26. Kapitel

14 3 0
                                    

Gin trat hervor und reckte ihr Kinn in meine Richtung, da sie meine Worte allem Anschein nach nicht verstanden hatte.

»Noch eine«, forderte ich dann und gab Gin die leere Kelle, ohne sie dabei anzusehen.

Ich strich über Jonathans Gesicht, als er seinen trüben Blick plötzlich hob und mich direkt ansah. Wie in Trance nahm ich die Kelle erneut, die Gin mir reichte und führte sie wieder zu seinen Lippen.

Während er gierig das Wasser nahm, lösten wir nicht den Blick voneinander, als würden wir uns nur über unsere Augen verständigten. Und sie sagten sich so viel, dass ich gar nicht mehr hinterherkam.

»Ich werde dir helfen, du kommst frei. Das schwöre ich dir.« Ich lächelte und sah das winzige Leuchten, was in seinen Augen allmählich aufzublitzen begann.  »Ich mache dich jetzt los«, hauchte ich freudig erregt und griff nach dem Dolch.

Mit langsamen Bewegungen ließ ich die scharfe Klinge über das Seil fahren. Es dauerte nicht lange, ehe ich seine linke Hand befreit hatte. Ich nahm sie hinunter und legte sie in seinen Schoß hinein. Er ließ es sich gefallen wie eine willenlose Marionette, sah mir jedoch aufmerksam dabei zu.

»Nur noch die Rechte", flüsterte ich und begann auch dieses Seil in zwei Teile zu schneiden.

»Und jetzt ganz langsam und keine falschen Bewegungen, ja?«

Etwas Kaltes wurde von hinten gegen meine Kehle gedrückt. Zuerst verstand ich gar nicht, was geschah, bis ich auf einmal Gins rote Haare aus meinem Augenwinkel erkannte. Sie hielt mir tatsächlich ein Messer an den Hals.

»Habt Ihr wirklich geglaubt, ich habe nur eins davon?« Sie richtete ihr Messer mit einer flüchtigen Bewegung kurz zu meinen Händen, die es noch immer festhielten, und presste es danach wieder an meine Haut.

»Gin«, stieß ich hervor und stolperte etwas nach hinten.

»Nicht unruhig werden. Es passiert genauso wenig, wie Ihr es mir versichert habt, wenn Ihr bloß das tut, was ich will, verstanden?«

Jonathan sah mit trägen Augen zu mir hinauf, schien jedoch nicht richtig mitzubekommen, was geschah. Es war besser so. Hinterher hätte er noch versucht mich zu retten und das wäre nicht gut ausgegangen.

»Gin«, brummte Gloven so tief und unheilbringend, dass der Boden zu vibrieren schien.

»Was ist?«, fragte sie hart.

»Nebel«, hauchte er.

Gin ließ so ruckartig von mir ab, dass meine Finger nach Blut tasteten. Ich war mir erst nicht sicher, ob sie mit ihrem Messer über meine Haut gefahren war und ich es vor lauter Konzentration auf Gloven nicht bemerkt hatte.

Sie scherte sich nicht länger um mich und schritt hastig nach vorne. Ich sah ihr erschrocken nach und wusste nicht, was passierte. Als ich meinen Blick auf den Wald richtete, sah auch ich den dicken, unheilvollen Nebel, der auf uns zuschwebte und alles in sich einhüllte, was sich ihm in die Quere stellte.

»Verschwinde«, hörte ich jemanden qualvoll röcheln.

Sofort sah ich zu Jonathan, der mich flehend anschaute.

Sprachlos sah ich ihn an.

»Frag nicht. Geh! Bevor es zu spät ist!«, schrie er mich an, ehe auch die letzten Kräfte seinen Körper verließen.

»Zu spät für was?«, fragte ich atemlos. »Jonathan!«, rief ich, da er in sich zusammensackte.

Ein Brüllen ließ meine Stimme verebben.

Gloven drehte sich mit jähzorniger Miene nach hinten und stapfte auf uns zu. Ohne zu zögern, packte er die Karre und schleuderte sie schreiend gegen einen Baum. Jonathan flog mit ihr wie eine Gummipuppe und wurde unter dem massiven Holz begraben. Auch ich war von der plötzlichen Wucht nach hinten geflogen und sah, wie er regungslos lieben blieb. Seine rechte Hand noch immer gefesselt. Gloven brüllte und riss seinen Kopf nach hinten.

Kerrinia - Anuras AufstiegWhere stories live. Discover now