Kapitel 41

4.5K 363 492
                                    

Narin und ich schauen uns schon seit Minuten sprachlos an. Das Ganze kann nur ein Albtraum sein. Sie sind Geschwister. All das, was ich über Miran weiß, betrifft auch sie. Fast lache ich. Natürlich ist er sich sicher, dass seine Schwester mich mögen wird, wenn seine Schwester meine einzige Freundin ist! Warum hat er es mir nie erzählt? "Warum hast du es mir nie erzählt?", durchbreche ich die Stille. Wahrscheinlich hätte es der Fakt nur noch schwieriger gemacht, es ihr zu beichten, aber ... sowas erzählt man doch? Sie seufzt und fährt sich gestresst über ihr Gesicht. "Ich habe so viel wegen alter Freunde durchgemacht, dass ich es ab einem Punkt verschwiegen habe, aber ich wollte es dir erzählen!" Narin blickt mich beteuernd an. "Aber immer, wenn wir zusammen waren, dann habe ich es vergessen, weil wir über so vieles geredet haben. Irgendwo hatte ich auch die Angst, dass es wieder so laufen wird, wie in der Vergangenheit." Oh ... ich verstehe sie. "Und Miran erzählt es deswegen auch nicht?" "Ja und weil er ein trockener Geschäftsmann ist, der sich sofort bei dir entschuldigen muss!" Mein Blick weicht unsicher zur Seite. Seit einer Woche herrscht durch ein Missverständnis Funkstille und jetzt ... ich weiß es nicht. Eigentlich kann es nur bergauf gehen, aber ich bin dennoch verschreckt.

"Habe ich denn nicht auch das getan, was du durch andere erlebt hast?" "Shirin, du hast mich nicht ausgenutzt, um eine Chance bei meinem Bruder zu haben. Du hast es mir sogar verschwiegen, weil du Angst hattest, dass ich als angeblich Außenstehende urteile. Das ist etwas komplett anderes." Ich schließe meine Augen. Es tut gut. Die Erleichterung tut mir so unfassbar gut, dass ich kurz davor bin, wieder in Tränen auszubrechen. "Er redet auch seitdem nicht mit mir, weil er wütend ist. Ich kläre das aber, versprochen!" Narin fährt sich gestresst durch ihr Haar, nagt an ihrem Gel-Nagel, während sie hin und her tigert. "Verlass nach Feierabend nicht dein Büro. Ich versuche, ihn zu dir zu locken." Ich schlucke schon unwohl bei der Vorstellung. "Ist er im Büro?" "Nein. Ich weiß selbst nicht, wo er ist." Das beruhigt mich nicht wirklich. Ich tunke mein Sushi in Teriyaki-Soße und dieses Mal dippe ich es sogar in Wasabi. Ich bin so in Gedanken, dass ich kaum den stechenden, scharfen Geschmack mitbekomme. Meine Gedanken drehen sich nur um das Ende des Tages. Ich kann mich nur halbwegs davon ablenken, weil Narin alle Details erfahren möchte.

"Hat mein Plan damals geklappt, als ich vom Ball abgehauen bin?" "Das war so gemein!", quengele ich. Dennoch bin ich ihr dankbar, weil sie mich vor sehr viel Stress bewahrt hat. Ohne Miran wäre ich nicht sicher in meine Wohnung gelangt. "Es hat geklappt", grinst sie und ich ziehe verlegen meine Schultern an. Mein gesenkter Blick spricht für sich, sodass Narin triumphiert schreit. "Sei ehrlich, habt ihr euch da geküsst?", fragt sie, ehe sie sich ein Stück Sushi in ihren grinsenden Mund stopft. "Nein, aber wir haben miteinander geschlafen." Das genannte Stück wird aus ihrem Mund geschleudert und landet erst auf ihrer Hand und purzelt dann auf meinen Tisch. Narin hustet um ihr Leben, ihr Gesicht läuft rot an. Ihre aufgerissenen Augen zeigen alles, was sie gerade nicht aussprechen kann. "Ihr ... was?!" Das erinnert mich an Mirans Hustenanfall, als ich ihm davon erzählt habe. Bevor auch sie erstickt, klopfe ich ihr auf den Rücken und halte ihr die Getränkedose hin. "Shirin", setzt sie an, bevor sie einen Schluck trinkt und wegen der starken Kohlensäure angestrengt seufzt. "Ihr habt ... ich will es nicht wissen. Es ist mein Bruder!" "Es war nur auf dem Sofa." "Shirin!" "Wir haben Bollywood-," "Zu Shah Rukh Khan auch noch? Etwa im Takt von Say Shava Shava?", fragt sie verzweifelt ... verstehe ich nicht. Ich blinzele irritiert. "Nein. Wir haben einen Bollywoodfilm geschaut und dann war ich so müde, dass ich neben ihm eingeschlafen bin."

Narin zieht mit offenem Mund ihre Augenbrauen zusammen. Was denn? Ich fand es toll, so nervenaufreibend es war. "Ich fand es romantisch", murmele ich. "Shirin, du ... lern Deutsch!" Sie seufzt erschöpft. Ach, jetzt erinnere ich mich wieder. "Ich verwechsele das hin und wieder. Miran war anfangs auch so, als wir noch nicht zusammen waren." "Kann ich mir vorstellen!", erwidert sie eindringlich. Wenigstens beruhigt sie sich wieder. Narin atmet noch einmal tief durch, kommt somit langsam zur Ruhe. "Also wart ihr doch in London?" Ich nicke. "Da hat er mir den Antrag gemacht." Sie lächelt, doch ich kann es nicht erwidern. Was ist, wenn Miran mir nicht glaubt? "Shirin, das wird wieder. Denkst du wirklich, Miran wird nichts mehr mit dir zu tun haben wollen?" "Er hat mich doch die gesamte Woche ignoriert", flüstere ich. Lag er auch immer bis nach Mitternacht wach im Bett? Hatte er ebenso weniger Energie? Hat er an mich gedacht? "Ich hätte niemals gedacht, dass so eine Katastrophe entstehen kann. Als ich ihm von Guacamole erzählt habe, hat sein kleines Lächeln abgenommen. Er sah so aus, als würde er mich gleich verprügeln. Es wird ihn ebenso erleichtern. Ich schreibe ihm, aber ich bin mir sicher, dass er meine Nachrichten nicht lesen wird. Ich kläre das."

Tollpatschige LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt