22. Kapitel

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Ich schlug meine Augen für einen Moment nieder, ehe ich blitzschnell hermwirbelte.

Gin stand hinter uns. Sie starrte uns aus wagenradgroßen Augen an, während ihre Kinnlade herunterklappte. »Du widerwärtiger Bastard! Nimm deine dreckigen Hände von ihr, oder ich werde dich in Stücke reißen!«, brüllte sie wie ein Löwe, der seine Beute in Grund und Boden einschüchtern wollte.

Mit einem Mal polterte sie wie eine Geisteskranke auf ihn zu.

»Nein!«, schrie ich und schmiss mich ihr in den Weg.

Mit Mühe und Not schlang ich meine Arme um ihre magere Taille und versuchte sie mit aller Macht zurückzuhalten. Sie schrie auf wie eine Furie und schlug um sich, versuchte die ganze Zeit an ihn heranzukommen, doch ich ließ es nicht zu. Ich schrie, um weiter genug Kraft aufzuwenden, mich gegen sie zu stemmen. Es war als würde ich einen Betonklotz davon abhalten wollen, ihn zu überrollen.

»Bitte, beruhige dich, Gin! Er hat mir nichts getan. Wir haben nur geredet!«

»Das habe ich gesehen!«, kreischte sie und stieß Laute einer Besessenen aus. »Es ist Euch und vor allem ihm strengstens verboten, miteinander zu sprechen! Habe ich Euch das nicht schon gefühlte Eintausendmal erklärt!«

Sie war außer sich vor Wut. Immer noch hielt ich sie fest, in Angst um Jonathan, der sich etwas aufsetzte.

»Ich wollte nur etwas trinken und den Krug zurückstellen«, säuselte ich, als sie sich schon losriss und sich knurrend zu mir drehte. Ich war vollkommen überfordert, wusste nicht, was ich nur tun sollte und schaute sie nur an.

Sollte ich einfach weiterlügen oder besser die Wahrheit sagen?

Sie musterte mich bloß und sagte nichts, ihr Atem ging schwer und sie bleckte die Zähne. Mir wurde es immer unangenehmer, ihrem irren Blick so ausgeliefert zu sein, bis ich irgendwann auf den Krug zulief und ihn hochhob.

»Lasst das. Das mache ich.«

Mit großen Schritten kam sie auf mich zugelaufen und hob den schweren Behälter an. Ich traute mich nicht mehr, Jonathan anzusehen, da ich der festen Überzeugung war, dass Gin ihn dieses Mal wirklich töten würde.

»Und bei Eurem Vorhaben den Krug zurückzubringen, seid Ihr gestolpert und vor den Füßen des Sklavenjungen gelandet, ja?«

Ertappt schaute ich sie an.

»Was Ihr da tut, kann ich nicht länger dulden. Ein Gefangener, ein ehemaliges Anhängsel Darkbreshtons ... wie könnt Ihr Euch nur mit ihm einlassen, wo ich Euch doch von den schrecklichen Kämpfen und den Toden tausender Kerrianer erzählt habe? Das, was Ihr da tut, ist respektlos gegenüber unserem Land, allen Einwohnern und mir, ich wollte nur wissen, ob Euch das bewusst ist.«

Ich schwieg. Sie versuchte mir ein schlechtes Gewissen zu machen, damit ich nicht nochmal versuchte Jonathan zu helfen, oder mit ihm zu reden. Ich sah für einen Augenblick zu ihr herüber. In dem gelben Sonnenschein wirkte ihr Haar noch röter und zerzauster als sonst schon und ein paar Sommersprossen, die ich vorher noch nie bei ihr gesehen hatte, tauchten schemenhaft auf Nase und Wangen auf.

»Wenn ich Euch noch einmal mit ihm kommunizieren sehe, dann bringe ich ihn eigenhändig um. Der König wird zwar nicht sehr erfreut darüber sein, wenn er davon erfährt, aber was soll's? Wenn es Eurer Sicherheit dient, tue ich fast alles. Verstanden?«

Ich zitterte und musste aufpassen nicht vor lauter weichen Knie in mir zusammenzubrechen.

»Ob Ihr mich verstanden habt?«

»Ja«, meinte ich leise.

»Das hoffe ich jedenfalls, weil es einfach nicht sein kann, dass Ihr Euch als Auserwählte, nicht an die Regeln haltet. Ihr werdet noch oft genug auf dieser Reise Regeln befolgen müssen, die ihr nicht für angemessen halten werdet, und doch muss man ihnen gehorchen.«

Kerrinia - Anuras AufstiegWhere stories live. Discover now