14. Kapitel

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Es wurde immer unheimlicher, je tiefer wir in den Wald eindrangen.

Ich hatte das Gefühl, dass es jede vergangene Stunde etwas dichter und dunkler geworden war und uns die Äste und Pflanzen nicht wirklich willkommen hießen. Sie wirkten eigenartig verdreht und drückten hämischen Argwohn gegen uns aus. Sicherlich hätten mich Amanda und Mary spätestens ab diesem Zeitpunkt für völlig verrückt erklärt, wenn sie es nicht schon längst getan hätten, doch mein ungutes Gefühl wollte mich einfach nichts anderes glauben lassen.

Auch wenn ich mich bis vor ein paar Stunden noch den Umständen entsprechend wohlgefühlt hatte, hätte ich im Moment fast alles dafür getan, um über ein goldenes Ährenfeld zu laufen und die Sonne auf mir zu spüren. Schon jetzt konnte ich diese dunklen Waldwege nicht mehr ertragen.

Ich hatte die Arme fest vor der Brust verschränkt und starrte kontinuierlich in ein und dieselbe Richtung. Gins Boshaftigkeit ging mir an jegliche Substanz. Ich war es Leid, ständig mit ihr zu diskutieren und zu streiten und mein Leben zu riskieren, nur um den Jungen in Sicherheit zu wissen, doch so lange sie bei uns war, würde das nicht geschehen.

»Na, ausgeschlafen? Das will ich zumindest für dich hoffen, denn jetzt ist Schluss mit schlafen!«

Sofort packte mich die kalte Angst wieder am Schlafittchen und ließ mich nicht mehr los. Ich sah hektisch nach rechts, wo Gin neben dem Wagen herlief und den Jungen bei der Gurgel packte.

»Du stehst jetzt auf, du dreckiger Nichtsnutz! Bah! Schau mich nicht so an, du ...«

Ich stolperte auf sie zu. »Gracely zieht doch den Wagen!«

Ihr ganzer Ausdruck war der eines vor Donner und Blitzen brodelnden Himmels. »Habt Ihr mir vorhin nicht zugehört?«

»Doch, das habe ich, aber ...«

»Das wollte ich hören.« Sie grinste zufrieden. »Jegliche Arbeit, die ich ihm aufbrummen kann, tut meiner Seele gut! Bitte lasst mir diesen Spaß. Ich habe doch nur das.«

Behutsam strichen ihre Finger über seine geschundene Wange. Irritiert und vollkommen verstört, beobachtete ich dieses Schauspiel eine Weile und wäre am liebsten sofort eingeschritten, doch ich hielt mich bedeckt.

Schließlich ließ sie von ihm und warf den Kopf lachend in den Nacken, bevor sie sich wieder zu ihm hinüberlehnte und freundschaftlich grinste. Mein Gehirn kam schon lange nicht mehr mit.

»Ich habe eine nette, kleine Aufgabe für dich.«

Da packte Gloven schon nach ihm und hievte ihn unsanft an seinen Oberarmen aus der Karre, während er leise aufstöhnte und die Zähne vor Schmerz zusammenbiss.

»Du tust ihm weh, Gloven. Siehst du nicht, wie sehr er leidet?«, fauchte Gin ihn an und deutete mit ihrem Schwert in der Hand auf den geschundenen Jungen.

Für einen Moment herrschte eine Woge des Friedens um uns herum. Verdutzt schaute ich sie an. Ob doch etwas mehr Güte in ihr steckte, als ich gedacht hatte?

Gloven verzog die Miene. »Verzeihung, Miss«, gröllte er und ließ ab von ihm.

Mit voller Wucht fiel er über die hölzerne Wand der Karre und landete im Staub.

Fassunglos beobachtete ich dieses Schauspiel, ohne mich dabei bewegen zu können. Das Einzige, was sich bewegen konnte waren meine Augen. Und ich sah wie die Blicke meiner Schwestern auf mich trafen. Sie drückten überhaupt nichts und doch wieder so viel aus, dass ich gar nicht erklären konnte, was sie tatsächlich fühlten.

Furcht? Mitleid? Argwohn?

Ich konnte es nicht sagen, aber kalt ließ es auch sie nicht. Ich hingegen war ein seelisches Wrack. Ihn so zu sehen, geschunden und gequält, während die Bewohner Kerrinias sich einen Spaß daraus machten, es noch schlimmer zu machen, riss mein Herz andauernd in tausende von Teilen. Es war Gins gehässiges, in Mark und Bein durchdringendes Lachen, welches mich wieder in die Wirklichkeit zurücktransportierte.

Kerrinia - Anuras AufstiegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt