Juliana: "Wie man Weihnachten auslöscht" von caranellie

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Willkommen zurück. Ich erlaube mir, an die Weihnachtsfeiertage das Feedback zu einer Weihnachtsgeschichte anzuhängen und die Warteliste damit einmalig durcheinander zu bringen - ab heute halte ich mich wieder genau daran.

Legen wir direkt los. Es geht um die Geschichte "Wie man Weihnachten auslöscht" von caranellie. Sie wurde als Adventskalender veröffentlicht und in ihrem Zentrum stehen Rachel und ihre Familie, die erfahren, dass es Elfen gibt. Die sind aber unter anderem klimawandel- und umweltverschmutzungsbedingt nicht gut auf die Menschheit zu sprechen und haben sich zum Ziel gesetzt, das zurückzustehlen, was zum Erfolg der Menschen auf der Erde geführt hat und dabei aus Rache noch Weihnachten auszulöschen.

Kommen wir direkt zu den Stellschrauben, an denen du meines Erachtens noch etwas drehen könntest.

1. Setup und Payoff

Das sind zwei Begriffe, die an anderer Stelle schon einmal aufgetaucht sind, da sich aber vermutlich niemand mehr daran erinnert, hier die Wiederholung: Emotionale Reaktionen bei Lesern erreichst du dadurch, dass du immer wieder auf ein Problem hindeutest, zeigst, wie deine Figuren damit umgehen und dass du dann einen entscheidenden Moment einbindest, in dem sie entweder von dem Problem überwältigt werden oder - gängiger - es überwinden. In dem Bereich fallen dann häufiger auch Begriffe wie "Foreshadowing/Vorausdeuten", aber so weit möchte ich hier nicht ausholen.

Für mich fallen diese Punkte in deiner Geschichte aber häufig etwas flach. Ein Beispiel hierfür wären die Kapitel vom 7. Dezember und vom 12. Dezember. Im ersten Fall sagt Rachel der homophoben Mutter ihrer besten Freundin ihre Meinung, im zweiten stellt sie sich das erste Mal dem Schmerz, den der Unfall (nennen wir es einmal so) und das daraus folgende Koma ihrer Mutter in ihr auslöst.

Beides sehr emotionale Themen, beide sehr geeignet für einen großen Payoff-Moment und - insbesondere am 12. Dezember - exzellent geschrieben. Aber emotional erreichen tun sie nicht. Im ersten Fall habe ich vorher nie gesehen, wie Linas Mutter ihre Tochter nicht akzeptiert, ich habe sie nie fiese Kommentare von der Seite oder auch frontal machen sehen. Da gibt es nur den einen, den sie Rachel entgegenschleudert, als sie die Tür öffnet. Aber das rechtfertigt noch nicht den Ausbruch von Rachel - in Rachels Perspektive sicherlich schon, aber nicht aus derjenigen der Leser.

Etwas anders sieht es bei der Trauerszene aus. Da wissen wir, wie sehr die Situation ihrer Mutter Rachel belastet und wir haben sie auch schon bei einem Besuch im Krankenhaus begleitet. Aber du hast nicht darauf hingedeutet, dass es auch noch unaufgearbeitete Punkte bei Rachel gibt, Dinge, die sie von sich weg geschoben hat. Wir haben nicht gesehen, wo diese Sachen Rachel einschränken. Und deswegen wirkt auch ihr wunderschön geschriebener Erkenntnis-Moment nicht: Weil wir nicht wussten, dass er dringend nötig ist. Außerdem scheint sich danach auch nicht viel zu ändern im Hinblick darauf, wie sie und ihre Familie miteinander umgehen, auch hier fehlt das Payoff.

An anderen Stellen hat mir das Payoff dagegen gefehlt. Das größte Beispiel hierfür ist (SPOILER ANFANG) das Wiedersehen mit Rachels Erzeuger. Er bzw. sein Fehlen wurde als bedeutender Teil ihres Lebens etabliert, aber dann sieht sie ihn wieder und es passiert einfach ... nichts. Kein Wutanfall, keine Fragen, keine emotionale Reaktion irgendeiner Art. Nicht einmal dann, als er Rachel eröffnet, dass er derjenige ist, der für die Situation ihrer Mutter verantwortlich ist, weil er sie beinahe zu Tode geprügelt hat. Er sagt, es tut ihm leid, und damit ist das Thema erledigt. Sie sitzen sogar zu Weihnachten zusammen! Ohne eine Aussprache! (SPOILER ENDE) Da hätte ich mir deutlich mehr erhofft.

Payoff gefehlt hat mir auch bei den Konsequenzen des Steins. Diesen haben die Menschen den Elfen gestohlen, weswegen sie eine solche Vormachtstellung auf der Erde erlangt haben. (SPOILER ANFANG) Im Verlauf der Handlung wird er aus einem Museum gestohlen und zerbricht im darauf folgenden Trubel. (SPOILER ENDE) Was aber leider nicht thematisiert wird, ist, welche Konsequenzen das haben wird. Erlangen die Elfen wieder die Vorherrschaft über die Menschen? Finden sie zu einem friedlicheren miteinander? Versinkt die Welt in Chaos? Hier fehlt das Payoff völlig und das erweckt den Eindruck, anfangs auf eine falsche Fährte in Bezug darauf geführt worden zu sein, was in dieser Geschichte entscheidend sein wird.

