Die Zeit ist aus den Fugen

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Immer noch sehr fasziniert von der durch die Renaissance geprägten Stadt, lief ich nun neben Chan am Ufer der Themse entlang. Er hatte mir natürlich nicht gesagt, wohin wir jetzt gingen und ich war es auch leid zu fragen. Viel lieber beobachtete ich das rege Treiben auf dem Fluss und an den Ufern. Überall waren Menschen. Nur das sie eben anders gekleidet waren, manchmal sogar ziemlich schmutzig und verwahrlost aussahen aber so war diese Zeit eben.

Chan hatte wieder nach meinem Unterarm gegriffen und zog mich unauffällig nach rechts, sodass wir auf die breite Brücke einbogen, die über den Fluss führte. Ich betrachtete die Brücke und konnte dann Ähnlichkeiten zu dem Bauwerk erkennen, dass über 400 Jahre später hier noch immer seinen Platz haben würde. Die Tower Bridge.

„Beeindruckend nicht wahr? Selbst über die Zeit hinweg habt ihr Menschen etwas erschaffen, dass durchaus symbolträchtig und überdauernd ist. Es ist amüsant, dass ihr euch an einzelne Bauwerke klammert, als könnten sie eure gesamte Kultur vor einem Zusammensturz bewahren. Es ist fast so als könntet ihr nicht ohne sie leben."

Der Dämon warf nur im Vorbeigehen einen Blick auf die gemauerten Steinsockel und ging dann ebenso wie all die anderen Personen eilig über die Brücke. Ich sah mich genau um und erkannte, dass sich sonst kein Mensch wirklich für die Architektur und den Bau zu interessieren schien. Klar, sie waren es gewohnt diesen Weg zu nehmen. Die Brücke bedeutete für sie die einfachste Route über den Fluss. Eine Verbindung zwischen zwei Stadteilen. Nichts Besonderes.

Nur ich bewunderte all das noch ein wenig länger und ließ mich von Chan führen, der sowieso den vollen Durchblick zu haben schien. Immerhin hatten wir schon kurz darauf das andere Flussufer erreicht, wo er nach links abbog und mich dann in eine engere Seitenstraße zog. Er machte sich nicht einmal die Mühe, sich umzusehen, bevor er mich gegen eine Hauswand drückte und sein Gesicht dicht vor meines brachte.

„Wir müssen leider einen kleinen Zeitsprung machen Minnie."

Sein Lächeln verriet ihn jedoch und schon pressten sich seine Lippen fest auf meine, während alles um uns herum verschwamm und er uns an den Ort brachte, wo er hinwollte. Allerdings löste ich mich nicht so schnell wieder. Selbst als das Ziehen im Magen nachließ, küsste ich den Dämon weiter und krallte meine Hand in sein Haar. Erst als er seinen Kopf bestimmt zurückzog, ließ ich ihn los und atmete frische Luft ein. Ich blickte neugierig um mich und musste feststellen, dass wir noch immer in der gleichen Gasse standen. Erst als ich an Chan herabsah und auch die Häuser genauer betrachtete, erkannte ich die kleinen Veränderungen.

Der höllische Prinz hatte uns nicht nur durch die Zeit geschickt. Nein, er hatte auch unsere Kleidung erneut angepasst. Der Stoff war zwar immer noch rau und für meinen Geschmack zu unbequem, aber ich war dennoch neugierig auf das nächste Ausflugsziel.

„Ich hoffe, wir sehen uns nicht noch eine Hinrichtung an." Mein schlechter Versuch einen Witz zu machen, wurde mit einem knappen Kopfschütteln quittiert.

„Komm mit Minnie. Es wird dir gefallen."

Diesmal lief der Braunhaarige voraus und rasch eilte ich ihm hinterher, um nicht den Anschluss zu verlieren. Zwar betrachtete ich immer noch ehrfürchtig die alten Bauwerke und die Menschen, doch nun kam eine weiter Frage in mir auf, die ich Chan nun stellte. 

„Könnt ihr das eigentlich alle? Also das durch die Zeit reisen? Ist das so ähnlich wie das Teleportieren?" Das interessierte mich wirklich brennend und es wunderte mich selbst, dass ich bis jetzt nicht nachgefragt hatte. 

„Nein. Weder das eine noch das andere beherrschen alle Dämonen. Das Teleportieren, wie du es so schön nennst, ist den meisten unserer Art möglich... aber es setzt voraus, dass man die nötige Kraft verfügt, um sich zwischen Raum und Zeit zu bewegen. Oder eben zwischen Erde und Hölle. Das Zeitreisen ist hingegen nur uns Prinzen möglich... naja, und unserem himmlischen Pendant wenn man es so will. Die Erzengel verfügen ebenfalls über ausreichend Stärke, um der Zeit ihren Willen aufzuzwingen." Fasziniert beobachtete ich den Dunkelhaarigen von der Seite und nahm jedes gesprochene Wort in mir auf. "Dabei muss ich zugeben, dass meine Schwester Dagon ziemliche Probleme mit dem Zeitreisen hat. Sie schafft es kaum 50 Jahre in die Vergangenheit... von Ramiel ganz zu schweigen." 

Dancing with DemonsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt