Dylan: "Die Zelebrierung der Menschlichkeit" von Scarlett_of_smoocave

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Heute widmen wir uns einem Oneshot über Fremdenfeindlichkeit ... oder ... geht es doch um Aliens? Wahrscheinlich um beides. Lasst euch überraschen und  von Scarlett_of_smoocave entführen.

Wir werden in die Welt des unbenannten Ich-Erzählers geworfen, eine Welt, die in einem entscheidenden Aspekt anders ist als unsere: Aus den Tiefen des Alls ist etwas zurückgekommen, auf der Erde sind Aliens gelandet. Und natürlich treffen wir auf die üblichen Probleme - denn wie sollte es anders sein? Die Menschen können eben nicht aus ihrer Haut. Bitte beachtet, dass mein verächtlicher Tonfall auf das ewige Thema Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gerichtet ist, nicht auf Scarletts Geschichte. Die fängt nämlich die üblichen Elemente sehr gekonnt ein. Die Aliens (auch Siebzehner genannt) haben andere hygienische Bedürfnisse, andere Essgewohnheiten und andere Religionen - wie KÖNNEN sie nur? Sie VERDRÄNGEN diejenigen, die zuerst da waren! Kommt euch diese Situation irgendwie bekannt vor? Ja, mir auch. Ich könnte ... lassen wir das, ich will nicht wegen meiner Aufregung den Erwachseneninhalt von diesem Buch anstellen müssen.

Mit diesen Gedanken jedenfalls schlägt sich auch Scarletts Hauptfigur herum. Sie war nämlich gerade alt genug, um diese Ressentiments ebenfalls zu kennen, aber nicht alt genug, um sie offen ausleben zu können wie die ältere Generation. Kommen wir zu dem ersten, was ich kritisch zu dieser Geschichte zu sagen habe: Ich verstehe absolut, woher die Vorurteile kommen. Wir können sie ja wirklich auch in unserer Lebenswelt beobachten. Aber ich finde, du hättest die Erfahrungen deiner Hauptfigur noch etwas mehr auswälzen können, um das wirklich zu veranschaulichen. Das findet sich nämlich bisher nur in einem Punkt. Sie muss nämlich mit dem Siebzehner "Daniel" zusammenarbeiten und as (so das neue Pronomen für die geschlechtslosen Neuankömmlinge) tippt einfach deutlich schneller als sie. So Momente der Unterlegenheit oder auch nur des Unwohlseins hätte ich mir noch mehr gewünscht. Bekommt deine Hauptfigur beispielsweise keinen Platz in der U-Bahn mehr, weil die einzigen noch freien Plätze auf die Hintern der Siebzehner angepasst sind? Stolpert sie, weil sie einem Siebzehner mit ihren überdimensionalen Kinderwagen Platz machen muss?
Keine von diesen Annahmen sind jetzt im Worldbuilding enthalten, aber das wären so kleine Momente, die mir rein exemplarisch eingefallen wären, ich hoffe, es ist klar, was ich meine. Es wäre einfach noch etwas anschaulicher herausgekommen, woher die Abneigung kommt und sind wir ganz ehrlich, es sind häufig diese Kleinigkeiten, an denen es hängt.

Für Scarletts Protagonisten kommt der Moment des Umdenkens oder zumindest der Ansatz davon, als Daniel einen Bäcker nicht betreten darf, weil dieser nur für Menschen ist. Ich war so wütend, ich sage es dir. Insbesondere wegen der Reaktionen. "Jetzt hat dieses Ding hier Dreck reingebracht." JA UND DU MIT DEINEN SPRINGERSTIEFELN NICHT ODER WAS!! Hmpf. Ich denke, du verstehst, was ich meine. Wenn das nicht Moment ist, um umzudenken, weiß ich auch nicht.
Hier würde ich aber gerne noch einmal den gleichen Punkt anbringen wie oben (*nerv*): Ich hätte mir mehr Innenleben deiner Hauptfigur gewünscht. Wie sieht sie Daniel? Was geht durch ihren Kopf? Das muss ja gar nicht viel sein, ein oder zwei Sätze. Und auch nicht "Jetzt bin ich traurig, weil as so traurig aussieht. Ich werde etwas ändern.", sondern dezenter. Klar soweit?

Aber ja. Worauf läuft das Ganze hinaus. "Die Zelebrierung der Menschlichkeit", der Leitartikel der Zeitung, für die sowohl die Hauptfigur als auch Daniel arbeiten. Daniel hätte diesen Leitartikel gerne geschrieben, darf aber nicht, weil ... ja. Weil as die Erfahrung fehlt. Denkt man zumindest und ist anfangs der Grund, warum der Ich-Erzähler die Anfrage ablehnt. Soll Daniel doch den Langeweile-Artikel über zwischenwesenliche Beziehungen schreiben. Aber das lässt as nicht auf sich sitzen! Am Ende hat die Hauptfigur den Artikel "Die Zelebrierung der neuen Welt" auf dem Schreibtisch liegen und holla, die hat es in sich. Man wird geschickt auf die falsche Fährte gelockt und am Ende steht man vor der Realisation, dass die Siebzehner doch die gleichen Empfindungen haben. Dass sie auf der Erde aufgewachsen sind und sie genauso als Heimat empfinden wie auch die Menschen. Und so sehr ich - wieder einmal - die Botschaft liebe, ich glaube, du hättest noch einen Hauch tiefer gehen können. Ich hatte den winzigsten, winzigsten Anflug von dem Gefühl, jetzt am Ende in Platitüden abgespeist zu werden. Gib mir mehr von dem seltsamen Gefühl, Weihnachten nicht mitfeiern zu dürfen, weil es nicht dein Fest ist, obwohl du es nicht anders kennst, weil jemand sagt, dass es nicht zu dir gehört. Tauch noch ein wenig mehr in die komplexen Gefühle ein, die mit Immigration und Assimilation einhergehen, weil dass die Gedanken da sind, das kann ich absolut sehen.

Soo. Ich habe keine Themengebiete fett abgegrenzt, wo ich das doch sonst immer mache. Schande über mich. Also muss ich jetzt vielleicht bei meinem Fazit (weil das liest du gerade) etwas mehr reden. Mir hat die Geschichte gefallen, ich fand es schön, wie du so aktuelle Themen in einen SciFi-Kontext setzt. Mir gefällt die Bandbreite an Aspekten, die du darin aufgreifst und die Erzähler, die irgendwie zwischen den Welten gefangen sind. Wenn überhaupt, dann hätte ich mir an manchen Punkten gewünscht, dass du dich traust, noch mehr den Finger in die Wunde zu legen, noch mehr auf die kleinlichen Punkte zu legen, die Ablehnung wachsen lassen. Aber - und das sei hier ganz klar gesagt - das ist Meckern auf ziemlich hohem Niveau.

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