Das bringt mich zu meinem nächsten Punkt.

2. Thema

Jede Geschichte hat ein Thema, mit dem sie sich auseinandersetzt, die meisten längeren sogar mehrere. Der Titel deiner Geschichte suggeriert, dass es um Weihnachten geht und auch in deinem Prolog deutest du darauf hin, dass du das Spannungsfeld zwischen dem Fest und dem Konsum und der Umweltzerstörung untersuchen möchtest, für die es und die Menschheit im Allgemeinen leider auch berühmt ist.

Dass du in diese Geschichte noch Rachels Familiengeschichte einwebst, die Mutter, nach der sie sich sehnt und den Vater, der verschwunden ist, empfinde ich als stimmig und thematisch gut mit dem übergreifenden Thema zu verweben.

Leider war mir im Verlauf der Geschichte nicht mehr klar, was du erzählen möchtest. Um die Motivation und auch die Wut der Elfen nachvollziehen zu können, bräuchte ich mehr davon. Lass mich die Zerstörung und das Elend sehen, dem sie ausgesetzt sind, mach die Zerstörung durch den Menschen greifbar. Es reicht nicht, das im Hintergrund laufen zu lassen, à la "Das kennt ihr ja aus den Nachrichten". Denn dann könnte ich auch Nachrichten lesen. Ich will sehen, wie genau das Thema die Figuren in der Geschichte betrifft, die du erzählst, damit ich besser nachvollziehen kann, woraus sie ihre Motivation beziehen.

Gleiches gilt im Umkehrschluss auch für Weihnachten. Ich möchte am Ende sehen, dass die Figuren das erreicht haben, für das sie am Anfang gekämpft haben. Das deutest du an, mit dem gemeinsamen Weihnachtsbaumschmücken und den Kakao, den Rachel und ihr Bruder immer zusammen trinken, aber die richtige Weihnachtsstimmung fehlt noch etwas. Was genau hat Weihnachten an sich, das es für genau diese Familie besonders macht? Wieso sind sie so sehr bereit, dafür zu kämpfen? Hier bräuchte ich mehr, um auch hier die Figuren anfeuern zu können, denn gerade engagieren sie sich für einen vagen Begriff, der nicht richtig greifbar wird.

Dass am Ende noch einmal betont wird, dass Konsum bewusster gesteuert werden sollte, hat für mich dann auch seinen Effekt verfehlt, denn während ich der Botschaft zustimmen möchte, bekomme ich in der Geschichte thematisch keinen Anhaltspunkt dafür. Ich habe weder gesehen, wie übermäßiger Konsum schädlich sein kann, noch erfahren, welche Vorteile es hat, genauer darauf zu achten.

3. Sonstiges

Das klingt alles sehr kritisch, weswegen ich diese Stelle nutzen möchte, um hervorzuheben, was gut funktioniert hat. Insbesondere am Anfang habe ich sehr viele positive Anmerkungen in meinen Notizen.

Du verstehst es, Beschreibungen so in deinen Text einzubinden, dass sie die Geschichte mit erzählen, anstatt einfach nur zu sagen, wie die Umgebung aussieht, z. B. bei "Nicht auszudenken, was wäre, wenn der Schnee den schönen Parkettboden beschmutzen würde". Du musst deinen Lesern nicht sagen, dass es schneit und dass das Haus einen schönen Parkettboden hat, das ghet aus diesem Satz tadellos hervor.

Besonders gefallen haben mir auch die anfänglichen Charakterisierungen deiner Figuren. Das geschwisterliche Hickhack zwischen Richard und Rachel sowie die ersten Gespräche mit Lina und Mo haben ein sehr klares Bild von allen entstehen lassen, ohne, dass du viele Worte dafür hättest verwenden müssen. Das ist wirklich gut!

Es ist mir nicht im Geringsten schwergefallen, die 24 Kapitel deiner Geschichte zu lesen und ich habe an einigen Stellen gelacht (hier sei besonders der heldenhafte Auftritt von Marie-Claire am Ende genannt). Alles in allem hatte ich etwas den Eindruck, dass du schon gut schreiben kannst, aber dir nicht die Zeit genommen hast, deine Geschichte (ausreichend) zu planen, weswegen da der Fokus verloren gegangen ist.

Und jetzt ab in die Kommentare, ich bin gespannt auf eure Gedanken zu allem, insbesondere zu "Setup und Payoff"-Situationen und "Themen" - und natürlich zu caranellies Geschichte!

Jetzt bleibt mir abschließend nur noch an alle zu wünschen, dass ihr ein schönes Weihnachtsfest oder ein paar entspannte freie Tage hattet und dass ihr nicht zu viel in den Tagen bis Neujahr zu tun habt. Bis bald!


BewertungsbuchWhere stories live. Discover now