34. Kapitel

8 2 0
                                    

So muss die Dunkelheit zuerst bezwungen werden,

bevor Helligkeit sie durchbricht,

müssen alle Träume sterben,

bevor sie weise zu dir spricht.

Der plötzliche Sonnenstrahl, der sich einen Weg durch das dicke Geäst der Eiche gebahnt hatte, kam überraschend. Reflexartig hob ich eine Hand vor mein Gesicht, da es blitzte wie ein Schwert.

Die Wärme entspannte meine Glieder und löste mein kleines, selbst errichtetes Schutzschild vor Augen und Stirn.

Und es war doch eine ganz andere Sonne hier in Virginia. Eine Wärme, die so durchdringend war, dass sie dich bis ins Mark erreichte.

Wir saßen wieder in den Kronen des Baumes, dessen Äste noch immer merkwürdig verdreht waren. Mit Erstaunen stellte ich fest, dass unser Garten keinem Schlachtfeld mehr glich.

Wir waren nicht länger als eine Woche fortgewesen. Dad hätte niemals in der kurzen Zeit seinen geliebten Garten neu errichten können. Nicht mal mit professioneller Hilfe. Schließlich hatte die verkorkste Eiche metertiefe Krater in den Boden geschlagen und alles verschlungen, woran sein Herz so sehr gehangen hatte, doch ... alles war wieder da. An Ort und Stelle.

Es war, als wäre nie etwas geschehen. Als hätten wir uns alles nur eingebildet. Meine Augen wanderten sofort zu meiner Hand und sahen den Ring. Nein. Wir hatten uns rein gar nichts von alledem, was wir erlebt hatte, eingebildet. Es war alles real gewesen.

Amanda und Mary konnten es keine Sekunde länger abwarten und stiegen von ihren Plätzen. Sobald sie endlich wieder in unserem Garten standen, rannten sie auf unser Elternhaus zu und schrien schon laut nach Mum und Dad.  Von hier oben konnte ich sehen, dass wir die Stiefel, die uns Gin gegeben hatte, nicht mehr an unseren Füßen trugen. Panisch blickte ich auf meine Hand hinab und erkannte den Goldring an meinem Finger. Erleichtert atmete ich aus und schloss für einen Moment die Augen.

Ich war dabei aufzutauen und stieg von dem Ast hinunter, auf welchem ich noch immer saß. Unten angekommen, drehte ich mich nochmals zu unserer großen Eiche, die plötzlich wieder genauso aussah wie früher. Fort waren die drei Sitze und die ungewöhnliche Struktur der Äste. Merkwürdigkeiten waren den vielen Blüten und Blättern gewichen, die ihn wieder schön und anmutig erstrahlen ließen. Die Pforte schien geschlossen.

Für immer.

Und es beruhigte mich irgendwie.

Ich wusste nicht wie, aber auch ich rannte nun auch auf unser Haus zu. Keiner hätte mich mehr davon abhalten können zu meinen Eltern zu gelangen und sie in den Arm zu nehmen, ihnen zu versprechen, nie wieder fortzugehen und ihnen irgendwie zu erklären, wo wir gesteckt hatten. Es dürfte schwer werden, das Erlebte wiederzugeben, aber ich war mir sicher, dass wir auch das irgendwie hinbekamen.

Die Terrassentür stand auf. Drinnen war alles sehr dunkel, weshalb man von draußen rein gar nichts erkennen konnte. Ich sprintete die letzten Meter und wurde mit jedem Blick immer langsamer, bis ich im Türrahmen stand und meine Eltern sah.

Mums Haare waren zu einem Dutt frisiert, aus dem sich schon viele Strähnen wieder gelöst hatten. Sie trug einen himmelblauen Pullover und eine eng anliegende Jeans. Sie verharrte mit starrendem Blick nach vorne. Dads Haare hingen ihm ebenfalls etwas ins Gesicht. Er trug ein graues T-Shirt und eine schwarze Jogginghose. Er stand ganz versteift neben seinem Stuhl. Seine Hände waren bereits blau, weil er sie so in seine Stuhllehne krallte.

Beide waren schneeweiß und völlig ausdruckslos.

Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich wollte etwas sagen, doch meine Kehle war wie zugeschnürt, als würde Gin direkt mit ihrem langen Schwert hinter mir stehen in dem Versuch mich jeden Moment zu töten.

Völlig irritiert sah ich schließlich auch meine beiden Schwestern. Dass sie die ganze Zeit neben Mum gestanden hatten, sah ich erst jetzt. Und auch wenn meine Eltern schon aussahen, als würden sie einen Geist sehen, so erschreckten mich Amandas und Marys Gesichter noch ein bisschen mehr.

Da keiner etwas sagte und eine unheimliche Stille um uns herum herrschte, machte ich einen Schritt hinein.

»Mum? Dad?«

Ihre Augen schauten zu mir. Sie wirkten schockiert, vorwurfsvoll und liebend zugleich. Ich war kurz davor loszuweinen, da mir dieses seltsame Gefühl an jegliche Substanz ging, als ihre Augen wieder nach vorne wanderten. Dad standen bereits Tränen in den Augen.

Mit langsamen Schritten lief ich um den Stuhl herum, der vor mir stand.

Und starb.

Ich sah eine Hand, einen goldenen Ring und ihn.

»Jonathan.«

Kerrinia - Anuras AufstiegWhere stories live. Discover now