Juliana: "Der Wassermanns Weib - berührt" von Irres_Irrlicht

128 27 26
                                    

Eigentlich würde diese Bewertung eher in den Sommer passen, denn es wird abkühlend bei den Flussmenschen in der Welt von Irres_Irrlicht.

Wir folgen hierbei Senga, in ihrem zweiten Teil. Sie ist von Zacery, einem Flussmenschen, entführt worden und soll nun dessen Flussbraut werden, in seinem Schwarm.

Worldbuilding

Ich muss an dieser Stelle einmal sagen, dass ich hier ein wenig gegen mein Prinzip verstoßen werde, größtenteils zu mäkeln. Aber Worldbuilding ist ein komplexes Thema und ich denke, ich kann nur meckern, wenn ich damit kontrastiere, was funktioniert.

Denn, ganz zuerst: Es bringt eine ganze Reihe an Herausforderungen mit sich, eine ganze Handlung unter Wasser zu beschreiben. Die ganze Welt funktioniert anders da unten, und das fängst du gekonnt ein. Angefangen schon bei dem roten Haar der Protagonistin, die damit klarkommen muss, dass sie auf einmal keine roten Haare mehr hat, sondern grüne. Du beleuchtest die Nachteile von Sengas Überwasserkleidung und die anderen kulturellen Gegebenheiten. Und du findest eine sehr elegante Erklärung dafür, wie Kommunikation unter Wasser funktioniert und denkst da auch geschickterweise an die Konsequenzen.

Flussmenschen tauschen sich nämlich über Gedanken aus, nicht über gesprochene Sprache oder Mimik und Gestik. Das funktioniert aber im Normalfall nur über Berührung. Und auch hier denkst du sehr geschickt an die Konsequenzen: Berührungen sind bei den Flussmenschen normal und gehören zur Kommunikation, während Senga als Mensch Berührungen eher mit Intimität verbindet und sich daraus einige Komplikationen ergeben. Das gilt insbesondere, weil bei ungeübten Anwendern der Gedankensprache diese Gedankenlesen gleichkommt - Senga sich also ausgeliefert fühlt, sobald sie mit jemandem spricht.

Das sind alles Aspekte, die sehr gut gelungen sind. Eine Falle beim Worldbuilding ist ja häufig, dass man sich etwas überlegt, aber dann die Konsequenzen hiervon unbeachtet lässt. Das tust du nicht und genau das lässt die Flussmenschen sich so echt anfühlen.

Hier setzt allerdings auch ein wenig mein kleiner Kritikpunkt an. Du hast an alle wichtigen Aspekte des Worldbuildings für Senga gedacht, alle Punkte beeinflussen ihre Erfahrungen ja entscheidend und sind gut durchdacht. Was mir ein wenig fehlt, sind die Kleinigkeiten darum herum. So Aspekte wie die Frauenfische, die Schwangeren folgen. Du hast superschöne Ideen, setz sie noch ein bisschen breitgefächerter ein. Diese kleinen Details sind dann die Punkte, die einer Geschichte das letzte Etwas geben und bei dir noch ein wenig spärlich gesäht sind.

Beschreibungen

Du hast mich ja explizit darum gebeten, auf Beschreibungen zu achten. Im Endeffekt kann ich hier das gleiche sagen wie schon im vorangegangenen Absatz: Das, was da ist, ist alles gut. Es ist anschaulich beschrieben und nicht unnötig ausschweifend. Aber, um mich hier einmal Dylans Wortwahl zu bedienen, es fehlt ein wenig der Glitzer. Was sind besondere Gesten, die eine Figur auszeichnen? Gibt es einen Ort im Flussdorf, der auf irgendeine Art und Weise besonders aussieht? Wie wirken sich unterschiedliche Wetterlagen auf das Licht am Flussgrund aus? Ich weiß, der Boden eines Flusses ist nicht leicht literarisch zum Leben zu erwecken, aber dir fällt sicherlich noch etwas ein.

Charaktere

Ein Problem, das Entführungsgeschichten, die nicht auf eine Krimigeschichte hinauslaufen, häufig haben, ist, dass die Hauptfigur sich unglaublich schnell damit anfreundet, nicht mehr daheim zu sein. Wenn das bei jemandem nicht der Fall ist, dann wohl bei Senga. Sie ist an Zac gebunden, aber dass ihr das nicht passt, das wird mit jeder Interaktion und jedem Satz deutlich. Sie versucht mehrfach zu entkommen, und dass es nicht funktioniert, trägt wahnsinnig gut dazu bei, dir Gelegenheit zur Exposition zu geben.

Und die Interaktionen zwischen ihr und Zac lockern darüber hinaus häufig die Atmosphäre auf, in welchem Kontext ich euch nicht eine meiner absoluten Lieblingsstellen vorenthalten will, als sie auf einen Flussmenschen eines anderen Schwarms treffen:

"Überrascht stellte ich fest, dass er anders aussah als Zac. Irgendwie hässlicher.

"Oh, danke", flüsterte Zacs Stimme in meinem Kopf.

Noch hässlicher!"

Senga ist absolut nicht begeistert, entführt worden zu sein, und das schwingt überall mit. Und dennoch schaffst du es, eine Grundlage dafür zu schaffen, dass sie sich irgendwann wieder versöhnen könnten, auch wenn es einige Zeit dauern könnte. Solche Momente flechtest du nach hinten immer wieder ein und das ist sehr geschicktes Characterbuilding.

Auch die Nebenfiguren funktionieren gut, es gibt die unterschiedlichsten Reaktionen auf Senga und ihre Beziehung zu Zac. Alles fängst du sehr geschickt ein und auch dass die Handlung darin gipfelt,

SPOILER ANFANG

dass Senga keine große Sympathie beim Schwarm weckt, weil sie sich von allen distanziert hat, ist absolut gelungen. Ich kann Senga verstehen, die sich und ihre Emotionen schützen will, aber auch die anderen Schwarmmitglieder, die sie als arrogant und distanziert wahrnehmen.

SPOILER ENDE

Zac fand ich insbesondere am Anfang einen faszinierenden Charakter. Er hat Senga entführt, gibt sich aber wirklich alle Mühe, nett zu ihr zu sein und verteidigt sie gegenüber dem anderen Schwarm. Als sie dann aber bei seiner Familie sind, lässt sein Interesse ein wenig nach und er wird richtiggehend unerträglich. Da hatte ich allerdings auch das Gefühl, dass das so von dir gewollt ist und würde es in der Folge nicht als Kritik auslegen.

Was die Interaktionen der beiden angeht, habe ich nur eine kleine Anmerkung und ich habe das Gefühl, hierbei langsam ein wenig im Kreis zu reden: Trau dich, sie auch abseits der Handlung ein wenig miteinander reden zu lassen. Kleine Anmerkungen wie im Beispiel oben machen Charaktere noch einmal greifbarer und da dürfte es noch ein wenig mehr sein. Nicht, dass du jede Szene weiter in die Länge ziehen musst, sondern ich würde mir auch hier wieder manchmal noch einen kleinen Schlenker wünschen.

Fazit

Wie, schon am Ende? Jap. Ich habe hier tatsächlich nichts hinzuzufügen: Deine Geschichte funktioniert in ihrem Aufbau, die Charaktere sind glaubhaft und ihre Handlungen logisch. An Rechtschreibung fehlt vielleicht mal ein kleines Komma, aber nichts, das mir regelmäßig aufgefallen wäre. Deine Beschreibungen sind passend und lassen mich dir das Setting unter Wasser ohne Vorbehalte abkaufen. Das Worldbuiding überzeugt und hat logische Konsequenzen. Im Endeffekt lässt sich meine Kritik auf einen Punkt hinunterbrechen: Sowohl in den Handlungen, den Dialogen und den Beschreibungen fehlt manchmal das kleine Detail, das die Geschichte noch anschaulicher machen und vielleicht einen kleinen Lebenshauch mehr hinzufügen würde. Aber: Meckern auf allerhöchstem Niveau. Ich kann deine Geschichte uneingeschränkt weiterempfehlen an jeden, der gerne Fantasy liest.

BewertungsbuchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt