32. Kapitel

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Die Helligkeit, die überall zu sein schien, ließ mich erwachen.

Ich konnte meinen Körper nicht mehr spüren und versuchte irgendetwas um mich herum auszumachen, aber dazu war ich zu benommen. Ich spürte, dass meine Glieder ganz schwer waren und ich sie nicht mehr bewegen konnte. Ich geriet in Panik, als ich merkte, wie weiß das Licht um mich herum war.

Die Luft war kühl und trotzdem spürte ich den Schweiß auf meiner Haut kleben. Alles war anders, nicht mehr schwerelos. Als würde mich ein großer Fels versuchen, in den Erdboden zu drücken.

»Wo bin ich?«, flüsterte ich und schmiss meinen Kopf nach links, wo ich Jonathan neben mir liegen sah.

Sein Gesicht in den Dreck gepresst, seine Augen geschlossen, die Haut bleich.

»Jonathan?«, fragte ich, ehe die Angst mich mit kalten Händen zu packen bekam. »Jonathan, hey!«, rief ich, doch nichts. Ich wollte meinen Arm nach ihm ausstrecken, aber ich konnte ihn nicht heben. »Jonathan, sag doch was!«, rief ich panisch, ehe die Tränen kamen.

Ich weinte sofort und mit solch einer Intensität, dass es mir in einer anderen Situation peinlich gewesen wäre. Ich rang nach Luft, spürte wie die salzigen Tränen in meinen Augen brannten und wie das Weinen meinen tauben Körper anstrengte.

»Jona ...«

Mit einem erschrockenen Laut, wurde ich am Schlafittchen auf meine Beine gezogen und schaute mit einem Mal in das Gesicht des jungen Delairs.

»Doch noch lebendig«, meinte er prüfend und beschaute mich von oben bis unten.

Seine Pupille inmitten seiner wasserblauen Iris schnellten hin und her, während er die Zähne fest aufeinandergebissen hatte. Seine blonden Locken hingen ihm strähnig und verschwitzt in die Stirn hinein. Seine Wangen waren mit Dreck benetzt und ein Hauch von Blut klebte an seinem Hals. Ob es Gins Blut war? Man sah, wie sehr er mit sich kämpfte. Wogegen auch immer.

»Ich kann meinen Körper nicht mehr spüren«, röchelte ich und sah ihn feindschaftlich an.

Ich hing wie eine Puppe in der Luft, während mich einzig seine linke Hand aufrecht erhielt. Es fühlte sich anstrengend an, vor ihm zu stehen und nichts zu spüren.

Nun war ich das perfekte Opfer. Er konnte mit mir machen, was auch immer er wollte.

Seine Augen fanden meine. Eine kleine Falte bildete sich zwischen seinen hellen Brauen, ehe er mit seiner freien Hand an seinen Gürtel griff und etwas Langes, Scharfes herauszog. Mit riesengroßen Augen erkannte ich ein Messer zwischen seinen Fingern.

»Doch«, erwiderte er und rammte es mir mit voller Wucht in den Rücken.

Der Schmerz kam sofort. Ich stöhnte auf, doch er hatte kein Erbarmen. Mit aufgeblähten Nasenlöchern und aufgerissenen Augen sah er mir beim Sterben zu. Mir wurde bewusst, dass ich verloren hatte.

Jonathan war tot. Wahrscheinlich war sein Genick gebrochen, und ich war ebenfalls dabei zu gehen. Ich würde Mum und Dad nie wieder sehen, ihnen nicht einmal Tschüss sagen können. Mit mir verloren sie ein weiteres Kind, was ihnen wohl das Herz brechen sollte.

Als meine Lider zu flattern begannen, zog er die metallene Klinge wieder hinaus, ohne meinem Blick auszuweichen. Ich wartete förmlich darauf, in mir zusammenzusacken oder ein grelles Licht zu vernehmen, dass mich abholen kam.

Ich schluckte schwer, als ich plötzlich ein leichtes Kribbeln in meiner Wirbelsäule vernahm. Es wurde ganz warm unter meiner Haut, als würden Tausende von Ameisen mit kleinen Wärmflaschen an den Füßen auf und ab laufen, um den Schmerz und die Taubheit zu vernichten. Dass der Tod für mich doch so angenehm würde, hätte ich nie geahnt, und doch war der Gedanke an die wenigen Menschen, an denen mir etwas lag, unerträglich.

Kerrinia - Anuras AufstiegWhere stories live. Discover now