Kapitel 17

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In dem Moment, in dem mir klar wird, was ich da von mir gegeben habe, wäre es mir lieber, auf den Hinterkopf zu fallen und ins Krankenhaus eingeliefert zu werden. Bin ich wahnsinnig geworden!? Was soll ich jetzt machen? Meine aufgerissenen Augen und mein offenstehender Mund sagen doch schon alles. Ich kann mich da nicht einmal herausreden und mein Chef tut auch nichts, als mich verwundert anzusehen. "Ich ... tut mir leid. Ich wollte Sie nicht duzen." Mir wird umso heißer, als ich mich traue, zu sprechen. Ich hoffe so sehr, dass ich keinen Ärger deshalb kriege, aber Gott! Seine Augenbrauen ziehen sich schon zusammen. Es ist vorbei. Ich werde arbeitslos. "Sie ziehen die Grenze beim Duzen, aber Ihrem Vorgesetzten einen Antrag zu machen, ist noch innerhalb des Tolerablen?" Irgendwie schon. Ich hätte nichts dagegen und bis jetzt haben Sie den Antrag auch nicht abgelehnt. "Sie etwa nicht?", murmele ich überfordert. Nun lockern sich seine schönen Brauen, aber nur, um sich anzuheben. Ihm steht der verwunderte Ausdruck. "Was denn?", murre ich. Er macht mich ganz verlegen. Ja, es sollte nicht vorkommen, dass man seinem Chef einen Antrag macht und ihn dabei duzt, aber es ist mir nun mal passiert. Das könnte jedem passieren!

"Ich werde Sie nicht mehr duzen. Diskretion und so." So aufrichtig ich auch wirke, scheint es wohl nicht bei ihm anzukommen. Vielleicht dauert es noch ein wenig bei älteren Männern, bis es durch das Gehirn sickert. Vielleicht blockt der bittere Kaffee auch die Rezeptoren. Ich weiß es nicht. "Gut. Sie duzen mich also nicht mehr, wenn Sie mir einen Antrag machen." Ich nicke, aber Moment mal! "Heißt das, dass Sie meinen Antrag nicht schlimm fanden?" Will er mich also doch heiraten? Hat das etwas zu bedeuten? Oh Gott. Ich ... ich muss mich wieder am Wagen festhalten. "Solange es außerhalb der Firma passiert und fernab sämtlicher Mitarbeiter ... Shirin, ist alles in Ordnung?" "Alles bestens", flüstere ich atemlos. Will er mir sagen, dass er meinen Antrag in Erwägung zieht? Also besteht die Wahrscheinlichkeit, dass er mich auch liebt? Er taucht ja schon neben mir auf und legt besorgt seine große Hand auf meinen oberen Rücken. Ich kippe gleich um. Das ist zu viel für mich. "Haben Sie Kreislaufprobleme?" Seitdem ich Sie kenne, habe ich sie. "Alles gut, wirklich." Ein Blick in seine Augen und ich habe das Gefühl, dass sich alles um mich herum dreht. "Wollen Sie sich in den Wagen setzen, solange ich die Pflanzen kaufe? Sie wirken blass." Ach, das ist nur das Verliebtsein. Dennoch habe ich das Gefühl, dass mein Blutdruck nicht im Normbereich ist.

Ich gebe nach, aber auch nur, weil sich der Drang in mir aufstaut, zu schreien. Das tue ich auch, als ich die Beifahrertür schließe. Laut und lang, bis ich seufzend gegen den Sitz falle. Ich habe ihm tatsächlich einen Antrag gemacht und ihn dabei auch noch geduzt! Spinne ich eigentlich, dass ich meinen Chef duze? Gehen wir aber dann Sushi essen? Durch den ganzen Stress habe ich wieder Hunger bekommen. Davor sollte ich mich vorsichtshalber noch einmal zurechtmachen, also klappe ich die Sonnenblende runter, um mich im Spiegel zu betrachten. Den Lippenstift kann ich noch einmal auffrischen, auch wenn es beim Essen nicht halten wird. Blöd nur, dass die Beifahrertür aufgerissen wird und ich vor Schreck über meinen Mundwinkel male. Gott! "Wieso erschrecken Sie mich so?" Mir wird ganz heiß seinetwegen. Kommt er mir immer so nah? Damit hätte ich kein Problem, nur möchte ich es nicht unangekündigt haben, um mich darauf vorzubereiten. "Ich wollte nur schauen, ob es Ihnen gut geht. Ich stelle Ihre Pflanze auch auf den Rücksitz, wenn das in Ordnung ist." Diese klaren, blauen Augen, dieser bedächtige Blick. Ich fühle mich so wohl dadurch, als würde ich in warmes, klares Wasser gleiten.

"Ja, ist es." Ich muss mich räuspern, weil kaum noch etwas von meiner Stimme durch seine bloße Anwesenheit übriggeblieben ist. Ausgerechnet jetzt weht ein sanfter Windstoß, der seinen wunderbaren Duft in meine Richtung schenkt. So frisch. So belebend. Sollte mich jemals eine Person fragen, wie ein sauberer Mann riecht, werde ich jedes Mal an meinen Chef denken. Frisch und Zedernholz. Vielleicht finde ich ja das passende Waschmittel. Ich würde ihn ja gerne noch weiter betrachten, aber mich überkommt wieder der sanfte Schwindel des Verliebtseins, sodass ich meine Stirn erschöpft gegen das Cockpit stoßen lasse. "Kümmern Sie sich um die Pflanzen. Schnallen Sie sie an und passen Sie auf, dass die Blätter durch das Sitzen nicht eingequetscht werden." Schnell, bevor ich noch Ihretwegen ohnmächtig werde. Noch nie hatte ein Mann eine so berauschende Wirkung auf mich. Allein, wie er neben mir hockt und mich besorgt angeschaut hat und als ich dann sein Parfüm riechen durfte. Er ist unglaublich.

Tollpatschige LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt