Paris

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Bildßquelle: http://dreamatico.com/paris/8/

Häuser, Straßen, Autos, die im Stau standen, Motorräder, die die Autos überholten. Fußgänger, die die Bürgersteige entlanghasteten, Katzen die durch die Gassen streunerten und jede Menge Abgase, Lärm und Müll. Das war mein erster Eindruck von Paris. Es war trotzdem einfach nur toll. So viele neue Eindrücke. Das genaue Gegenteil von dem, was ich kannte.

Als wir auf den Schienen dahinratterten, war ich froh, nicht in einem der Busse oder Autos sitzen zu müssen, die an den ganzen roten Ampeln und Zebrastreifen anhalten und warten mussten. Bei dem schönen Wetter sah man allerdings auch viele mit Fahrrädern oder zu Fuß. Die Häuser wurden immer bunter, je näher wir der Stadtmitte kamen, da immer mehr Werbung laut nach Aufmerksamkeit schrie. Ich konnte leider kein Französisch, aber durch die Bilder auf den Webeplakaten ließ sich darauf schließen, dass es hier um Schinkensandwiches und dort um Parfum ging, hier um Kaffee und dort um ein neues Handy. Es war überwältigend. Wir fuhren noch eine Viertelstunde, bis wir am Hauptbahnhof ankamen, doch diesmal verging die Zeit wie im Flug. Immer wieder sah ich zu Jace, der meine euphorischen Begeisterungsrufe mit einem Lächeln auf den Lippen verfolgte. Schließlich waren wir da. Jace stand schon fünf Minuten früher auf und holte die Koffer von der Ablage, was ich erst verstand, als ich die Menschenmassen in den Zug strömen sah. Wir huschten so schnell wie möglich aus der Tür und verflüchtigen uns schon mal in die Mitte des Steiges. Die Menschen warteten zwar, bis die Insassen draußen waren, aber man sollte die Geduld dieser Pariser nicht unnötig auf die Probe stellen. Der Bahnsteig war mindestens dreimal so lang wie bei uns zu Hause, wo wir losgefahren waren. Außerdem war er von allen Seiten von Schienen umgeben und ich fragte mich, wie wir von dieser Insel wieder runterkommen sollten. Doch Jace kannte sich aus. Er führte mich zu einer Treppe, die nach unten ging. Wir trugen unsere Taschen hinunter und als ich nach rechts und links sah, konnte ich die Enden des Ganges nicht erkennen, weil er so lang war. In regelmäßigen Abständen führten Treppen wieder nach oben und da verstand ich: Das war ein riesiges Netz, das alle Steige unterirdisch miteinander verband. 

„Wahnsinn...“, murmelte ich. Jace führte uns durch die Gänge, wobei er sich an den Schildern orientierte, bis wir in einer riesigen Halle ankamen. Menschen zogen ihre Koffer hinter sich her, saßen wartend auf Bänken am Rand, riefen hektisch Dinge in den verschiedensten Sprachen und meckerten. Kinder nervten ihre Eltern, Raucher verpesteten die Luft. Tausende Türen führten in Läden wie Bäcker, Süßigkeitenläden und sogar Buchhandlungen. Die Halle war dadurch erleuchtet, da sich über uns statt einer Decke eine riesige Glaskuppel befand, auf der nur Vogelkot das Sonnenlicht am Eintritt hinderte. Auch hier machte die Müllverschmutzung keine Ausnahme und überall flogen und hüpften Tauben herum. Manche Leute fütterten sie auch noch. Jace berührte mich am Arm und holte mich damit aus meinem Staunen heraus.

„Komm mit. Wir fahren mit der Metro zu Lorelay“, informierte er mich. Wir gingen eine breite Treppe hoch und standen vor dem Bahnhofseingang im Freien. Auch hier gingen tausende Reisende ein und aus, doch manche hatten sich auch auf eine der Bänke unter den grünen Laubbäumen gesetzt und aßen ein Eis. Weiter rechts war ein Park, in dem ein großer Springbrunnen stand und links war eine riesige, mindestens achtspurige Straße. Man konnte außerdem von hier aus den Eiffelturm sehen, der sich majestätisch in den Himmel erhob.

