Überraschender Anruf (Julian)

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Bildquelle: http://s780.photobucket.com/user/Hoellenhexchen/media/RPGC/Real/Cora%20Porcelaine/4ae0f55e24ce2.jpg.html

„Was?“ Ich sprang auf und das Buch rutschte mir vom Schoß. „Mira ist weggeritten und nicht wiedergekommen?“

„Ja“, sagte Jace, doch er wirkte nicht wirklich Anteil nehmend. Irgendetwas schien ihn zu beschäftigen. Er war nicht Herr seiner selbst, sondern irgendwie abwesend oder überwältigt.

„Und weißt du auch, was das heißt?“, fragte ich, während ich das Buch wieder aufsammelte.

„Was was heißt?“

Ich verzweifelte innerlich. „Was das heißt, wenn sie nicht da ist?“

„Keine Ahnung.“

„Jace, sie ist ein Vampir und sie wird wieder Hunger kriegen.“

Erschrocken schaute er auf: „Wir müssen sie finden, bevor es zu spät ist.“

„Ja“, seufzte ich, „und zwar bis die Sonne wieder aufgeht. Sonst hast du keinen Vater mehr.“ Doch wo sollten wir anfangen? Mira war mir irgendwie ans Herz gewachsen und ich wollte ihr wirklich helfen. Sei es aus Mitleid oder deshalb, weil sie sich mir widersetzt hatte oder mit welcher Leidenschaft sie sie bleiben wollte. Mit welcher Intensität sie den Vampir in ihr ablehnte. Welch gutes Herz sie hatte. Oder weil sie der Mutter meines Sohnes so unglaublich ähnlich sah. Ach, was ich sie vermisste. Die in der Sonne leuchtend roten Locken, die grauen vor Freude blitzenden Augen, die Lebendigkeit. Doch sie war gegangen, weil sie mich nicht ertragen hatte.

„Papa?“

Ich schreckte aus meinen Gedanken auf.

„Kommst du?“

„Ja, wir dürfen keine Zeit verlieren“, sagte ich hastig, legte die Bücher auf den Sessel, auf dem ich eben gesessen hatte, und hastete hinter Jace her. Es war merkwürdig, diesen Bereich zu verlassen, was ich sehr selten tat. Es kostete mich einige Überwindung, schließlich aus der Flügeltür in den Innenhof zu treten. Draußen hatte für mich immer gleichzeitig Gefahr bedeutet. Ich sog die frische Luft tief in meine Lungen und musste gleich husten. Wie lange war ich nun nicht mehr hinaus gegangen? Ein kühler Nachtwind wehte um unsere Nasen und der abnehmende Mond stand schon fast oben am Himmelszelt.

„Ich würde sagen, du nimmst das Auto, ich den Panther“, schlug Jace vor.

„Wir haben Panther an dieser Schule? Als Reittiere?“, fragte ich verwirrt.

„Mein Tier, in das ich mich verwandeln kann, ist ein Panther, schon vergessen?“, er wirkte ein wenig unruhig und nervös.

„Okay. Wo steht das Auto?“

„Mensch Papa. Du bist Schuldirektor und kennst dich nicht aus?“

Ich guckte betreten zu Boden.

„Ich führ dich hin. Aber wir müssen uns beeilen“, sagte Jace und ging vor mir aus dem großen Tor. Ich huschte hinterher. Die Garage war außen an der Wand des Ostflügels und befand sich unterirdisch, sodass es nach dem Tor relativ steil bergab ging. Im Innern standen zwei Autos. Ein schwarzer Aston Martin und ein grüner Ford Ranger. Ich nahm das grüne Auto, weil ich da eher das Gefühl hatte, überall langzukommen. Ich löste die Handbremse und startete den Motor. Jace verwandelte sich und lief voran. Manchmal beneidete ich die Gestaltenwandler schon. Jace tauchte in den Wald ein und verschwand. Ich hatte wohl die Straßen abzufahren.

Und ich suchte vergeblich. Wie sollte man auch auf der ganzen Welt zu zweit ein Mädchen finden, das sich vielleicht noch versteckte. Ich fuhr wieder zurück zur Schule, als es zu dämmern anfing. Nun blieb nur noch zu hoffen, dass Jace Glück gehabt hatte. Als er jedoch nach langem Warten um 10:00 Uhr morgens alleine zurückkam, starb auch die letzte Hoffnung. Und so saßen wir in meinem Arbeitszimmer und starrten vor uns hin. Jace hatte seinen Sohn Finn im Arm und fütterte ihn, was aber auch das einzige Geräusch im Raum war. Dann schellte urplötzlich mein Handy auf dem Tisch. Wir schreckten alle auf und Finn fing an, zu weinen. Ich wusste gar nicht, dass das Telefon überhaupt funktionierte. Es hatte noch nie jemand über das Handy angerufen, sondern immer nur übers Festnetz.

Ich nahm das Handy und schaute auf's Display. Die Nummer war mir unbekannt. Ich drückte grün und hielt mir das Handy ans Ohr.

„Hallo?“, fragte ich.

„Julian?“ Diese Stimme, so melodisch und weich, hätte ich unter tausenden und nach tausenden Jahren noch erkannt.

„Emma?“

„Ja. Hör zu, ich hab ein kleines Problem. Ich hab einen Vampir in mein Haus gelassen und er hat Hunger. Ich hab sie in mein Schlafzimmer gesperrt, aber das wird sie nicht lange aufhalten. Ich glaube, es wäre besser, wenn du vorbeikämst. Die Sonne scheint, ich weiß. Aber gibt's nicht irgendeine Möglichkeit? Oder sag mir, was ich tun soll.“

Ich brachte kein Wort hervor. Mehrmals machte ich den Mund auf und zu, ohne dass etwas herauskam, bis Jace mir das Telefon aus der Hand riss und sich selbst ans Ohr hielt.

„Sie? Hat der Vampir rote, lange Haare?“, fragte er. Er hatte wohl alles mitgehört.

„Ja, aber wer bist du?“

„Unwichtig. Wir kommen so schnell wie möglich. Wo seid ihr?“

„Im Wald...“ Sie nannte ihm eine Wegbeschreibung und Jace machte sich Notizen. Dann verabschiedete er sich, legte auf und erhob sich sofort.

„Ich kann auch alleine gehen. Schließlich kannst du nicht raus“, schlug er vor.

„Nein, ich will mitkommen. Wir dunkeln das Auto hinten ab und du fährst“, bestand ich.

„Das ist viel zu gefährlich. Nur ein Mal in die Sonne, so kurz es auch sein mag, und du bist tot“, widersprach er und darin erkannte ich seine Mutter wieder. Und vielleicht auch ein bisschen mich, denn ich blieb genauso dickköpfig. Da wir allerdings nicht viel, eigentlich keine, Zeit mehr hatten, musste sich Jace schließlich zufrieden geben.

„Malene soll diesmal mitkommen. Linda kann auf Finn aufpassen“, gab ich Anweisung und Jace eilte mit Finn aus dem Raum. Ich ging in mein Zimmer, in dem ein Ledersofa, ein Fernseher und außerdem mein Kleiderschrank standen. Ich zog mir eine lange Hose, ein Langes Shirt und eine dicke Jacke mit Kapuze an. Außerdem Handschuhe und Mütze. Für das Gesicht hängte ich eine dicke Decke über einen Regenschirm. Als ich aus dem Zimmer kam, waren Jace und Malene schon fertig und warteten.

„Okay, dann können wir ja los“, meinte Jace und wir gingen nach draußen. Ich hatte keine Ahnung, ob das gut gehen würde, doch ich wollte es tun. Zu Hause zu bleiben war für mich keine Option.

„Wartet!“, rief hinter uns eine Stimme. „Wo geht ihr hin?“ Es war Cole.

„Wir holen Mira“, antwortete Jace.

„Ich komme mit.“ Das war keine Frage, sondern eine Aussage und da keiner von uns etwas dagegen hatte, begleitete uns Cole. Man konnte sehen, dass ihn nicht nur die Verantwortung als Schulsprecher dazu leitete, sondern dass er Mira wirklich gern hatte. Ich hatte versucht, ihn wieder auf die Beine zu bringen, nachdem Jace zu meiner Schwester gegangen war, um sein Vampirgen unter Kontrolle zu bekommen, indem ich ihm Verantwortung gab. Doch das hatte ihm nicht so helfen können, wie Mira. Er hatte sich vollkommen gewandelt, seit sie hier war.

Im Auto hängten wir Decken vor die Fenster und hinter die Vorder-und Hintersitze, sodass ich wenigstens den dämlichen Regenschirm runternehmen konnte. Sie entschieden sich dazu, dass Cole fahren und Jace mithilfe der Notizen lotzen sollte. Ich merkte, wie wir die Auffahrt hochfuhren, aber ab da bekam ich nichts mehr mit. Die Decken waren so dicht, dass kein Sonnenstrahl hindurchging. Das war zwar gut so, aber deshalb konnte ich nicht rausgucken und verlor vollkommen die Orientierung.

Als Jace endlich rief: „Wir sind da!“ schlug mein Herz vor Aufregung gleich doppelt so schnell. Ich würde sie wiedersehen, ihr rotes Haar, das in der Sonne leuchtete und ihre Augen, die vor Freude strahlten. Emma.

Tränen von BlutWhere stories live. Discover now