20. Kapitel

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Es dauerte gar nicht lang, als die Bäume sich um uns verdichteten. Ihre Stämme wurden immer dicker, ihre Wurzeln immer weitreichender (man musste darauf achten, wo man hintrat, um nicht hinzufallen) und ihr Blätterdach immer grüner. Es bat Schutz vor den heißen Sonnenstrahlen, doch die Luft wurde bald so kalt, dass ich Hauch aus den Lippen der anderen entweichen sah.

Noch immer säumten glitzernde Lichter unseren Weg, als würden sie uns begleiten. Je tiefer wir in den Wald eindrangen, desto mehr ragten ihre Kronen in den Himmel hinein. Und obwohl das Sonnenlicht und der Tag fehlten, war es bisher der schönste und auch friedlichste Ort, welchen wir bisher kennenlernen durften, seit wir in Kerrinia angekommen waren. Doch es konnte auch die Ruhr vor dem Sturm sein. Ich traute diesem Land schon lange nicht mehr.

Zuerst lächelte es dir freundlich ins Gesicht, ehe es dir ein Messer in den Rücken rammte.

Gin hatte ihr Schwert gezückt, als könnte jeden Moment eine lauernde Gefahr hinter einem der dicken Stämme hervorspringen. Auch sie war ständig auf der Hut. War es nicht eigentlich komplett fahrlässig, in einen solch dunklen Wald zu gehen, wenn Delairs Fallensteller doch an jeder Ecke auf uns hätten warten können? Hier wäre der perfekte Platz für sie gewesen, um auf unschuldige Opfer zu lauern. Niemand würde es bemerken, keiner zur Hilfe eilen.

»Es ist viel zu kalt und zu dunkel.« Mary rieb sich schon über ihre Arme.

»Schscht.« Gin legte einen Finger auf die Lippen. »Ruhe jetzt.«

»Aber ich habe doch recht«, flüsterte Mary gereizt.

»Das hat sie wirklich«, pflichtete ich ihr bei und sah zu Gin hinüber, die nur noch mit dem Kopf schüttelte.

»Könnt ihr nicht alle einmal abwarten?«

Das musste gerade sie sagen.

Doch es geschah wie auf ihr Stichwort. Die kleinen weißen Lichter, die uns gefolgt waren, sammelten sich an dem höchsten Punkt der Baumkronen, da, wo sich die Äste überschnitten. Sie formierten sich zu einem großen, gleißenden Licht, dass so blendete, dass es in den Augen wehtat. Ich blinzelte nur noch, hörte das Licht zischen wie fließender Storm aus einem demolierten Kabel, bis das Licht auseinanderbrach und rasche kleine Blitze in die Äste schossen und sie wie dicke Neonfäden beleuchteten.

»Das ist wunderschön", hauchte ich und sah, wie das Licht sich auch über all die anderen Bäume von der Spitze der Baumkrone über das Geäst bis hin in ihre Stämme ausbreitete und sie zum Glühen brachte. »So etwas habe ich noch nie gesehen«, hauchte ich.

»Ich habe doch gesagt, wartetet's ab«, grinste Gin stolz, als hätte sie für die Beleuchtung gesorgt.

Gloven schien eher genervt von den rankenartigen Ästen, die ihm dauernd vor sein Gesicht fielen und bunte Lichtreflektionen auf seiner olivfarbenen Haut hinterließen. Mit wütender Hand schlug er sie alle weg, riss sie ab und trampelte wild darauf herum.

»Er kann ja so zärtlich sein«, bemerkte Gin.

»Vertrauensbäume«, wiederholte ich langsam und drehte mich um meine eigene Achse. »Ich kann ihnen also vertrauen?«

»Na das will ich doch schwer hoffen!«, gackerte Gin und lief mit herausgestreckter Brust voran.

Ich hingegen starrte weiter in das glühende Blätterdach.

»Schaut, Miss Amelie. Wovon wir gesprochen haben.« Sie machte einen zwei Meter großen Schritt auf mich zu und presste ihren Körper an meinen. Für einen Augenblick war ich irritiert, sie so nah neben mir zu spüren, da es nicht zu ihrem Verhalten passte. Sie war immer diejenige, die sich distanzierte oder einem nur zu nahe kam, wenn sie mordlustig wurde.

Kerrinia - Anuras AufstiegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt