Kapitel 22

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Meine Augen schließen sich unter seiner großen Hand auf meiner Stirn. Für ihn mag es nur eine simple Geste sein, aber für mich bedeutet sie alles. Ich lechze danach wie ein vernachlässigtes Kind. "Shirin, nehmen Sie bitte die Tablette. Sie wirkt fiebersenkend und lindert auch die Schmerzen." Ich habe mich sonst auch immer mit Tee und Kräutern kuriert, aber hier ist kaum etwas davon und wenn ich irgendwie diese penetranten Gliederschmerzen loswerden möchte, muss ich wohl oder übel die Medikamente nehmen. Also versuche ich mich langsam aufzusetzen, wobei seine Hände eine große Stütze sind. Mein Kopf dröhnt, sobald ich ihn auch nur einen Zentimeter anhebe. "Aua", murmele ich gequält. Ich muss meine Augen zusammenkneifen. Die Helligkeit ist doch zu viel für mich. "Können Sie den Raum abdunkeln?" "Natürlich. Hier, Ihre Tasse und die Tablette." Den Geräuschen zu urteilen, drückt er gerade eine Tablette aus der Packung. Weil ich jedoch zu schwach bin, öffne ich verdeutlichend den Mund, kriege die Tablette auf die Zunge gelegt und spüre dann netterweise den Strohhalm, wodurch ich die Tablette runterspülen kann. Heiß, aber ich hoffe, dass es schnell wirkt.

Ein anderer, dunkler Film legt sich vor meine Augenlider, sodass ich weiß, dass Miran gerade die großen Fenster abdunkelt. "Minzöl haben Sie auch nicht da?" "Nein. Wozu dient es?" "Hilft bei Kopfschmerzen durch die kühlende Wirkung und kann die Nase befreien." "Dann setze ich das auf meine Einkaufsliste. Sobald Sie wieder gesund sind, können Sie mich weiter beraten." "War das eine Anspielung auf ein Date?", murmele ich leise. Vollidiot! Ich beiße mir strafend auf die Zunge. "Bitte?" Daraufhin folgt ein stumpfes Stoßen und kurz darauf seufzt Miran. Ich darf nicht lachen. Bitte nicht. Er hat sich gestoßen. "Alles gut", versuche ich so gefasst wie möglich von mir zu geben. Wenn ich jetzt lache, wird mein Gehirn nur noch mehr Schmerzen ausstrahlen, aber ich kann nicht anders. Mein ganzer Oberkörper bebt durch mein verkniffenes Lachen. Gott, mir bleibt schon die Luft weg! Nur fällt es mir so schwer, durchzuatmen. Drei, zwei, eins und schon schnappe ich tief Luft. Halte die Luft an, bis du nicht mehr kannst. Das sollte helfen. Am besten beiße ich mir noch auf die Zunge, denn ich höre, wie er sich wieder aufs Sofa setzt - genau neben mich.

Verrückt, wie ich mich dadurch beruhige. Mein ganzer Körper fährt runter. Jeder Muskel entspannt sich, den ich gerade noch versucht habe, zu kontrollieren. Ich nehme sogar Ansätze seines Parfüms wieder wahr. "Ich hoffe, Sie möchten nicht aufstehen, denn es besteht Stoßgefahr." "Sind Sie erfahren darin?" "Die mache ich gerade." Okay, meine Mundwinkel zucken doch wieder. "Neigen Sie schnell zu Blutergüssen?" "Soll ich das als Drohung sehen?" "Nicht, dass Sie heute ganz viele Flecke an Ihren Beinen haben werden durch das ganze Stoßen." Warum auch immer habe ich ihn in Boxershorts vor meinen Augen und mit Blutergüssen am ganzen Körper verteilt. Gott, wie schmutzig! "Nein, Shirin. Lassen Sie mich raten: Alte Menschen neigen dazu?" "Wow, Sie lernen wirklich schnell!" Ich aber nicht, denn mein Enthusiasmus heimst mir fiese Kopfschmerzen ein. "Werden wir jetzt die ganze Zeit im Dunkeln sitzen?" "Haben Sie einen besseren Vorschlag bei Ihrer aktuellen Lage, Shirin?" Ja, schon, aber ich glaube nicht, dass das diskret wäre. Meine Lippen zucken, doch mein Gedanke bleibt tief verborgen. "Wir können quatschen." "Worüber denn?" Gute Frage. "Haben Sie jemanden in der Firma, den Sie nicht leiden können?" "Bis jetzt gab es kaum Probleme." "Haben Sie jemanden in der Firma, den Sie ganz gut leiden können?" Zum Beispiel mich?

"Wollen Sie auf etwas Bestimmtes hinaus?" "Ich bin Ihr Liebling, sagen Sie es einfach." Innerlich beleidige ich mich für diese Irrationalität. Mir ist plötzlich ganz heiß und mein Herz rast so schnell, dass ich befürchte, er hört das Klopfen in der Stille. Es klopft nur noch schneller, als ich sein leises, kleines Auflachen höre. Es schlingt sich wie Ranken um mein Herz und meinen Bauch, drückt stark genug zu, um mir die Luft zu nehmen, aber auch so angenehm, dass mein gesamter Oberkörper deshalb prickelt und kribbelt. "Schämen Sie sich nicht. Geben Sie es einfach zu." "Wie kann ich mich schämen, wenn ich schon einen Heiratsantrag Ihrerseits erhalten habe?" Mein Mund öffnet sich, bevor ich registrieren konnte, was er da gerade gesagt hat. Neckt er mich gerade absichtlich? Flirtet er? Oder bin ich einfach nur hoffnungslos verliebt? Eigentlich würde man als diskreter Vorgesetzter so etwas nicht aufbringen, aber wir haben uns sogar schon geküsst - was ich aber nicht wieder ansprechen werde! "Dann ist es ja besiegelt. Ich bin Ihr Liebling", antworte ich stattdessen. Ob es wirklich der Wahrheit entspricht und er sich bei mir nicht schämen oder sonst irgendwie verstellen muss? Hat er auch manchmal Phasen, in denen er alles überdenkt und befürchtet, es sei doch zu viel gewesen? Falls ja, bewundere ich, wie gut er es unterdrücken kann.

Tollpatschige LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt