Kapitel 18

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"Und? Habt ihr euch wieder getroffen?" Narin beansprucht meine Fähigkeit zu lügen sehr, seitdem ich ihr von Guacamole erzählt habe, aber das ist meine eigene Schuld. Es sind drei Wochen vergangen, seitdem mein Chef und ich uns ... irgendwie nah gekommen sind. Seitdem meide ich ihn wieder, versuche alles per Mail zu klären und halte die Luft immer so lange wie möglich an, wenn ich doch ins Büro muss. Ich kann ihm kaum in die Augen sehen und wenn doch, ist mir immer so unbeschreiblich heiß und meine Hickser sind nur noch lauter und erbarmungsloser und letztens habe ich meine Nase rot gekratzt, weil das Muttermal auf der Spitze so sehr gejuckt hat. Aus Angst vor Hautkrebs bin ich sogar zum Dermatologen gegangen, aber er hat mir gesagt, dass es höchstwahrscheinlich psychosomatisch ist, weil bei den Untersuchungen nichts rauskam. Immerhin kein Krebs. Das ist eine gute Sache. Eine weitere gute Sache ist, dass mein Chef heute nicht da ist. Außerhäusliche Termine, so seine Begründung. Für Narin der perfekte Moment, um nichts zu tun und mit mir in meinem Büro zu sitzen und chinesisch mit mir zu essen. "Ja", lüge ich. Gott, ist es heiß hier! Dabei sind es nur 15 Grad heute.

"Ich muss ihn endlich kennenlernen! Er soll dich von der Arbeit abholen." Oh, das wird niemals passieren. Im Leben nicht. Heute ist Freitag und ich muss noch Jojobaöl kaufen, aber die Apotheke hat schon zu. Dann eben morgen. "Als was arbeitet er eigentlich?", murmelt sie mit vollem Mund. Oh nein, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht und es wäre viel zu auffällig, wenn ich zu lange grübeln müsste. "Er ist Leiter einer Firma." Innerlich verfluche ich mich dafür. Narins Augen weiten sich. "Er ist reich?" "Schon." "Er soll dir einen gesamten Pflanzenladen kaufen!" Oh, würde er das machen, würde ich auf ewig sein Sklave werden. Meine Pink Princess Philodendron steht auf meinem Nachttisch und hütet nachts über mich und meine hübschen Träume mit ihm. Sollten noch mehr Pflanzen dazukommen, werde ich ihn mit Ranken fesseln und ihm einen Ring aufzwingen. Er kann nicht so aufmerksam zu mir sein, sich ein plötzliches Interesse für Pflanzen aufbauen und dann meinen Unterarm in seinem Auto festhalten, während er mir näherkommt und mich nicht heiraten! Aber ... was ist, wenn es doch nur platonisch ist? Oder diskret? Kann man das so nennen? Ich weiß es nicht. "Shirin?"

Ich schaue von dem Glückskekstütchen wieder auf. Narins bernsteinfarbenen Augen glitzern verdächtig. "Du denkst gerade an ihn, nicht wahr?" Ihr Grinsen wird immer größer und schmutziger. Das Glitzern ihres Zahnsteinchens macht es nicht besser. "Ach, nein." Ich weiche ihrem Blick aus und stochere in meinen Nudeln herum. "Was ist los? Habt ihr Streit?" "Nein", murmele ich. "Sondern? Du wirkst so zurückhaltend. Ist etwas passiert?" "Nein, nichts. Es ist nur ..." Ich konzentriere mich immer stärker darauf, in den Nudeln zu stochern, um wegen meiner Unsicherheit nicht loszuweinen. "Ich ... keine Ahnung. Ich bin unsicher." "Weswegen? Hat er etwas gesagt? Einen Kommentar abgelassen? Gegen deine Brüste kann er nichts sagen." So wahllos. Ich muss schmunzeln. "Es liegt eher an all den Frauen, die er sicherlich schon kennengelernt hat. Er ist ja reich und so", murmele ich. "Oh", zieht Narin das Wort verstehend in die Länge. "Mach dir keinen Kopf, Shirin. Du bist wunderbar und einzigartig." "Aber so tollpatschig und gar nicht elegant." Ich schaue in ihr empörtes Gesicht. Narin kann gar nicht fassen, was ich da von mir gebe.

"Also erstens vergleichst du dich nicht mit irgendwelchen Frauen. Wenn er dich mit ihnen vergleicht, dann entfernst du ihn aus deinem Leben. Und außerdem macht dich diese Tollpatschigkeit besonders. Du bist auf allen Etagen bekannt und hast einen positiven Wiedererkennungswert." Sie legt eine vielsagende Pause ein, legt dann ihre Nudelbox auf meinen Schreibtisch. "Leute wünschten, sie hätten eine Shirin in ihrer Abteilung und würden sogar Geld bezahlen, um zu sehen, wie du den Chef beleidigst. Es ist bis heute ungeklärt, wie er es so still hinnimmt. Er ist zwar ein recht entspannter Chef, aber ich hab immer Ohropax parat, falls er doch wütend wird." Wie? Er kann wütend werden? Und schreien? Sollte er das machen, werde ich in Tränen ausbrechen. Gott, ich bin ein Sensibelchen. Er darf mich nicht anschreien! Ich möchte etwas ansetzen, als mein Handy zu klingeln beginnt und oh mein Gott, es ist mein Chef. Hat er das Gespräch mitbekommen? Ist mein Handy verwanzt? Sind hier Kameras in meinem Büro?

Tollpatschige LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt