Dylan: "Schneewittchen - Ganz anders" von GenevieveXMartin

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Was sein muss, muss sein, hier der Überblick über Genevieves Geschichte: Sie schreibt märchenhafte High-Fantasy, wobei das märchenhaft wirklich sehr wortwörtlich zu verstehen ist.

Ganz am Anfang muss ich jetzt eine Sache als Gesamteindruck festhalten: Gib mir meeeehr! Mir egal, dass ich noch etwa zehn Kapitel nicht gelesen habe, gib mir mehr! Es ist so verflucht gut, ich habe jedes Kapitel aufs Neue wieder verschlungen und wollte ganz unbedingt herausfinden, wie es weitergeht.

Dein größter Trumpf sind deine rasiermesserscharf gezeichneten Charaktere. Und, Ladies und Gentlemen, hier muss ich euch zuallererst mein Ship des Jahres vorstellen. Prinzessin Linnea und ihre Kammerzofe Käthe. Gibt es ein niedlicheres fiktives Pärchen auf diesem Planeten? Ich glaube nein. Die zwei möchte man einfach nur mit beiden Armen aneinanderdrücken, damit sie einfach glücklich miteinander werden. Auch wenn es nicht primär um die beiden geht, aber das musste einmal gesagt werden. Du stellst ihre (Nicht-)Beziehung einfach so wunderschön und realistisch dar, es ist kein dauerhaftes gegenseitiges Begehren, sondern es sind die kleinen Dinge ("So sind [deine Haare] mir am liebsten" in Kapitel 4) und Aufmerksamkeiten, die das Vertrauen und Verständnis zwischen den beiden so greifbar und realistisch machen.

Aber natürlich ist das bei weitem nicht das einzige oder prominenteste, was Linnea charakterisiert, die Dame hat es nämlich ordentlich drauf. Ich liebe, wie sie nie ein Blatt vor den Mund nimmt ("Sagt, ist es wahr, dass Ihr in Euren Minen Zwerge als Sklaven arbeiten lasst?" in Kapitel 11) und auch kein Problem damit hat, ihren freundlichen Cousin in die Schranken zu weisen.

Oh, dieser Cousin, seines Zeichens Thronfolger von Angmar, ist einer dieser Charaktere you love to hate. Verwöhnt und von sich selbst überzeugt, ist er natürlich sehr behütet aufgewachsen, aber wisst ihr, warum er so glaubwürdig wird? Weil er nicht überall hin geht und auf die armen Leute zeigt, wie es häufig in mäßig guten Geschichten mit dem arroganten Prinzen gemacht wird - nein, du machst das viel glaubwürdiger. Leonard nimmt die Leiden des Volkes nämlich überhaupt nicht wahr. Wenn er durch ein Dorf reitet, dann sieht er vielleicht, dass es ärmlich und schmutzig ist, aber der Gedanke, dass es in seiner Macht liegen könnte, daran etwas zu ändern? Der kommt ihm natürlich nie, es kümmert ihn einfach nicht genug. Und das ist einfach nur grandios gemacht, ich ziehe meinen violetten virtuellen Hut vor dir. Gleichzeitig schaffst du es aber, Leonard gerade so viel Schwäche und eigene Probleme mit auf den Weg zu geben, dass man bereit ist, ihm irgendwann zu verzeihen, wenn er denn seine Fehler einsieht. Ich wäre dann möglicherweise noch auf seiner Seite.

Aber wisst ihr, wer noch nicht so richtig auf Leonards Seite ist? Goldlocke alias Löckchen alias Rotkäppchen. Die muss dem geschätzten Thronfolger gleich im zweiten Kapitel das Leben retten und bekommt dafür einen Vortrag über unrechtmäßige Wilderei gehalten. Den sie natürlich nicht auf sich sitzen lässt. Löckchen tritt in der Geschichte als weiblicher Robin Hood auf und ich kaufe ihr die Rolle vollkommen ab. Im Gegensatz zu den anderen beiden Hauptfiguren fehlt mir bei ihr vielleicht ein klein wenig die Tiefe, ich weiß nicht, was sie sich im Ganzen vom Leben erhofft oder ob es etwas gibt, worauf sie hinarbeitet. Während ich bei Leonard und Linnea immer das Gefühl hatte, dass sie ihren Weg gehen werden, treibt Goldlocke für mein Empfinden ein wenig vor sich hin. Aber das mag ja auch genau so von dir gewollt sein, also wer wäre ich, dir das vorzuschreiben? Es ist mir nur im Kontrast zu Leonard und Linnea aufgefallen, auch, wenn ich, und das kann ich gar nicht genug betonen, absolut finde, dass sie trotzdem alle drei sehr glaubwürdige Charaktere sind.

Jetzt gibt es nur noch eine charaktermäßige Kleinigkeit, die ich vielleicht nicht ganz glaubhaft finde: Es scheint sich zumindest eine Freundschaft (wenn nicht mehr) zwischen Löckchen und Leonard anzubahnen und während die schon bestehende Beziehung zwischen Linnea und Käthe sehr organisch wirkt, finde ich es bei den beiden ersteren ein wenig zu gewollt. Insbesondere Goldlocke denkt plötzlich vermehrt an ihn, beschreibt unvermutet, wie gut er ja eigentlich aussieht ... das sind so die klassischen Wege und während ich das in einer Geschichte, die schlechter ist als deine, wahrscheinlich überhaupt nicht kritisieren würde, finde ich es hier ein wenig schade. Es gibt so viele andere Stellen, wo du eindrucksvoll zeigst, wie toll du Beziehungen in einem Satz einfangen kannst, da hätte ich mir hier ein wenig mehr ... wie sage ich es ... Pepp (??) gewünscht.

BewertungsbuchWhere stories live. Discover now