Jace drängte mich, weiterzugehen und ich folgte ihm. Nach etwa hundert Metern stiegen wir wieder eine Treppe hinab und wieder kamen wir zu Schienen, diesmal aber unterirdisch. Jace kaufte Tickets, mit denen wir auf die Bahnsteige gelangten. An den Wänden hingen Lampen und in der Mitte standen Bänke. Auch hier flatterten Tauben und sprangen kleine Kinder herum.

„In etwa zwei Minuten kommt unsere Bahn“, sagte Jace. „Ich will dir keinen Stress machen, aber in der Metro wartet keiner, bis du ein- oder ausgestiegen bist. Du solltest dich also sputen, gleich in den Waggon zu kommen. Aber erst natürlich die Leute rauslassen.“

Ich sah ihn unsicher an.

„Keine Panik. Es geht schon alles gut“, meinte er und stupste mich an. Dann kam die Metro auch schon um die Ecke gefahren. Mein Herz schlug vor Aufregung schneller. Der Zug kam zum Stehen und die Türen gingen auf. Gefühlte hundert Menschen kamen rausgeströmt und gefühlte hundert drängelten wieder rein, wir mit ihnen. Kein einziger Sitzplatz war mehr frei und es war so stickig, dass ich fast keine Luft mehr bekam. Ich hielt mich an einer Eisenstange fest, die von meiner Hand ganz warm und schweißnass wurde. Vor mir stand ein Mann, der nach Zigarettenrauch und noch etwas anderem nicht gut reichendem stank. Ich drehte meinen Kopf weg. Wir hatten zwar nur zwei Stationen zu fahren, aber es kam mir vor wie Stunden. Ich atmete erleichtert auf und Jace lächelte mich mitleidig an, als er endlich sagte, dass wir beim nächsten Halt aussteigen mussten. Ich stolperte fast aus der Tür und ging schnell zur Seite. Jace hatte mich auch recht schnell gefunden und wir gingen einen langen Weg bergauf und zogen unsere Koffer hinter uns her. Am Ende stiegen wir noch einmal eine Treppe hinauf und als wir endlich aus dem versifften und schmutzigen Untergrund kamen, atmete ich erst einmal tief ein und schaute mich um. Es war nur eine dreispurigen Straße, an der wir rausgekommen waren. Mittlerweile taten mir Arme und Beine weh und ich hoffte nur, dass wir nicht noch ewig durch die Stadt laufen mussten, bis wir bei unserer Tante waren.

Jace ging gezielt zu dem Zebrastreifen mit der Ampel und drückte auf einen Knopf, der sich am Mast befand. Nach etwa fünf Minuten hielten die Autos an und das Lämpchen leuchtete grün. Jace ging los. Offenbar war das das Zeichen. Er führte mich noch um drei Kurven und zwei Straßen entlang, bis er endlich vor einem Haus stehen blieb. Das Gebäude stach aus den restlichen in dieser kleinen Gasse heraus. Während die anderen Bauten alle gleich aussahen und aneinandergereiht waren, war das Haus, vor den wir nun standen, fast schon eine Villa. Es sah sehr alt aus und Efeu rankte an der Fassade empor. Die Fensterrahmen, die noch nicht von den Ranken verdeckt waren, und die Tür waren aus dunklem Holz und das Grundstück hatte eine breite Veranda und einen großen Garten, der allerdings ziemlich verwildert aussah. Jace stieß das Gartentor auf und ich folgte ihm den von Unkraut übersäten Gartenweg entlang, bis zur Treppe, die auf die Veranda führte. Schließlich klopfte er an der Tür. Wir warteten lang, bis endlich jemand öffnete.

Ich war mir nicht sicher, wie ich mit Julians Schwester vorgestellt hatte, aber so ganz sicher nicht.

Tränen von BlutWhere stories live. Discover now