23. Kapitel

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Blitzschnell drehte ich mich um, brach mit meinem Vorhaben und sah die beiden Schmetterlingssoldaten in ihrer richtigen Größe vor meinen beiden Schwestern stehen, die sie ängstlich anstarrten.

»Bitte, ihr braucht keine Angst zu haben, wir ...«

Die Karre machte einen gewaltigen Schlenker nach links. Gracely hatte anscheinend bemerkt, was hinter ihr vor sich ging, und handelte sofort. Die Kutsche drohte umzufallen, fing sich jedoch noch im letzten Moment. Die beiden Soldaten hingen über den hölzernen Wänden, während sie krampfhaft versuchten, nicht hinauszufliegen.

»Verschwindet!«, schrie Mary und warf sich schon auf den Einen, während Amanda versuchte den anderen festzuhalten. »Soll ich sie aus der Karre werfen?«, fragte mich Mary angestrengt.

Der Eine sah wieder zu mir. Und obwohl sie sich zum Verwechseln ähnlich sahen, wusste ich, dass es jener war, der gerade eben mein Kleid durchschnitten hatte.

»Ja«, antwortete ich hart.

»Nein, Miss, bitte ...« Sie versuchten zu fliehen, doch meine Schwestern hinderten sie daran.

Die Karre schaukelte hin und her und warf auch mich in alle Richtungen.

»Miss ... es ist sehr schwer, die Kutsche zu lenken, wenn ...«, hörte ich Gracely von vorne rufen.

»Einen Moment noch, Gracely«, rief ich ihr zu und beäugte die beiden Soldaten kritisch.

»Ihr bleibt hier!«, kreischte Mary, als ich auch schon merkte, wie die Karre über einen Stein flog und sich der Boden in eine matschige Rutschbahn verwandelte. Es ging bergab und die Räder schlugen aus.

»Gracely!«, schrie ich gegen den peitschenden Wind an, als ich mich an die Soldaten wandte. »Ihr werdet nicht fliehen! Ihr werdet es aushalten, genauso wie wir es aushalten mussten!« Wieder warf ich meinen Blick nach vorn. »Gracely«, keuchte ich, da es immer schwieriger wurde, nicht aus der Kutsche hinausgeschleudert zu werden. »Weiter nach rechts!"

Der Wald kam uns bedrohlich nah.

»Miss Amelie«, stöhnte sie und galoppierte weiter nach rechts.

Plötzlich ging alles schnell. Gracelys Beine rutschten unter dem matschigen Boden weg, sie verlor das Gleichgewicht und fiel.

Sie knallte gegen die harte Felslandschaft, die sich zu unseren Seiten aufgetan hatten, die Holzbalken immer noch an ihrem Körper befestigt. Die Kutsche flog im hohen Bogen in die Luft und landete krachend auf der Seite, von wo aus sie gen Abgrund hinunterschlitterte.

Es war, als würde ich fliegen. Von hier oben konnte ich die Karre genau erhaschen und auch Gracely sah ich, doch alles wirkte so merkwürdig verdreht. Es knirschte und zischte und knallte und brach. Und obwohl der Anblick grauenhaft war, wäre ich gerne noch ein bisschen länger hier oben geblieben. Es schien so, als würde mir hier niemand etwas antun können ... als wäre der Schmerz und die Schmach auf wunderbare Art und Weise verloren gegangen.

Doch der Aufprall kam schneller als gedacht. Mit voller Wucht schlug ich unten auf und begann zu rutschen. Ich schrie und versuchte irgendwo Halt zu finden, doch auch ich flog über die matschige Bahn und verletzte mich an Steinen und Ästen, die überall im Weg verstreut lagen.

Hinter mir schepperte es mehrmals laut, als die Wrackteile der Kutsche schon versuchten, mich auf meinem Weg abwärts zu erschlagen. Ich strampelte so kräftig mit meinen Beinen, wie ich nur konnte, um mich damit zu Seite zu schieben, doch es war schwerer als gedacht. Mit zittrigen, völlig verklebten Händen, griff ich nach einzelnen Grashalmen, die an mir vorbeirauschten.

Immer wieder verfehlte ich sie, rollte kopfüber weiter, jedes Mal haarscharf an den spitzen Kanten der Felsen zu meinen Seiten vorbei. Die dicken Holzwände flogen mir nach und kamen immer näher. Erneut begann ich mit Armen und Beinen zu rudern und erkannte von Weitem einen dickeren Zweig in den Weg hineinragen. Er kam von einem riesigen Baum, der oben auf dem Abhang stand. Wahrscheinlich war dies meine letzte Chance.

Kerrinia - Anuras AufstiegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt