1. Kapitel

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»Au«, zischte ich durch meine Zähne hindurch und griff nach der Serviette neben dem Teller, um mir die nasse Brühe von meiner Wange zu wischen.

Vor lauter Schreck war mir der Löffel in meine Suppe gefallen und verbrühte meine Haut mit heißen Kräuterspritzern. Ich fühlte Schweißperlen auf meiner Stirn und tupfte auch sie unmerklich ab. Diese furchtbaren realen Bilder waren schuld. Mary kicherte wie auf Kommando.

»So ein Löffel ist schon ein kompliziertes Ding«, grinste Amanda und stieß mich freundschaftlich in die Seite, wobei sie wohl auch irgendwie an meiner allgemeinen Wahrnehmung zweifelte.

Ich grinste gespielt zurück und widmete mich wieder der Gemüsebrühe.

»Wahrscheinlich war sie wieder am Nachdenken«, stellte Mary fest, nachdem sie sich ihren Löffel in den Mund geschoben hatte. Ihr braunes Haar fiel ihr in sanften Locken vor ihr blassgraues Gesicht.

»Es ist nichts Schlechtes, ein Denker zu sein«, nahm Mum mich in Schutz und löffelte mit Bedacht ihre Suppe.

Ich bewunderte sie immer dafür, wie sie Suppe aß. Nichts schwappte über den Tellerrand oder den Löffel. Sie strahlte so eine Grazie aus, obwohl es eines der normalsten Dinge der Welt war.

»Habe ich mich darüber lustig gemacht?«, fuhr Mary sie unhöflich an.

Kopfschüttelnd aß Mum weiter. Dad schaute auf und zwinkerte mir zu. Ich lächelte, so gut es ging, ehe auch ich mich wieder dem Essen widmete.

 »Und wie sieht es aus? Habt ihr schon etwas Schönes für das Wochenende geplant?«, fragte er in die angespannte Runde hinein.

Wahrscheinlich auch, um mich aus dieser leicht heiklen Situation zu retten.  Ich jedoch, tat so, als hätte ich nichts von seinen Absichten bemerkt.

»Hughs älterer Bruder Jeffrey hat morgen Geburtstag«, verkündete Amanda.

Dad atmete schwer ein, so als würde er gerne Einspruch erheben.

»Was wirst du ihm schenken? Nein, warte! Sag es nicht!«

Meine Augen huschten neugierig auf Marys Haar. »Deine Haare laden sich gerade wieder statisch auf, Mary!«, bemerkte ich.

»Schscht! Sie muss sich konzentrieren!«, zischte Amanda und setzte sich ihr kichernd gegenüber.

»Ich denke, ... «, Mary öffnete langsam die grünen Augen, »da ist etwas aus Glas, ein Fläschchen! Und es duftet, richtig?«, fragte sie mit großen, neugierigen Augen.

»Du kleine Wahrsagerin!«, kicherte Amanda. »Selbst wenn ich versuche an etwas anderes zu denken, gelingt es ihr dennoch!« Erstaunt blickte sie zu unseren Eltern hinüber, welche dieses Schauspiel immer mit etwas Ehrfurcht verfolgten. Obwohl auch jedes Mal ein Funken Misstrauen mitschwang.

Das konnte ich an Mums Grinsen und Dads rechter zuckender Augenbraue erkennen.

Es war Amandas und Marys Zwillingsding. Sie wussten oft, woran die andere gerade dachte. Obwohl sie nicht einmal eineiige Zwillinge waren.

»Ich schenke ihm sein Lieblingsparfüm. Genesis von Bane Robin. Hugh meinte, er würde ihm ständig die Flasche leer machen.« Mary nickte eilig und löffelte schon ihren Nachtisch in sich hinein. Ich hatte mein Essen längst vergessen und lauschte nur noch ihrem Gespräch. »Und es wird nicht nur auf seinen Geburtstag angestoßen.«

»Hat er seine Prüfungen bestanden?«, fragte ich.

»Ja«, verkündete Amanda stolz als sei Jeffrey ihr Freund und nicht Hugh. »Und zwar mit einem Notendurchschnitt von 1,3.«

Kerrinia - Anuras AufstiegWhere stories live. Discover now