Lorelays Geheimnis

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Bildquelle: http://www.nordpool-media.com/images/bigpreview/ib/iblbah00148084.jpg/

Jace befand mich als vertrauenswürdig, sodass ich nicht zurück in den Käfig musste. Ich verbrachte fast dir ganze Zeit mit Cole, weil Jace viel mit Lorelay zu besprechen hatte. Oft gingen wir in den Garten oder auf die Veranda. Manchmal nahmen wir Finn mit, den Cole mit nach Paris gebracht hatte, und spielten mit ihm. Manchmal schwiegen wir in trauter Zweisamkeit. Er erzählte mir von seinen Prüfungen. Sie waren gut gelaufen und er hatte sie mit einem Schnitt von 1,6 bestanden.

Als es ihm wieder besser ging, wir saßen gerade auf der Veranda, schlug ich vor, die Stadt zu besichtigen.

„Hast du das noch nicht gemacht?", fragte er überrascht.

„Nein", sagte ich lächelnd, „meinen Stadturlaub durfte ich ja im Keller verbringen."

Er verzog gequält das Gesicht. „Hätte ich gewusst, was sie dir antun, hätte ich es niemals zugelassen."

„Cole, es war gut, dass sie es gemacht haben. Ich wollte ja Kontrolle und ich denke nicht, dass es einen anderen Weg gibt."

Er sagte nichts dazu.

„Also, hast du Lust?", fragte ich noch einmal.

„Auf jeden Fall. Alles, was dir Spaß macht, macht auch mir Spaß, wenn ich mit dir zusammen bin", sagte er und drückte meine Hand, „ich muss aber noch was holen gehen, dann komm ich wieder." Damit stand er auf und verschwand im Haus.

Ich ging ebenfalls rein, um Bescheid zu sagen. Im Haus war es wie immer dunkel. Da ich keine Ahnung hatte, wo Lorelay oder Jace waren, rief ich einfach: „Jace? Lorelay? Wo seid ihr?"

Keine Antwort.

„Miriam?"

Ich ging zur Kellertreppe und stieg sie langsam hinab. Auch hier war es stockfinster, doch ich wusste noch ungefähr, wie es aussah. Ich schaute zuerst in den Raum, in dem wir Lorelay zum ersten Mal begegnet waren, den Raum, mit den vielen Tellern an der Wand. Doch das war ein Reinfall. An der nächsten Tür ging ich geflissentlich vorbei, denn in diesem Zimmer war sie ganz bestimmt nicht. Es war der Raum mit meiner Zelle. Durch die nächste Tür konnte ich nicht durch, weil sie abgeschlossen war. Also probierte ich es an der am anderen Ende des Ganges. Ich tastete nach einem Lichtschalter und fand ihn schließlich. Zum Vorschein kam ein mittelgroßer Raum mit einem Schrank, zwei Komoden und einem schwarzen Lesersofa.

Auch hier war niemand. Ich wollte mich gerade wieder umdrehen, als mir ein eingerahmtes Foto auf der Komode gegenüber der Tür auffiel. Es zeigte zwei Personen. Als ich näher kam, konnte ich die eine als Lorelay identifizieren. Die andere Frau kannte ich nicht. Sie hatte braune, kurze Haare, eine schwarze Brille auf der Nase und den Arm um Lorelay gelegt. Beide strahlten übers ganze Gesicht und sahen sehr glücklich aus. Ich fragte mich, wer die Frau war und wo sie war. Auf der Komode lag ebenfalls ein in Leder gebundenes Buch, das schon sehr abgegriffen aussah. Ich schaute zur Tür und lauschte, ob jemand kam. Dann schlug ich das Buch auf.

Es war ein Fotoalbum. Die ersten Fotos zeigten zwei Kinder, eines mit schwarzen und eines mit braunen Haaren, vermutlich Lorelay und ihre Freundin in jungen Jahren. Sie spielten zusammen im Gras vor einem großen Haus und sahen immer fröhlich aus. Dann wurden die Kinder älter, jugendlich und waren schließlich in meinem Alter. Ich blätterte um und plötzlich war kein Foto mehr eingeklebt, sondern eine Karte. Oben auf der Karte war die Frau mit den braunen Haaren abgebildet und noch immer strahlte sie. Unter dem Bild stand ein Spruch. Ich las ihn.

Eine Stimme, die uns vertraut war, schweigt.

Ein Mensch, der uns lieb war, ging von uns.

Was uns bleibt, sind Liebe, Dank und Erinnerungen.

Das stimmte mich sehr traurig und ich blätterte weiter. Dort war wieder ein Foto. Ein Foto von einem frisch aufgeschüttetem Grab mit einem Kreuz aus Holz. Und da begriff ich: Lorelays Freundin war gestorben.

Auf einmal fühlte ich Mitleid und eine gewisse Zuneigung für diese Frau, die ihre Freundin verloren hatte, als sie noch jung waren. Offensichtlich hatte Lorelay das Album oft in die Hand genommen und durchgeguckt, hatte immer wieder neue Tränen um ihre verstorbene Freundin geweint.

Plötzlich schreckte ich auf. Schritte näherten sich der Tür. Geschwind legte ich das Album zurück und drehte mich um. Just in dem Moment wurde die Tür weiter aufgestoßen und meine Tante kam herein, gefolgt von meinem Bruder. Lorelay blieb wie angewurzelt stehen. Ihre Miene war unergründlich.

„Ah, euch hab ich gesucht", sagte ich schnell, „wir, also Cole und ich, wollen in die Stadt, also besichtigen und so. Ähm, ich wollte nur bescheid sagen."

Sie presste einen Moment die Lippen aufeinander. Dann sagte sie: „Aha. Gut. Jace, willst du nicht vielleicht mitgehen?"

„Wenn du mich hier nicht mehr brauchst?" Es war mehr eine Frage, als alles andere.

„Geh nur mit und pass auf, dass die beiden keinen Unsinn anstellen."

So kam es, dass Jace, und somit auch Finn, mitkamen. Cole stutzte erst, als ich mit Jace wieder aus den Keller kam, gab sich aber damit zufrieden. Das ließ mich wiederum stutzen, denn ich hatte gedacht, er freue sich über Jace' Anwesenheit.

Jace und Cole packten ein kleines Picknick zusammen, das wir in dem Park vor dem Eiffelturm verspeisen wollten, während ich eine Stadtkarte suchte. Zum Glück war eines der wenigen Bücher, die Lorelay besaß, sie stand eher auf Teller, ein Reiseführer. Als alles fertig war, machten wir uns auf den Weg.

-Hallo Leseratten,
Sorry, dass das so lange gedauert hat, aber jetzt habt ihr wieder ein neues Kapitel. Ich freue mich wie immer über Votes und Kommentare. Das Buch wird übrigens demnächst “Tränen von Blut heißen“. Viel Spaß beim Lesen!

Euer readerbunny01-

Tränen von BlutWhere stories live. Discover now