Mia: "Don't Enter the Friendzone" von Saelamju

154 22 62
                                    

Hallo zusammen, tretet entgegen des Titels doch mit mir ein in die Geschichte "Don't Enter the Friendzone" von Saelamju.

Und wer könnte besser zusammenfassen, worum es heute gehen wird, als die Autorin selbst? Oder, besser gesagt, ihre Hauptfigur Pari? "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Ich war die Arbeit, Dag das Vergnügen."

Darin liegt eigentlich auch schon der ganze Konflikt der Geschichte: Es könnte alles so schön sein, so einfach und angenehm und mit rosa Herzchen ausgeschmückt. Wäre da nicht Pari, die sich partout nicht auf das einlassen möchte, was sie mit Dag, einer Partybekanntschaft und Mitglied der (realen) Band SDP, haben könnte. Hier setzt auch mein erster Punkt an. Ich war mir, als ich mit der Geschichte angefangen habe, nicht sicher, ob das ein Kritikpunkt oder ein Lob sein würde. Wirkt Paris Widerwillen, sich mit Dag einzulassen, konstruiert oder authentisch? Was ist mir der Anziehung zwischen den beiden? Ein "Ich möchte eine Romanze schreiben" oder "Die zwei sollten doch längst zueinander gehören"? Jetzt, nach 21 gelesenen Kapiteln und (ich gebe es zu) einem Blick in das Ende der Geschichte, kann ich meine eingangs gestellte Frage beantworten: Es ist ein Lob.

Paris Ringen mit sich selbst, das Aufflackern des Gefühls (oder des Bewusstseins), dass sie sich selbst im Weg steht, ist wunderschön dargestellt. Während ich persönlich Pari in den ersten Kapiteln als etwas unsympathisch und wehleidig empfunden habe, hat sich dieses Bild im Verlauf der Geschichte wirklich deutlich revidiert. Du scheust nicht davor zurück, auch einmal die hässlichen Seiten zu zeigen - von allen deinen Charakteren. Dabei tust du das auf eine so authentische Art und Weise und mittels einer so natürlichen Sprache, dass man sich deinen Figuren nicht entziehen kann. Man leidet mit ihnen und schafft es trotzdem, immer noch Frustration über sie und ihre Situationen zu empfinden. Zumindest ging mir das ziemlich häufig so. Wenn man positiv frustriert sein kann, dann war ich es.

An der Stelle komme ich aber auch zu einem kleinen Kritikpunkt: Für mein Empfinden hat sich der Anfang ziemlich in die Länge gezogen. Das liegt vielleicht ein wenig an deinen Kapiteln, die ich als recht lang empfunden habe (Hast du einen Überblick, wie lang sie sind? Das würde mich interessieren). Aber hier hing die Handlung noch ein wenig in der Luft und ist mir ein bisschen zu aufgefüttert mit Informationen erschienen, die keine Relevanz für die Handlung hatten. Später ist mir das nicht mehr aufgefallen bzw. hat das langsame Erzähltempo zu Paris Unentschiedenheit gepasst, du hast also den Stil auf deine Hauptfigur angepasst. Lediglich den Anfang könnte man hier für mein Empfinden etwas zusammenzurren. Hier muss man aber auch in aller Fairness eines festhalten: Mir hat deine Geschichte rückblickend wirklich sehr gefallen. Aber sie wäre keine, die ich von mir aus gelesen hätte, oder die in einem Genre ist, für das ich mich für gewöhnlich interessiere. Von daher kann mein anfängliches "Schlepp"-Gefühl auch mit dieser etwas ungünstigen Startvoraussetzung zusammenhängen. Ein paar derjenigen, deren Namen ich oft in den Votes sehe, lesen ja aber auch deine Geschichte - vielleicht haben sie Lust, sich dazu zu äußern.

Als nächstes muss ich lobend hervorheben, was ich bisher in ganz wenigen hier kritisierten Geschichten gesehen habe: Du differenzierst die Sprachstile deiner Figuren großartig aus, man könnte sie theoretisch anhand eines Satzes auseinanderhalten - völlig unabhängig vom Inhalt. Die Sprache wirkt nicht unnötig gestelzt, ich erinnere mich an keine Stellen, bei denen ich dachte "Das war jetzt aber wenig geschickt Exposition im Dialog untergebracht". Du entfaltest die Beziehungen deiner Figuren in der Art, wie sie miteinander umgehen und das gelingt dir brillant. Nach dieser lobenden Anmerkung geht es auch direkt weiter zur nächsten: Charakterentwicklung. Jedenfalls bis dahin, wohin ich gelesen habe.

Pari hat echt ... einige Probleme. Ihre Unsicherheit, ihren optischen Perfektionsdrang, den sie beinahe wahnhaft verfolgt, und ihre Angst davor, jemandem Macht über sie zu geben. Die Charakterisierung gelingt dir hier fantastisch und du unterfütterst sie im Verlauf der Handlung auch immer wieder mit Zusatzinformationen wie die Beziehung zu ihrer kleinen Schwester oder ihrer Lerngruppe.

Gleiches gilt für Dag, wenn auch in geringerem Ausmaß, er ist aber auch nicht die Hauptfigur, von daher habe ich es nicht als Makel empfunden. Wir folgen ihm einfach nicht so genau wie Pari. Ich finde es wirklich gelungen, wie du seine Freundschaft mit Vincent und sein Leben darstellst - und dann natürlich auch seine Interaktion mit Pari.

Ich habe jede Begegnung dieser beiden mit unglaublich viel Freude gelesen, was vor allem an deiner Fähigkeit, authentische Sprache und Dialoge zu schreiben, hängt. Es muss nicht immer bis in alle Ebenen philosophisch oder tiefgründig sein, auch die zwei, die einfach versuchen, sich gegenseitig auszuloten und herauszufinden, was sie denn nun füreinander empfinden, sorgen für ein Leseerlebnis, das in seinen Bann zieht.

Die Sachkenntnis, mit der du charakterisierst, zeigt sich dann darin, welchen Effekt die entscheidenden Schritte haben. In dem Zusammenhang möchte ich ganz besonders die Szene hervorheben (SPOILER ANFANG), in der Dag Pari dazu auffordert (oder sie dazu zwingt?), sich das erste Mal vor ihm abzuschminken, wovor sie bis dahin sehr deutlich zurückgeschreckt ist. Und hier würde ich euch gerne einfach einmal das gekürzte Zitat mitgeben, das sprachlich sonst eigentlich noch schöner ist:

"Schmink dich ab", meinte er. "Hättest du doch sowieso jetzt gemacht, oder?" Peinlich berührt musterte ich ihn.

[...]

"Am liebsten wäre mir, du würdest gehen", wiederholte ich.

"Du hast aber für mich entschieden, was ich möchte. Das Recht hast du dir herausgenommen ohne nachzufragen und jetzt mache ich dasselbe."

(SPOILER ENDE) Die Szene hat mich persönlich unglaublich berührt - weil du vorher so geschickt etabliert hast, wie wichtig Pari es ist, diese ziemlich buchstäbliche Maske zwischen sich und die Welt zu schieben. Der Payoff funktioniert also absolut und ich bin mir sicher, auch mit dem oberflächlichen Wissen über die Richtung, die deine Geschichte am Ende noch nehmen wird, dass du das im Rest der Handlung noch fortsetzen wirst ... was die Überleitung zu genau diesem Punkt ist: Handlung.

Hierbei fällst du stellenweise auf bekannte Tropes zurück, sei es das kontextlose Foto mit einer anderen Frau in Dags Arm, das gezwungene Übernachten in einem Bett (auch wenn es die Couch war), das zeitlich schlecht getimete Aufeinandertreffen, als Pari mit ihrem Ex unterwegs ist. Es ist mir an den betreffenden Stellen zwar aufgefallen, aber es hat mich nicht unbedingt gestört. Wenn man solche Dinge bewusst einsetzt, ist das ja auch völlig legitim. Tropes werden ja erst zu Tropes, weil sie so gut funktionieren.

Ansonsten ist deine Handlung stark charaktergetrieben, deswegen fußt mein Urteil hier größtenteils darauf, ob die Handlungen deiner Figuren logisch nachvollziehbar oder zumindest durch ihre Eigenheiten motiviert sind. Und hinter diese Anmerkung kann ich auch in den weitesten Fällen einen Haken setzen. Kleinere Einschränkungen sehe ich hier eigentlich nur bei den zwei Szenen, in denen Pari wirklich wütend wird: Bei ihrer Lerngruppe und gegenüber ihren Eltern. Da hat mir in beiden Fällen ein wenig der Aufbau dahin gefehlt. Das, was ich oben so lobend bei der Charakterentwicklung erwähnt habe, habe ich hier in geringem Maße vermisst. Ja, auch Pari platzt für sie eher unerwartet der Kragen, aber für mich ist beim Lesen nicht rübergekommen, dass sich hier überhaupt ein Konflikt aufbaut. Hier könntest du also für mein Empfinden noch einmal ein wenig nachbessern und einige andeutende Sätze einfügen, sodass sich diese Punkte etwas organischer anfühlen.

Aber das ist - wie die bisherigen Kritikpunkte - meckern auf sehr hohem Niveau. Nach den kleinen Startschwierigkeiten hat mir deine Geschichte wirklich ausnehmend gut gefallen, vorrangig wegen der unglaublich authentischen Atmosphäre und den realistischen, dreidimensionalen Charakteren. Für jeden, der Beziehungsdramen und Selbstfindungsgeschichten mag (irgendwo dort würde ich deine Geschichte vermutlich einordnen, wenn du einen anderen Vorschlag hast, übernehme ich das gerne), spreche ich eine ganz eindeutige Leseempfehlung aus. Und auch an alle anderen, ich finde, es lohnt sich.

Wenn du noch Fragen oder Anmerkungen hast, ich freue mich immer über Gespräche in den Kommentaren.

Ganz abschließend würde ich gerne noch einen Dialog mit euch teilen, der mich wirklich auch sehr zum Lachen gebracht hat und zwischen Paris bester Freundin Ilara und ihrem Mitbewohner stattfindet:

"Engagier dich mit ihm."

"Arrangieren, Schatz", korrigierte Ilara.

"Schatz mich nicht", grummelte er. 

Und damit: Bis zum nächsten Mal.



BewertungsbuchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt