Kapitel 4

6K 459 724
                                    

Meine erste Woche als tollpatschige Assistentin ging ohne einen Knochenbruch zu Ende. Die Brandstellen an meinem Unterarm sind verheilt, jegliche Behandlungskosten werden von der Firma übernommen und ich habe endlich wieder Avocados im Supermarkt gefunden! Und Wassermelonen! Ich liebe Wassermelonen und Avocados. Genau damit fülle ich auch meine Tupperwaren. Die Guacamole ist schon fertig. Und meine selbstgemachten Brotchips auch. Ich schneide die letzten Stücke Wassermelone zurecht, entkerne sie so gut wie möglich und schon bin ich bereit für die Arbeit - und ich habe mich nicht schmutzig gemacht! Heute scheint so stark die Sonne, dass ich gar nicht anders konnte, als zu Wanna Be Startin' Somethin' zu singen und zu tanzen. Es läuft in Dauerschleife und auch auf dem Weg zu Toto und beim Losfahren höre ich ganz laut das Lied. Es ist zwar noch Februar, aber mir ist trotzdem warm. Die Fensterscheiben runter, die Haare offen, roter Lippenstift. Es fehlt nur noch die Wärme der Sonne auf meiner Haut. Am Wochenende habe ich es mir gut gehen lassen. Sonntag ist mein sogenannter Fresh-Day, wo ich meine Haare einöle, mir ein ausgiebiges Bad nehme, Haar-, Gesichts- und Fußmasken trage und die Ruhe vor dem Sturm im Büro genieße. Die Vorbereitungen für den Wohltätigkeitsball laufen gut. Es werden bedeutsame Gäste eingeladen, also sollte ich die nächsten zwei Wochen trainieren, den Mund zu halten. Oder vielleicht kann mir einer der Ärzte, die eingeladen werden, eine Diagnose stellen ... oder eine Therapie anbieten.

Hört mein Chef eigentlich Musik? So trocken wie er scheint - und seiner verstörenden Vorliebe für bitteren Kaffee zu urteilen -, glaube ich nicht, dass er glücklich machende Musik hört. Also Michael Jackson kann er nicht hören, wenn er jeden Tag bitteren Kaffee trinkt. Vielleicht hört er Mozart oder so. Bei solchen Männern frage ich mich, was sie in ihrer Freizeit machen. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie er auf Toilette geht. Hat er manchmal Bauchbeschwerden? Das erscheint mir unmöglich, obwohl ich bei Kaffee immer direkt losrennen muss. In der zwölften Klasse wollte ich auch einmal Kaffee ausprobieren, weil die Lehrer das immer getrunken haben und auch einige aus meiner Stufe immer mit einem Kaffee in den Kurs kamen und weil es so cool aussah, habe ich mich von dem falschen Schein leiten lassen und musste mitten im Matheunterricht, den ich sonst so genossen habe, eine halbe Stunde auf Toilette verbringen. Kurdischer Pistazienkaffee ist der Einzige, den ich toleriere, aber purer Kaffee aus Kaffeebohnen? Im Leben nicht. Das ist ein bitterer Albtraum. Na ja, dafür habe ich meine Avocados und meine Wassermelone. Ich finde einen guten Parkplatz, schnalle meinen Jutebeutel mit meinem Essen und Saft ab und halte es auf dem Weg ins Gebäude wie ein Säugling in meinen Armen. Heute bin ich ein wenig früher da, weil ich für die Guacamole früher aufgewacht bin. Dafür lohnt es sich. Und die Aufzüge sind nicht so voll! Auch gut!

Der Tag kann gar nicht besser werden! Ich sehe Narin endlich wieder! Und sie freut sich genauso sehr, mich zu sehen, als ich auf sie zu stöckele. "Da bist du ja endlich!" "Du scheinst mich ja sehr vermisst zu haben", grinst sie. Erst jetzt sehe ich das funkelnde Steinchen an ihrem linken Eckzahn. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich nicht gedacht, dass der bittere Kaffeetrinker so etwas akzeptiert. Na ja, vielleicht hat er es auch noch nicht gesehen oder er hat selbst eins. Sehen würde man es bei ihm nie, so wenig wie er lächelt. Ich muss schmunzeln, weil ich mir vorstelle, wie er ein Bauchnabelpiercing hat. Eins mit einem Schmetterlingsanhänger. "Ja. Die letzten Tage musste ich mit dem Chef allein klarkommen. Hast du ihn mal wirklich lachen gehört? Er wirkt so trocken! Und er trinkt seinen Kaffee bitter!" Diesen Fakt werde ich wahrscheinlich niemals verdauen. So ein schöner Mann trinkt etwas so Widerliches! Das ist doch nicht gesund. Ich bin an mein Lebensende verstört. Narin hält sich schmunzelnd die Hand vor den Mund. Wahrscheinlich spreche ich das aus, was sie seit Jahren durchmachen muss. Die Arme. "Aber jetzt bist du da. Jetzt muss ich ihm nicht immer seine Termine sagen. Dabei frage ich mich, wieso das sein muss. Er hätte sich die E-Mail von dir senden lassen können ... oder ist er so alt, dass er schon Dinge vergisst? Hat er einen Pflegegrad? Ist er dement?" Mein Opa war dement. Ich weiß, wie ich mit solchen Patienten umzugehen habe. Wenn es so ist, werde ich versuchen, sein Büro entsprechend einzurichten.

Tollpatschige LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt