Ein Lächeln

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Bildquelle: http://spruchbild.com/picture/TEIL-EINER-FAMILIE-ZU-SEIN

Ich hatte das Gefühl, dass Cole noch unnötig durch die Welt fuhr, denn für den Rückweg brauchten wir länger als hin. Dass er mir die Zeit ließ, die ich brauchte, um mit dem ganzen klar zu kommen. Er versuchte auch nicht, mir ein Gespräch aufzuzwingen. Nein, er ließ mich einfach in Ruhe und trotzdem war er neben mir und in der Stille für mich da. Doch dann konnte ich in der Ferne die Schule sehen. Uns beiden war klar, dass wir nicht ewig durch die Welt fahren konnten. Mitternacht war schon rum, doch man sah weder Mond noch Sterne durch die Wolken.

Cole fuhr in die Garage und ich stieg aus. Ich ging am Gebäude entlang Richtung Eingangstor. Cole, der erst noch das Garagentor abschließen musste, kam einige Meter nach mir. Noch immer bedrängte er mich nicht. Ich ging in den Innenhof. Alles war verloren und verlassen, denn alles schlief. Alle Fenster waren dunkel. Ich blieb stehen.

Cole trat neben mich, ließ mir Zeit. Aber ich wollte nicht mehr alleine sein. Ich wollte eine Säule haben, die mich hielt und die beständig war, eine Stütze, die blieb und auf die ich zurückkommen konnte.

Ich drehte mich zu ihm und legte meinen Kopf an seine Schulter. Er schlang die Arme um mich und hielt mich fest. Ich fühlte, dass er mich verstand. Er setzte sich auf eine Bank und zog mich auf seinen Schoß. Schließlich fing ich leise an, zu weinen. Ich weinte, bis ich einschlief.

Cole brachte mich irgendwann ins Bett, gab mir einen Kuss und ging selbst schlafen. Ich lag noch lange wach, doch bis zum Morgen fasste ich einen Entschluss: Ich würde das beste aus der Situation machen und versuchen, damit klarzukommen.

Als wir uns am nächsten Morgen in der Kantine trafen, sah die Welt schon wieder ganz anders aus. Da wo gestern ausschließlich Angst vor dem Unbekannten war, war nun Aufregung und ein bisschen Vorfreude getreten. Ich lächelte und Cole begann ebenfalls zu lächeln, während ich ihm beim Essen zusah.

„Guten Morgen ihr beiden!“

Ich schaute auf. Jace. Mein Lächeln schrumpfte ein wenig und mein Blick wanderte zu Cole. Er sah mich an. Ich versuchte schnell wieder, die Mundwinkel nach oben zu ziehen, doch mehr gelang mir auch nicht. Es erreichte nicht meine Augen.

„Guten Morgen, Jace“, sagte ich trotzdem betont fröhlich und rückte einen Stuhl zurecht. Er setzte sich und begann Finn zu füttern. Der strahlte über sein ganzes Gesicht. Finn, mein Neffe. Ich schluckte.

„Man Leute, was ist los?“, fragte Jace ungeduldig. Keiner von uns sagte ein Wort. Schließlich bat ich Cole mit einem Nicken, es zu erklären.

„Von deiner Mutter wussten wir, dass du einen Zwilling hast...“

Ich beobachtete Jace ganz genau. Überraschung. Neugierde. Erwartung. Verwirrung. Hoffnung. Dann wanderte sein Blick zu mir. Unglauben. Ich blickte zurück, nahm ihn mit ganz anderen Augen wahr. Seine Nase, seine Lippen, sein Kinn, seine Wangen, seine Augenbrauen, seine Stirn, seine Haare, seine Ohren, seine Schultern und schließlich seine Augen. Er musterte mich ebenfalls. Und dann lächelte er. Es tat gut, denn dieses Lächeln sagte: Ich freue mich, dass du meine Schwester bist und dass du zu meiner Familie gehörst. Willkommen.

Dieses Mal war mein Lächeln ehrlich und strahlte. Wenn Jace schon mal auf meiner Seite war, konnte der Rest nicht mehr so schwer sein. Der erste Schritt war getan.

-Hallo Leseratten!
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Euer readerbunny01-

Tränen von BlutWhere stories live. Discover now