9. Kapitel

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Ich wusste nicht, wie lange wir schon liefen, jedoch hatte ich mich bis jetzt noch nicht getraut, danach zu fragen.

Es dämmerte allmählich. Ich hatte keine Ahnung, ob es hier mit den Tages- und Nachtzeiten genauso wie bei uns zu Hause war. Innerlich hoffte ich irgendwie darauf.

»Wir haben noch eine Stunde, bis es stockdunkel ist. Ich würde sagen, dass wir nach fünfhundert Metern unser Nachtlager aufschlagen,« verkündete Gin.

Es war der erste Satz ihrerseits, seit wir uns in Bewegung gesetzt hatten.

»Ich würde sagen, dass wir abhauen und ihr alleine euer Lager aufschlagt«, fügte Mary hinzu.

Ich kniff die Augen zusammen. Zwar verstand ich ihre Wut, mir ging es ja genauso. Ich wollte auch wieder nach Hause zurück, aber sie provozierte Gin unnötig und ich wusste nicht, wie lange es noch dauerte, bis ihr Geduldsfaden endgültig riss und sie ihr Schwert zückte.

»Ich an deiner Stelle würde meine Zunge hüten.«

»Du hast nicht das Recht über meine Zunge zu bestimmen!«

»Da kennst du mich aber schlecht«, wisperte sie und zwinkerte ihr einmal über ihre Schulter hinweg zu.

»Und du hast nicht das Recht so mit uns zu sprechen oder so mit uns umzugehen«, warf Amanda ein, um das Gespräch wieder in eine vernünftigere Bahn zu lenken.

Gin zog beide Brauen hoch. »Und ihr besitzt genau genommen noch nicht mal das Recht dazu, hier zu sein.«

Mary flippte beinahe aus. »Dann lass uns doch gehen!«

Gin sah zu ihnen, dann zu mir. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, aber mein Körper spannte sich unangenehm an.

»Braucht Ihr eine Pause?«

Die Frage war an mich gerichtet. Warum sie nur mich und nicht die anderen fragte, wunderte mich schon sehr. Zumal sie mich bis hierher nur getriezt hatte. Sorgte sie sich etwa plötzlich um mein Wohlergehen? Sicherlich war ich etwas blass um die Nase, zumindest hauste ein gewaltiger Orkan der Angst in meinem Innersten.

Ich sah zu meinen Schwestern, denen die ganze Situation immer noch nicht sonderlich geheuer schien.

»Braucht ihr eine Pause?«, fragte ich sie.

»Wir wollen nach Hause!«, forderte Mary, merkte aber, dass sie auf Ablehnung stieß.

»Wenn ich das noch einmal höre ... Was ihr wollt oder nicht, habt ihr nicht zu entscheiden! Das hier ist kein Wunschkonzert!«

Da ergriff Amanda schließlich das Wort. »Vielleicht würde uns eine Verschnaufpause wirklich allen ganz guttun!«

Ich hörte Gin leise aufstöhnen, als sie auch schon stehen blieb. »Kurze Pause!«, rief sie dem Gefolge hinter uns zu.

Gloven brummte und verschwand so schnell, dass ich kaum hinschauen konnte. Wo ging er hin? Die beiden Schmetterlingswachen taten sich zusammen und murmelten irgendetwas vor sich hin. Der Junge, der den Wagen zog, lehnte sich so gut wie er konnte, wegen der festgebundenen Holzbalken an seinen Armen, erschöpft gegen die Holzwand hinter sich.

»Dass du mir ja keine Widerworte gibst, wenn du sie gleich wieder ziehen musst!«, drohte Gin ihm, sodass er zusammenzuckte.

Wieder stiegen die mitleidigen Gefühle in mir auf, ihn zu befreien und ihn laufen zu lassen, obwohl ich gar nicht wusste, warum er hier als Sklave gehalten wurde. Ich wollte mehr über ihn und seinen Aufenthalt in diesem Kerrinia wissen, doch ich wusste schon jetzt, dass es hart werden würde ein paar Informationen aus Gin herauszubekommen.

Kerrinia - Anuras AufstiegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt