Kapitel 39

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Ich trete gerade in die Lobby der Firma. Meine Fußkettchen klirren gleichzeitig mit meinen Armreifen, als ich meine Haare über meine Schultern schmeiße. Die Aufmerksamkeit, die ich dadurch errege, macht mich nervös, aber ich schaffe es dennoch mit gestrafften Schultern, wenn auch hicksend, zum Aufzug zu laufen. Ich bin es gewohnt, dass meine Absätze auf dem Boden widerhallen, aber in Kombination mit meinem Schmuck, schlägt mein Herz doch ein wenig schneller. Vor allem, als ich wieder auf die vielen Rücken der Männer vor dem Aufzug treffe und oh Gott, einige drehen sich zu mir! Ich halte inne, als sie mich mustern; meine Locken, meine großen Creolen, mein weißes Kleid mit den blauen Blumen. Meine Nasenspitze juckt ihretwegen. Meine Lippen verziehen sich zu einem steifen Lächeln. Müssen sie so schauen? "Was?", murmele ich. Meine Finger spielen unsicher an meinem Ring. Heute trage ich den blauen Tansanit-Ring. Der eine, ältere Mann lächelt mich sanft an. "Sie sehen toll aus. So einen Anblick ist man hier gar nicht gewohnt." Oh! Mir wird ganz warm. "Danke", erwidere ich verlegen. Mir rutscht ein Hickser aus. Ihn freut es ja wirklich, mich so sehen zu können. Das plustert mein Selbstbewusstsein ein weiteres Stück auf.

Als sich die Männer in die Aufzugkabine begeben, vernehme ich Schritte hinter mir. Ich weiß, dass es Miran ist und doch erschaudere ich sanft. Der Aufzug nebenan öffnet sich, sodass Miran dankend ablehnt, als man ihm die Tür offen hält und stattdessen das Gleiche für mich bei dem zweiten Aufzug macht. Ich lächele verlegen, könnte ihn dennoch dafür umbringen, als er seine Hand auf mein Kreuz legt. Ich reiße meine Augen auf. Doch nicht so indiskret! "Miran", murre ich erhitzt. Die Türen schließen sich und kurz darauf setzt sich ein schiefes Lächeln auf seine Lippen. "Bitte?", erwidert er raunend. Hinter seinem Rücken klimpern Schlüssel und ehe ich mich versehe, erreicht die Kabine ein Ruck, woraufhin er stehenbleibt - und mein Herz gleich mit. Ich kralle mich augenblicklich an Miran fest, presse mich schon unruhig an ihn. Oh Mann, allein das Geräusch, das beim Stehenbleiben entsteht, macht mir Angst. "Miran, was machen wir jetzt?" Gott, ich schwitze schon! Wie lange bleiben wir jetzt hier gefangen? Und wenn wir Hunger bekommen? Was ist, wenn ich aufs Klo muss? "Shirin, ganz ruhig." "Wo sollen wir etwas zu Essen finden?" "Wir kommen wieder raus. Ich habe den Aufzug aufgehalten." Wie ... er? Ich löse mich verwirrt von ihm. "Es ist alles gut", versichert er mir langsam und einprägsam. Ich nicke. "Wir stürzen nicht ab?", hake ich flüsternd nach und Miran verneint es lächelnd und kopfschüttelnd. Okay ... das ist gut. Wir werden also nicht sterben. Und auch nicht hungern.

"Warum hast du den Aufzug angehalten?" "Weil ich Zeit mit meiner Verlobten und zukünftigen Ehefrau verbringen möchte. Sie hat es nicht gern, wenn meine Mitarbeiter meine Affektionen mitbekommen." "Und ... möchtest du jetzt mit mir quatschen?" Damit habe ich absolut kein Problem. Ich wollte ihm sowieso noch erzählen, was ich diese Woche einkaufen möchte. "Möchtest du quatschen, Shirin?" "Ja! Am Donnerstag startet die Asiawoche im Lidl und dann kaufe ich mir ganz viele Packungen Seetang -," "Ich dachte, du magst keine Noriblätter?" Da ist was dran ... aber ich mag es, mir Onigiris zu machen. "Ja ... schon", murmele ich. Miran lächelt und verschränkt seine Arme vor seiner Brust. Ist ihm nicht heiß in seinem Anzug? "Schwitzt du nicht?" "Wenn ich über tausend Euro für einen Anzug ausgebe, achte ich selbstverständlich auf ein atmungsaktives Material, Shirin." Ah, okay. Das macht Sinn. Ich nicke. "Ein T-Shirt hätte es auch gemacht und du hättest dir über tausend Euro gespart." "Tatsächlich." Er verliert sein Lächeln nicht. Aktuell gibt er mir auch nicht das Gefühl, dass er mir wirklich zuhört, weil seine Augen mein Gesamtbild mustern. Seine Finger fahren dabei verträumt über sein markantes Kinn und seine Lippen.

"Du siehst aus wie eine Königin, Shirin. Wie die Königin der Natur." Das ist schon das zweite Kompliment heute! Ich quietsche erfreut. "Mich sichern die Komplimente von euch sehr." Miran möchte etwas ansetzen, als er verdutzt innehält. Was? Habe ich wieder etwas Falsches gesagt? "Was?" "Wer?" Wie? Ich blinzele verwirrt. "Was?" "Wer, Shirin?" "Wie, wer?" "Wer dir noch ein Kompliment gemacht hat", erklärt er endlich. Mann, hat das lange gebraucht! "Ich weiß nicht, wie er heißt." Und daraufhin seufzt er. "Wann war es?" "Gerade. Einer der Männer vor dem Aufzug. Ich weiß auch gar nicht mehr, wie er aussieht." Miran schaut mich mit halber Verständnis- und Fassungslosigkeit an, als wäre er am Rande der Verzweiflung. "Gehen wir am Donnerstag einkaufen? Ich will Sushi machen." "Was immer du wünschst, Shirin", seufzt er. Weil ich mich so sehr freue, schenke ich ihm einen Kuss. "Wie lange möchtest du eigentlich mit mir hier quatschen?" Miran betrachtet mich wieder mit dem gleichen Gemisch aus verzweifelten Emotionen. Was denn? "Was ist?" "Du machst mich fertig, Shirin." Verstehe ich jetzt nicht. Vielleicht hilft ihm ja eine Umarmung. So wie er sie erwidert, scheint er sie dringend nötig zu haben. Seine Hände pressen meinen Körper fest an seinen. So fest, dass ich schwerer Luft bekomme.

Tollpatschige LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt