hervortreten. In dem Bruchteil einer Sekunde war ich am Gitter und rüttelte daran, doch es ließ sich keinen Zentimeter bewegen. Lorelay stellte mir wieder ein kleines Glas mit wenigen Tropfen Blut vor das Gitter. Ich streckte meinen Arm danach aus, doch es war zu weit weg.

„Erbärmlich, wie du danach greifst", meinte sie abfällig, erlöste mich aber schließlich, indem sie das Glas noch ein paar Zentimeter näher schob, und verließ den Raum wieder, ließ mich in völliger Dunkelheit zurück.

Ich tastete nach den Glas, stieß dagegen. Ich schrie vor Frust auf, als ich merkte, wie die Flüssigkeit über meine Hände rann und größtenteils im Staub verloren ging. Ich zog meine Finger zurück und leckte sie ab, tastete erneut nach einer Pfütze, doch der staubige und dreckige Boden hatte alles aufgesaugt. Nur der Geruch blieb, und der brachte mich fast um den Verstand. Ich kauerte mich in die hinterste Ecke und klemmte meinen Kopf zwischen meine Knie, drückte so fest, wie ich konnte, doch die Schmerzen, die zum Begleiter in jeder Sekunde geworden waren, wurden nicht gelindert.

Ich wusste nicht, wie lange ich so dasaß, bis die Tür wieder aufging. Sofort fing mein Kopf zu pulsieren an. Das konnte nur eins bedeuten: Die Person, die reinkam, hatte einen Herzschlag. Also musste es Miriam sein. Sie stellte das Glas direkt vor die Gitterstäbe, nahm die anderen mit und verließ den Raum wieder. Ganz langsam und vorsichtig kroch ich zum Glas. Als ich es endlich in meinen Fingern hatte, trank ich alles aus. Erschöpft ließ ich mich zu Boden sinken. Das Dumme war: Sobald ich mich an die Schmerzen gewöhnt hatte, wurden sie erträglich, doch wenn ich dann Blut trank und sie für einen Moment aussetzten, traten sie dafür mit noch größerer Wucht wieder ein.

Als nächstes besuchte mich Jace wieder. Er gab mir das Glas nicht sofort, sondern setzte sich erst mal an die Wand und begann, zu reden.

„Du bist jetzt fast eine Woche hier drin. Etwa alle zwei Tage bekommst du ein Glas. Und ich muss sagen, du hälst dich eigentlich ganz gut. Versuche doch mal, nur die Hälfte des Glases zu trinken und dir die andere für den nächsten Tag aufzuheben."

Ich lag an dem Gitter und rührte mich nicht. Meine Haare klebten nass an meiner Stirn un die eine Hand war fest um die Eisenstange gekrallt. Er rutschte nah zu mir heran, griff durch die Stäbe und legte eine Hand an meine Schläfe. Noch immer rührte ich mich nicht.

„Versuche es wenigstens", bat er, stellte das Glas vor das Gitter, erhob sich und ging. Ich blieb regungslos liegen. Dann richtete ich mich auf, nahm das Glas und trank es mit einem Zug leer.

Tränen von BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt