8. Kapitel

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Mary und Amanda schreckten lauthals zurück, nur ich war stehen geblieben und sah zu ihm hinunter.

Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, da er auf den Boden schaute. Sein Kopf war mit schwarzem Haar übersät, seine Arme von sämtlichen roten Striemen überzogen und sein schweißglänzender Körper unansehnlich ausgemergelt. Er trug nur eine zerrissene Hose und kämpfte mit teils verheilten und offenen Wunden. Es tat mir unsagbar Leid, wie er da so vor uns hockte und ebenfalls zitterte. Zumindest seine Arme zitterten, sodass er sich nicht richtig aufrichten konnte.

Ich überlegte ob ich einen Schritt auf ihn zumachen sollte, um ihm aufzuhelfen. Andererseits, war er ein Gefangener und ich wusste nicht wieso. Hatte er vielleicht Leute getötet, oder würde er sich in ein widerliches Monster verwandeln, sobald ich ihn berührte? In dieser Welt, in der wir uns momentan befanden, konnte schließlich alles passieren! Jedoch konnte ich das mitleidige Gefühl, das mich innerlich so quälte, kaum noch ertragen, als ich plötzlich einen Schritt vorwärts machte.

»Bewegt Euch keinen Schritt weiter!«, ertönte Gins Stimme. Ich war sofort wie erstarrt und wich wieder zurück. »Ab jetzt ist es euch verboten, weder einen Blick, noch ein einziges Wort mit ihm zu wechseln, geschweige denn ihn anzufassen!«

Das Verbot stand.

Keiner hätte sich je gewagt, nur einen Satz dagegen zu sprechen. Selbst ich nicht, wobei mein Herz schmerzte.

»Willkommen in Kerrinia«, sagte sie noch und entfernte sich mit einem süffisanten Grinsen.

Ich sah ihr noch einen Moment nach, ehe ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung erhaschte. Plötzlich schien ihn eine Welle von Kraft zu durchströmen, als sich seine Arme aufstemmten und er zum ersten Mal zu uns hochschaute.

Amanda und Mary hatten schon vorher weggesehen, doch ich konnte nicht anders. Ich hatte die ganze Zeit nur auf sein Gesicht gewartet ... und erstarrte. Seine Gesicht war übersät von Schmutz, doch er war wunderschön. Er blickte uns durch dunkle, matte Augen an, während sein Atem nur noch stoßweise kam.

War er auch ein Mensch so wie wir? Seit wann lebte er hier in dieser Welt? Was hatte er getan, dass ihm so etwas amgetan wurde? Meine Gedanken wurden jäh unterbrochen als sich unsere Blicke trafen und ein gewaltiger Blitz in mich einschlug.

Die plötzlichen Krämpfe in meinem Magen und die Haut, die wie wild kribbelte, überfielen mich wie ein Rudel ausgehungerter Wölfe. Ich konnte mich nicht dagegen wehren. Sie sprangen mich an, rissen mich an meinem Kleid zu Boden und zerfetzten mich auf eine wunderbare Art und Weise.

Meine Knie waren so butterweich, dass ich beinahe in mir zusammengesackt wäre. Ich hätte noch viel länger in sein hübsches, jedoch geschundenes Gesicht schauen können, aber die Angst, dass uns jemand beobachtete, war viel zu groß, weswegen wir beide im selben Augenblick wegschauten. So schnell wie wir uns erblickt hatten, sahen wir auch wieder weg.

Doch auch wenn ich ihn nicht anschaute, hatte ich ihn nicht vergessen.

»Nur nochmal zum Mitschreiben, warum sollen wir ihn mitnehmen?«, fragte Gloven.

»Er wird uns den Karren mit unserem Gepäck und Proviant ziehen und falls jemand vorbeikommt und uns überfällt, haben wir die Ware, die wir ihm anbieten können, schon dabei!"

»Meinst du die Sachen, die in der Karre liegen, oder ihn selbst?«, fragte Gloven belustigt.

Gin grinste für einen kurzen Moment. »Nein, ich meine die Ware für den Karren. Ihn behalten wir. Vorerst.«

Ich ballte die Fäuste. Zu was zwangen sie ihn da? Er sollte eine Karre ziehen? Er war doch kein Pferd!

»Wir können gleich los.« Gin zögerte kurz. Ihr musste noch etwas eingefallen sein, das verriet zumindest ihr Blick, der hinunter auf meine nackten Füße wanderte. »Gefällt mir fast besser. Ich würde gerne wissen, welche schlimmen Kreaturen nun eure Schuhe an ihren klobigen Füßen tragen.«

Kerrinia - Anuras AufstiegWhere stories live. Discover now