12. Kapitel

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Als ich meine Augen öffnete, spürte ich einen Stich im Herzen. Die Luft um mich herum war stickig und schwül. Orangefarbenes Licht ließ mich in eine Art Dämmerschlaf verfallen, aus dem ich mich nur schwer befreien konnte. Mein Kopf tat weh und meine Glieder fühlten sich an wie Blei.

»Sie ist noch immer am Schlafen, wenn das so weiter geht, werde ich sie wecken. Unser Zeitplan ist straff.«

War das Gins Stimme?

Mit wackligen Armen richtete ich mich auf und bemerkte, dass ich mich wieder im Zelt befand. Zuerst sah ich nur den Nebel in meinem Kopf, bis die Geschehnisse von letzter Nacht einschlugen, wie ein Heer aus Blitzen.

Der Junge ohne Namen ... was hatten sie ihm angetan?

Mit einem Mal kam die Kraft zurück in meinen Körper und ich stand schwankend auf. Ich schlug die kaputte Zeltwand zur Seite und erschrak beinahe, als Gin vor mir auftauchte.

»Geht es Euch gut?«, war das Erste, was sie mich fragte.

Ich nickte nur und trat hinaus.

Der Morgen war wunderschön. Die Sonne schien hell durch das grüne Blätterdach der Bäume, der Wind war angenehm warm und unbekannte Düfte stiegen mir in die Nase. Sofort fiel mein Blick auf die schwere Holzkarre, doch ich konnte niemanden davor oder dahinter ausmachen und biss mir heftig auf die Unterlippe, sodass ich schon Blut schmeckte.

Da kamen plötzlich Mary und Amanda mit besorgten Gesichtern auf mich zu.
Sie wirkten beinahe unrealistisch auf dieser Art von Feld, auf dem unser Nachtlager aufgeschlagen war. Sie hier zu sehen, wirkte auf mich plötzlich so bedrohlich, dass ich nach vorne schritt und das Gefühl hatte ihnen entgegenzuschreien zu müssen, damit sie die Beine in die Hand nahmen und schnurstracks von hier verschwanden.

»Amelie! Was sollte das letzte Nacht? Weißt du eigentlich, was du uns für Sorgen bereitet hast?«, warf Amanda mir vor.

Ihre weißen Kleider waren dreckiger als gestern.

»Wie kannst du überhaupt nachts alleine rausgehen! Du kennst dieses verdammte Land doch gar nicht!«, fuhr Mary mich an.

So sorgenvoll kannte ich die beiden gar nicht. Mir fehlten die Worte. Ich wusste nicht, was ich ihnen sagen sollte.

»Geht es dir wirklich gut?«, fragte Amanda und fasste mich bei meinem Arm.

»So ein bisschen Schlamm bringt einen nicht gleich um. Eigentlich müsstet ihr euch doch damit auskennen. So ne schöne Schlammmaske kann den Teint doch deutlich erstrahlen lassen!«, lachte Gin hinter mir.

Verwirrt schaute ich zwischen ihnen hin und her. Ich verstand nur noch Bahnhof.

»Dir hätte wer weiß passieren können, vor allem weil du nicht mehr weggekommen wärst. Bitte mach das nicht noch einmal, okay?«, verlangte Amanda und nahm meine Hände in ihre.

»O-okay, ich versprechs«, sagte ich, ohne zu wissen, um was es wirklich ging.

Meine Schwestern und auch Gin hatten mit keinem Wort den Jungen erwähnt. Was ging hier vor sich?

»Macht euch startklar. Es geht gleich weiter«, befahl Gin.

»Wir haben uns noch nicht mal waschen können!«, fiel Mary ihr ins Wort.

»Was denkt ihr? Dass, das hier ein verdammtes Spa-Hotel ist und ihr zu jeder Zeit tun und lassen könnt, was ihr wollt?«

»Wir wollten erst nach unserer Schwester schauen«, gestand Amanda.

Gin schaute etwas versöhnlicher als sonst. Vielleicht, weil sie es verstehen konnte?

»Möchtest du mitkommen?«, fragte mich Amanda, nun an mich gewandt.

Kerrinia - Anuras AufstiegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt